Gastkommentar für das Neue Deutschland
01.06.2000Schwächt NRW Rot-Grün im Bund?
von Daniel Kreutz
Rot-Grün ist ein Parteienbündnis, das in Düsseldorf wie in Berlin das Projekt der Neuen Mitte vorantreibt, also die (post-)sozialdemokratische Variante der neoliberalen Revolution. Sie unterscheidet sich von der schwarz-gelben vor allem durch ihre Fähigkeit, die Gewerkschaften in eine strategische Konsenspolitik mit den Interessenvertretungen des Kapitals einzubinden.
Die Neue Mitte ist quasi ein Exportschlager made in NRW. Es war ein Schwergewicht aus NRW, das Tony Blairs Dritten Weg für Deutschland adaptierte und als Ghostwrighter des Schröder/Blair-Papiers fungierte: Bodo Hombach, graue Eminenz der NRW-SPD und erster Wirtschaftsminister im Kabinett Clement. Rot-Grün im Bund wurde - trotz Schröders Vorliebe für eine Große Koalition - möglich, nachdem diese Konstellation im nordrhein-westfälischen Feldversuch ihre Eignung als Träger des Projekts der Neuen Mitte bewiesen hatte.
So hat denn der rot-grüne Vorstand der Standort NRW AG unter Clement schon bisher keinen Zweifel daran gelassen, dass auf seiner Agenda vor allem anderen eines steht: die Stärkung des Wirtschaft im Kampf gegen Schwächere - weshalb Arbeit billiger, der Sozialstaat marktförmig "verschlankt", öffentliche Verwaltung zum Dienstleister für die Wirtschaft werden, und "unmoderne" Rechte der ArbeitnehmerInnen abgebaut werden sollen.
Spätestens mit der Wahl Clements zum Rau-Nachfolger im Juni 1998 hatten die NRW-Grünen einen Regierungskurs akzeptiert, der unter Beifall von Schwarzen und Gelben zum neoliberalen Aufbruch blies. Seither haben die "ModernisiererInnen" in beiden Regierungsparteien mit Hilfe des "Rückenswinds aus Berlin" ihre machtpolitische Hegemonie gefestigt und ihre sozial-ökologische Linke vollends marginalisiert. Wenn es darum ging, die rot-grüne Bundesregierung zugunsten einer noch stärkeren Bedienung von Arbeitgeberwünschen unter Druck zu setzen, nahm NRW schon bisher eine "oppositionelle" Haltung ein - oft im Schulterschluss mit CSU-Bayern. Bezeichnenderweise zog das marktradikale Original Möllemanns bei der Landtagswahl deutlich mehr ehemalige WählerInnen von Rot-Grün an als von der CDU.
Welche Kombination von Rot, Grün, Gelb und Schwarz regiert, ist heute keine Frage grundsätzlicher politischer Richtungen mehr. Alle denkbaren Kombinationen servieren ein neoliberales Hauptgericht. Der Streit um die Beilagen folgt eher klientelistischen Erwägungen als programmatischer Überzeugung. Gemessen an den zu erwartenden Ergebnissen des Regierungshandelns dürfte Rot-Gelb und Rot-Grün in Düsseldorf kaum noch unterscheidbar sein. Da Möllemann bereits gelobte, der SPD die Bundesratspolitik allein zu überlassen, droht auch der Bundespolitik keine Gefahr.
Unter solchen Umständen ist nicht erkennbar, warum Rot-Grün oder Rot-Gelb in NRW die Berliner Regierungspolitik und ihren Kanzler überhaupt ernsthaft tangieren sollte. Dass es den Neuen Grünen im Land nicht gefiele, ihre Sessel an Clements Kabinettstisch an die alte FDP abzugeben und die Berliner Grünen verstärkt um die ihrigen bangen müssten, versteht sich von selbst. Dass die "post-sozialdemokratische" NRW-SPD mit der gelben Karte nur spielte, um den politischen Preis ihrer grünen Mehrheitsbeschaffer auf Null zu drücken, liegt wohl eher an den emotionalen Vorbehalten ihrer Landesdelegierten gegen die Möllemann-Truppe und den entsprechenden Vermarktungsproblemen eines Koalitionswechsels. Den Grünen brächte ein Wechsel auf die Oppositionsbank andererseits kein Revival sozial-ökologischer Linksopposition mehr, sondern vor allem eine forcierte Schwarz-Grün-Debatte, um sich als zweite liberale Scharnierpartei zwischen den Großen zu positionieren.
Was immer jetzt in NRW geschieht, stärkt die Neue SPD gegenüber den Neuen Grünen. In der Summe dürfte sich das ausgleichen. Die gemeinsame Schwäche von Rot-Grün bleibt indes, dass da gegen die Erwartungen erheblicher Teile der "eigenen" Wählerschaft regiert wird, die an die Ziele der "alten" Lafontaine-SPD und der "alten" Grünen gebunden bleiben. Zumindest im Westen - siehe NRW - bleibt das Unbehagen an sozialer Ungerechtigkeit, ökologischer Verantwortungslosigkeit und außenpolitischer Militarisierung nicht anderweitig parteipolitisch kanalisierbar. Ohne Chance, ihre Versprechen eines nachhaltigen Abbaus der Erwerbslosigkeit und einer neuen kapitalistischen Wohlstandsentwicklung einzulösen, wird die rot-grüne Neue Mitte mittelfristig eher einem neuen Rechtspopulismus den Boden bereiten. Die sozial-ökologische Opposition in der Gesellschaft sollte sich beeilen, neue Wege der Interventions- und Artikulationsfähigkeit zu erschließen.