Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen halten
das Verhandlungsergebnis zwischen Bundesinnenminister Otto Schily und der
Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen
zum sog. Terrorismusbekämpfungsgesetz für eine Katastrophe.
Nach den ersten Verlautbarungen bestand zunächst
noch Hoffnung, dass die bündnisgrüne Bundestagsfraktion die schlimmsten
Auswüchse verhindern könnte. Der bisher bekannt gewordene überarbeitete
Gesetzesentwurf belehrt uns eines Schlechteren. Einzelnen Zugeständnissen
Schilys an die Grünen stehen massive Verschlimmerungen gegenüber.
Eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Ergebnis
der Verhandlungen konnte bisher nicht stattfinden. Angesichts der
gravierenden Eingriffe in Grundfreiheiten, die in dem Gesetzespaket vorgesehen
sind, wäre eine solche kritische Auseinandersetzung mit dessen
Folgen unverzichtbar, bevor sich das Kabinett auf einen Gesetzentwurf einigt
und der Bundestag darüber entscheidet.
Es bleibt bei der Kritik, dass diese Demontage des Rechtsstaates
in einem geheimen Verfahren zwischen den Parteien ohne Einflussmöglichkeiten
der demokratischen Öffentlichkeit durchgepeitscht werden soll.
Die wesentlichen Kritikpunkte der Bürgerrechts- und
Datenschutzorganisationen bleiben bestehen. Keine einzige der im Gesetzesvorhaben
vorgeschlagenen Maßnahmen wäre geeignet, Anschläge wie
die Attentate von New York zu verhindern. Demgegenüber werden verbürgte
Grund- und Freiheitsrechte sowohl deutscher wie nichtdeutscher BürgerInnen
durch die geplanten Maßnahmen ungerechtfertigt eingeschränkt.
Von den uns gegenwärtig bekannten Maßnahmen gefährden die
folgenden Bürgerrechte und Demokratie in besonderem Maße:
-
Verdacht auf Gefährdung der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung als zwingender Versagungsgrund für die Erteilung oder
Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung. Für hier lebende Ausländer
wird dies zudem ein Ausweisungsgrund. Hinzu kommt künftig die sofortige
Vollziehbarkeit dieser und anderer Ausweisungen.
-
Aufhebung der Trennung von Geheimdiensten und Polizeien:
Uneingeschränkter Zugriff der Geheimdienste auf die polizeiliche Verbunddatei
INPOL und neuerdings auch die Beteiligung von MAD, BND, Zollkriminalamt
und Bundesverfassungsschutz am Visumsverfahren. Zum ersten Mal in der Geschichte
der Bundesrepublik bekommt der Verfassungsschutz polizeiähnliche Exekutivbefugnisse.
-
Im Ausländerzentralregistergesetz soll die Möglichkeit
der Polizei und Geheimdienste festgeschrieben werden, auf den gesamten
Datenbestand im automatisierten Verfahren zuzugreifen.
-
Eine identitätssichernde Sprachaufzeichnung bei Ausländern
und Asylsuchenden zum Nachweis des "wirklichen" Herkunftslandes, um deren
Abschiebung zu erleichtern.
-
Fingerabdrücke "und andere (...) identitätssichernde
Unterlagen" von allen Asylsuchenden sollen zehn Jahre aufbewahrt und automatisch
mit den polizeilichen Tatortspuren des BKA abgeglichen werden.
-
Verbot von ausländischen Vereinen, soweit ihre Zwecke
oder ihre Tätigkeit die politische Willensbildung oder sonstige erhebliche
Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen oder gefährden.
-
Zugriffsrechte auf elektronisch speicherbare Telekommunikationsdaten:
wer mit wem E-Mails austauscht oder telefoniert, Standortdaten sowie die
pauschale Speicherung der Kommunikationsinhalte; neue Zugriffsrechte für
die Geheimdienste auf die bei Telekommunikations-, Post- und Bankunternehmen
anfallenden Daten.
Kaum eingeschätzt werden können die verwendeten
unbestimmten Rechtsbegriffe, deren Auslegung wohl der behördlichen
Praxis überlassen wird. Wer bestimmt die Definition von "Unterstützung
des internationalen Terrorismus"? Wer grenzt "Terroristen" von "Freiheitskämpfern"
ab?
Zwar ist die nunmehr vorgesehene Befristung der Gesetzesvorhaben
auf fünf Jahre mit dann erfolgender Überprüfung eine zumindest
formale Verbesserung. Nicht vergessen werden darf jedoch, dass die neu
geschaffenen Strukturen mit Sicherheit ein großes Interesse haben
werden, "Erfolge" vorzuweisen. Einmal
festgelegte Überwachungsmaßnahmen werden erfahrungsgemäß
nur im Ausnahmefall wieder aufgehoben. Auch wird die festgelegte unabhängige
wissenschaftliche Überprüfung der vorgeschlagenen Maßnahmen
infolge der strukturellen Beteiligung der Geheimdienste faktisch erschwert.
Die diese Erklärung unterstützenden Organisationen
halten die Gesetzentwürfe für falsch. Die große Eile, in
der das Gesetzesvorhaben durchgezogen werden soll, wird der hohen Bedeutung
der Grundrechte, in die hier eingegriffen wird, an keinem Punkt gerecht.
Die Terroranschläge und deren Vorgeschichte
müssen auch zum Anlass genommen werden, das Wirken
der Geheimdienste sehr kritisch zu überprüfen; für massive
zusätzliche Ermächtigungen dieser
letztlich unkontrollierbaren Apparate gibt es kein vernünftiges
und demokratisch vertretbares Argument.
Die Änderungen im Ausländer- und Asylverfahrensgesetz
sprechen eine deutlich rassistische Sprache und taugen nicht dazu, Sicherheit
zu gewinnen, sondern verstärken pauschale Vorurteile und Ressentiments
in der Bevölkerung. Faire Asylverfahren werden so mehr denn je unmöglich
sein.
Festzuhalten bleibt, dass die geplanten Maßnahmen
nicht alleine auf Nichtdeutsche und AusländerInnen zielen, sondern
auf die gesamte Bevölkerung.
Die Bürgerinnen und Bürger sowie das Grundgesetz
sind keine Versuchskaninchen. Um seiner Verantwortung gerecht zu werden,
kann der Bundestag über einen solchen Gesetzesentwurf nur auf der
Grundlage einer sorgfältigen Diskussion entscheiden, nicht vor deren
Beginn. In eine Diskussion sind die Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen
einzubeziehen!
Gemeinsame Presseerklärung:
-
Humanistische
Union (HU), Vors. Dr. Till Müller-Heidelberg
-
Republikanischer Anwältinnen und Anwälteverein
(RAV), Vors.: Wolfgang Kaleck
-
Internationale Liga für Menschenrechte, Wahied
Wahdat-Hagh, Kilian Stein
-
Strafverteidigervereinigungen, Organisationsbüro, Margarete
v. Galen, Jasper v. Schlieffen
-
Vereinigung Berliner Strafverteidiger, Rüdiger Portius
-
Bürgerrechte & Polizei / CILIP,
Dr. Norbert Pütter, Martina Kant
-
Deutsche Vereinigung
für Datenschutz (DVD) Sönke Hilbrans
-
Vereinigung Demokratischer Juristinnen
u. Juristen (VDJ) Vors. Prof. Dr. Martin Kutscha
-
Komitee
für Grundrechte und Demokratie, Spr. Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr
-
Chaos Computer Club, Sprecher Andy Müller-Maguhn,
-
JungdemokratInnen/ Junge Linke,
Bundesverband, Bundesvors. Danielle Herrmann
-
JungdemokratInnen/
Junge Linke, Landesverband Berlin, Vors.: Katja Grote
-
Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär,
Ralf Siemens
-
Redaktion "ak - analyse & kritik", Martin Beck
-
Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche
Verantwortung e.V.
-
Flüchtlingsrat Berlin, Jens-Uwe Thomas, Georg Classen
-
"bis gleich..." Initiative für die Freilassung und gegen
den Paragraphen 129a, Sprecher: Dominique John
-
Netzwerk Neue Medien, Jan Schallaböck, Ralf Bendrath,
Markus Beckedahl,
-
Redaktion "Ossietzky", Eckart Spoo
-
AG gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung
(agisra), Christiane Howe
-
Dr. Sebastian Pflugbeil, Gesellschaft für Strahlenschutz
e.V., Neues Forum
-
Volker Eick, Mitglied im Interdisziplinären Arbeitskreis
Innere Sicherheit (AKIS), Arbeitskreis Politikfeldanalyse - Innere Sicherheit
in der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft
HUMANISTISCHE UNION e.V. (HU)
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
hu@ipn-b.de
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