als eine der 7 baden-württembergischen Länderratsdelegierten
und davon eine der beiden, die der Grund sind, warum Baden-
Württemberg nur "mit großer Mehrheit" der Resolution zur
Außenpolitik zustimmte, möchte ich euch meine Stellungnahme
zum dort gefassten außenpolitischen Beschluss geben.
Dieser Beschluss greift alle Argumentationen, die von den GegnerInnen
militärischer Schläge in den letzten Wochen
vorgebracht wurden, auf und bindet sie ein. Die Strategie, dem Terrorismus
langfristig durch die Förderung von
Menschenrechten, Toleranz und internationaler Gerechtigkeit den Nährboden
zu entziehen, ist ebenso in der Resolution
enthalten wie die Neuausrichtung der Sicherheitspolitik durch Krisenprävention
und zivile Konfliktbearbeitung. Die erhebliche
Aufstockung finanzieller Mittel in diesem Bereich wird gefordert. Jede
von Rache geprägte Eskalationsstrategie wird abgelehnt
und die Glaubwürdigkeit rechtsstaatlicher Demokratien an der Beibehaltung
ihrer eigenen Prinzipien auch bei der Ermittlung und
Bestrafung der Attentäter und Hintermänner des 11. September
festgemacht.
Die Verpflichtung auf all diese – und mehrere – politischen Konzepte
hat mich veranlasst, den Beschluss nicht abzulehnen,
sondern mich in der Schlussabstimmung zu enthalten. Gleichwohl bin
ich mir bewußt, dass diese Punkte (8 von 10), was das
konkrete Handeln betrifft, als die Lyrik der Resolution betrachtet
werden können, während es aktuell nur auf die Zustimmung zu
den (an diesem Tag noch nicht ausgeführten) Militärschlägen
ankam.
Die beiden letzten Punkte der Resolution unterstützen die Ausrufung
des Bündnisfalles und geben die Zustimmung zu einer
militärischen Beteiligung der Bundesrepublik. Sie tun dies deutlich,
stellen aber Bedingungen. Als Bedingungen werden
genannt, auf deutscher Seite in eigener Verantwortung und unter Beachtung
verfassungsmässiger Regeln wie dem
Parlamentsvorbehalt Entscheidungen über die Art der Hilfe zu treffen
und bei militärischem Vorgehen die Zivilbevölkerung zu
schonen.
Diese Bedingungen sind in meinen Augen unerfüllbar. Sie widersprechen
der Konzeption von Kriegshandlungen. Weder
kann ein deutsches oder anderes Parlament dezidiert geplantes militärisches
Vorgehen diskutieren, das oft genug von der
Geheimhaltung lebt, noch können sogenannte „Kollateralschäden“
vermieden werden, wenn die angreifende
Partei eigene Verluste ausschließen oder zumindest so gering
wie möglich halten will.
Ich halte das militärische Vorgehen aber grundsätzlich für
ein in diesem Fall zweifelhaftes Mittel. Man kann den Bündnisfall
nach
Artikel 5 des Nato-Vertrags unter Einbeziehung der Neuen Nato-Strategie
(die vom deutschen Parlament nie ratifiziert
wurde!) als gegeben betrachten – zwangsläufig ist das keineswegs,
es bleibt eine politische Entscheidung. Bei einer
politischen Entscheidung stellt sich die Frage nach Kriterien dieser
Entscheidung, z.B. nach Zweckmäßigkeit und
Angemessenheit. (Kriterien, die übrigens auch das Völkerrecht
bei einer solchen Entscheidung anlegt.) Ich bezweifle sowohl im
Fall der Zweckmäßigkeit wie der Angemessenheit, dass der
militärische Angriff diesen Kriterien genügt. Zweckmäßig
sind im
Falle eines Verbrechens –zumal mit nicht eindeutig definiertem Täterkreis
– Maßnahmen der Verbrechensverfolgung. Die
müssen dem Ausmass des Verbrechens angepasst werden – konzertiert,
international, geballt in diesem Fall organisiert
werden. Im Gegensatz zum militärischen Vorgehen können sie
zielgenau eingesetzt werden und unterliegen auch nach Beginn
der Aktion einer demokratischen Kontrolle.
Den GegnerInnen der militärischen Aktion wurde in den Diskussionen
der letzten Wochen immer vorgehalten, dass ihre
vorgeschlagenen Konzepte nur langfristig greifen würden, der militärische
Angriff wurde alternativlos als die kurzfristig
greifende Maßnahme bezeichnet. Von Kurzfristigkeit ist jedoch
in allen amerikanischen Äußerungen nicht die Rede. Im Gegenteil
hat Präsident Bush von Anfang an sein Volk auf einen langanhaltenden
Kampf eingeschworen, der auch eigene Opfer
fordern würde. Dass die von den Ereignissen des 11. September
traumatisierte amerikanische Gesellschaft zu diesem Kampf
bereit ist - ja, ihn zu brauchen glaubt, um das Trauma der bewußt
gewordenen eigenen Verletzbarkeit zu verarbeiten –
verwundert nicht. Die uneingeschränkte Solidarität von Ländern
wie dem unsrigen, die jegliche Entscheidung über das
gemeinsame Handeln der gekränkten Nation überläßt,
unterstützt und verantwortet jedoch, dass eine Entscheidung
solcher Dimension aus dem Bauch getroffen wird. Die vielbeschworene
Besonnenheit Bushs, der vier Wochen bis zum
militärischen Schlag versteichen ließ, galt nicht einer
sorgsamen Überlegung bei der Wahl der Mittel – das Mittel Militäreinsatz
stand lange fest, bevor die Schuld bin Ladens feststand – sondern der
Sicherung einer geradezu weltweiten kritiklosen
Unterstützung in diesem Krieg.
Terroristen mit Bomben ergreifen und dabei Unbeteiligte schonen zu wollen,
ist so absurd, wie es geradezu zynisch ist,
Afghanistan aus der Luft sowohl mit Bomben wie mit Nahrungsmitteln
zu bewerfen. Der Krieg nimmt nun seinen Lauf
mit allen unvermeidbaren Konsequenzen, die man bedauernd zur Kenntnis
nehmen wird. Die Chance, die weltweit zugesagte
Unterstützung im Kampf gegen Terrorismus zu einem politischen
Bündnis zu machen, die immensen Finanzmittel, die nun in diesen
Krieg fließen, stattdessen zu Lösungsansätzen der globalen
Konfliktursachen aufzuwenden, Terroristen politisch und
ideologisch zu isolieren und dem Terrorismus vor allem in seinem eigenen
sozialen Umfeld den Nährboden zu entziehen – diese
Chance wurde vertan.
Ist der Beschluss des Länderrates ein erneuter Beweis für
die erlernte den Anforderungen dieses Landes entsprechende
Regierungsfähigkeit der Grünen? In meinen Augen ist er ein
erneuter Beweis für die immer noch nicht erlernte
Rollenverteilung. Aus den Reden von Regierungsmitgliedern, Fraktionsvorsitzenden
und Parteivorsitzenden war kein
qualitativer Unterschied herauszuhören. Mit den gleichen Argumenten
warben sie für die Zustimmung zur vorgelegten
Resolution des Bundesvorstandes. Mag sein, dass es für eine Erlernung
von Rollenverteilung in diesem Fall zu spät war, dass
die abverlangte Zustimmung zu Bündnisfall und Militäreinsatz
keinen Spielraum läßt, ohne die Koalition zu gefährden.
Ich hätte
mir gewünscht, dass die Partei es trotzdem darauf ankommen läßt.
Wenn Kerstin Müller sagt: „Wir sind keine pazifistische
Partei mehr“, dann stimmt das wohl für die Führungsebene,
vertieft aber die bereits bestehende Kluft zur Basis und zu
unserem (WählerInnen-)Umfeld, das – wie Meinungsumfragen ermittelt
haben –in deutlicher Mehrheit Militärschläge als
Antwort auf den 11. September ablehnt. Es ist nicht völlig auszuschließen,
dass wir selbst einer der zu bedauernden
Kollateralschäden dieses Krieges sein werden.
Sylvia Kotting-Uhl
Kaiserstr. 50
74889 Sinsheim
Tel. 07261-12462
Mail: Sylvia@Kotting-Uhl.de
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