Fragen und Argumente zum deutschen Beitrag in der
internationalen Koalition gegen den Terrorismus
1. Mit welcher Bedrohung ist die Staatengemeinschaft
konfrontiert?
Die Terroranschläge des 11. September richten
sich nicht nur gegen die USA, sondern gegen die gesamte internationale
Staatengemeinschaft. Auch wenn es bisher in Deutschland nicht zu Anschlägen
gekommen ist, bedroht diese neue Form des Terrorismus auch unsere Sicherheit,
unsere Lebensweise und die Werte, auf die sich unsere politische Kultur
gründet. Die Terrori-sten zielen auf eine Destabilisierung der Nahostregion
mit unabsehbaren Konsequenzen. Sie haben öffentlich weitere Anschläge
angekündigt. Es ist bekannt, dass es Versuche der Terrroristen gab,
sich Zugang zu Massenvernichtungswaffen zu verschaffen. Damit ist eine
weitere Steigerung künftiger Anschläge nicht auszuschliessen.
Der Kampf gegen den internatio-nalen Terrorismus ist daher keine nationale
Ange-legenheit der USA, sondern eine gemeinsame Aufgabe angesichts einer
neuen totalitären Bedrohung. Neben den USA und Israel zählt die
Terrororganisation um Bin Laden auch gemäßigte islamische Staaten
und die Vereinten Nationen zu ihren Hauptgegnern.
2. Mit welchen Mitteln kann dieser Bedrohung begegnet
werden?
Die Bekämpfung dieser neuen Bedrohung erfordert
einen umfassenden Ansatz. Der Einsatz militärischer Mittel ist notwendig,
er ist aber nur ein Teil des Konzepts im Kampf gegen den Ter-rorismus.
Sie sind die unverzichtbare Ergänzung umfassender politisch-diplomatischer,
wirt-schaftlicher und humanitärer Maßnahmen. Dazu gehören
insbesondere die Flüchtlingshilfe und ein ausgewogenes Konzept für
eine Friedensordnung in Afghanistan. Weitere Elemente sind der Versuch
einer Beilegung des Nahostkonflikts, ein intensiver Dialog mit dem Islam
sowie außen – und entwicklungspolitische Ansätze, die darauf
zielen, das Entstehen rechtsfreier Räume zu verhindern.
Unsere politischen Anstrengungen konzentrieren sich auf
ein Konzept für eine politische Ord-nung Afghanistans, die alle Bevölkerungsgruppen
einbezieht und die Zustimmung der Nach-barländer findet. Eine Lösung
muss von den Afghanen selbst umgesetzt werden, da von außen übergestülpte
Konzepte Widerstand im Land provozieren würden. Erstes Ziel sollte
die Einbe-rufung eines vom König vorgeschlagenen „Obersten Rates“
sein. Dieser sollte sich auf einen Friedensplan und dessen Implementierung
einigen. Der „Oberste Rat“ sollte auch die Voraus-setzungen für effektive
humanitäre Hilfe und Wirtschaftsaufbau schaffe und durch eine „Loya
Jirga“ (Große Ratsversammlung) legitimiert werden. Durch ihn sollte
eine Verfassung ausgear-beitet und eine Übergangsregierung gebildet
werden.
3. Wie kann eine humanitäre Katastrophe
verhindert werden?
Die humanitäre Notlage in Afghanistan ist eine Folge
der menschenverachtenden Politik der Taliban. Schon vor dem 11.09. gab
es eine ständige Hungersnot mit potentiell 5,3 Millionen Betroffenen
(Angabe des World Food Program, WFP), sowie ca. 3,5 Millionen Flüchtlingen
in Pakistan und Iran. Wir müssen deshalb gegen die Taliban-Diktatur
vorgehen, um eine huma-nitäre Katastrophe zu verhindern und dem Land
eine Friedensperspektive zu eröffnen. Das Ta-liban-Regime, nicht die
Luftangriffe, hindert die Hilfsorganisationen am Zugang zu den hilfsbe-dürftigen
Menschen in Afghanistan. In vielen Regionen des Landes wurde und wird Hunger
als Waffe eingesetzt. Die Arbeit internationaler Hilfsorganisationen wird
systematisch behindert.
Dennoch tut die internationale Gemeinschaft alles, um
die Menschen vor dem Wintereinbruch mit dem Nötigsten zu versorgen.
Das World Food Program ist nach Angaben vom 9.11. zuver-sichtlich, den
Monatsbedarf von 52.000 Tonnen rechtzeitig zu beschaffen und zu verteilen.
Priorität hat die Versorgung von ca. 500.000 Menschen im Norden und
Nordwesten Afghani-stans. Deutschland hat sich als Vorsitz der humanitären
Afghanistan Support Group seit dem 11.09. besonders für eine massive
humanitäre Großaktion eingesetzt. Bislang hat die Bundes-regierung
72 Mio. DM an zusätzlicher humanitärer Hilfe zur Verfügung
gestellt, u.a. unterstüt-zen wir die Verbesserung der Zugangsmöglichkeiten
nach Afghanistan (Übergang des Grenz-flusses Pjandsch, Flugdienst
des WFP) sowie die Errichtung und Ausstattung von Flüchtlings-lagern
in Pakistan und an der Grenze mit Iran.
4. Warum werden militärische
Mittel eingesetzt?
Dem Anschlag des 11. September gingen seit 1993 eine
Reihe mörderischer Anschläge gegen amerikanische Einrichtungen
voraus (World Trade Center 1993, Versuch gleichzeiti-ger Entführung
und Sprengung amerikanischer Flugzeuge über dem Pazifik 1995, Anschläge
auf US-Botschaften Nairobi und Daressalam 1998). Alle Spuren dieser Anschläge
wei-sen in eine Richtung: zu der Terrororganisation Al Quaida Osama Bin
Ladens. Die USA un-ternahmen große Anstrengungen, diesen Anschlägen
mit zivilen, d.h. polizeilichen Mitteln zu begegnen. Ein Teil der Täter
ist verurteilt worden und sitzt hinter Gittern. Die terroristischen Strukturen
aber konnten so nicht zerschlagen, weitere Anschläge nicht abgeschreckt,
und die Katastrophe des 11. September nicht verhindert werden.
Dieses internationale Terrornetzwerk hat eine neue Qualität,
die mit den bekannten terroristischen Strukturen der 70er und 80er Jahre
kaum vergleichbar sind. Al Quaida und Taliban sind in Afghanistan eine
symbiotische Beziehung eingegangen. Wer gegen das Netzwerk wirksam vorgehen
will, muss auch die Talibanführung bekämpfen. Die Taliban bieten
Bin Laden und seiner Al Quaida Schutz vor Verfolgung und Ausbildungsmöglichkeiten
für Mudjahedin. Im Gegenzug unterstützt Bin Laden die Taliban
finanziell und militärisch.
Die Taliban profitieren bislang, trotz des außenpolitischen
und militärischen Drucks der USA und der Antiterror-Koalition, vor
allem finanziell und militärisch vom Aufenthalt Bin Ladens in Afghanistan.
Die Ausbildungslager Bin Ladens sind Teil der militärischen Infrastruktur
der Taliban. Die Einheiten der ausländischen Mudjahedin, darunter
besonders die arabischer Herkunft, gelten als besonders kampfbereit und
grausam. Sie werden an verschiedenen „Brennpunkten“, zur Zeit besonders
in Mazar e-Sharif, eingesetzt.
5. Auf welchen Rechtsgrundlagen beruht
der militärische Einsatz?
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat einstimmig
die Resolutionen 1368 und 1373 angenommen, die die Terrorakte als Bedrohung
des Welt-friedens und der internationalen Sicher-heit klassifizieren und
die USA in Aus-übung ihres Selbstverteidigungsrechtes nach Art. 51
der VN-Charta zu militäri-schen Aktionen ermächtigen. Die Resolution
1373 stellt ausdrücklich fest, dass alle Staaten verpflichtet sind,
diejenigen, die terroristische Akte finanzieren, planen, begünstigen
oder begehen, daran zu hindern. Dies bezieht sich sowohl auf Bin Laden
und seine Terrororganisation Al Quaida als auch auf die Taliban-Regierung
in Afghanistan, die Bin Laden Unterstützung und Unter-schlupf gewährt.
Die NATO hat einstimmig festgestellt, dass sie
die Terroranschläge vom 11. September als Handlungen im Sinne des
Artikels 5 des NATO-Vertrages ansieht. Darin heißt es, dass ein bewaffneter
Angriff gegen einen oder mehrere Verbündete als Angriff gegen alle
angesehen wird. Deshalb hat der Deutsche Bundestag am 19. September diese
Verpflichtungen bekräftigt. Die deutschen Streitkräfte handeln
dabei in Wahrnehmung des Rechts zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung
im Sinne des Artikel 24 Abs. 2 des Grundgesetzes.
6. Könnte Deutschland die Bündnissolidarität
verweigern?
Der Artikel 5 des NATO-Vertrages setzt für die Bündnispartner
keinen Automatismus in Gang. Die Staaten können selbstständig
über Art und Umfang ihres militärischen Beistands entscheiden.
Verweigert sich aber die Bundesrepublik der jetzt anstehenden Entscheidung,
würde sie sich im Kreise der Partner isolieren, und die europäische
Integration schwer belasten. Das schließt die reale Gefahr einer
Renationalisierung der europäischen Politik mit ein.
Die Alternative zu einer Beteiligung wäre ein deutscher
Alleingang, der der entscheidenden Lehre aus unserer Vergangenheit zuwiderläuft:
multilaterale Einbindung statt Renationalisie-rung. Ein solcher neuer deutscher
„Sonderweg“ – wie auch immer begründet - würde bei unse-ren Partnern
und Nachbarn auf Unverständnis und Mißtrauen stoßen.
7. Wie sieht der deutsche Beitrag
aus?
Der Antrag der Bundesregierung zum Einsatz bewaffneter
deutscher Streitkräfte, über den am 15. November der Deutsche
Bundestag abstimmen wird, ist kein Blankoscheck. Im konkreten Fall geht
es weder um die Beteiligung an Luftangriffen noch um die Bereitstellung
von Bodenkampftruppen. Vorgesehen sind ABC-Abwehrkräfte, eine Einheit
zur Evakuierung von Verletzten, Spezialkräfte, Lufttransportkräfte
und Seestreitkräfte zur Kontrolle des Schiffsverkehrs und zum Schutz
von Schiffen. Das Mandat ist zeitlich begrenzt. Deutsche Kräfte werden
sich an etwaigen Einsätzen gegen den internationalen Terrorismus in
anderen Staaten als Afghanistan nur mit Zustimmung der jeweiligen Regierung
beteiligen.
Die Abwägung der Risiken bleibt trotzdem bei jedem
Militäreinsatz außerordentlich schwierig und es gibt darauf
derzeit keine endgültige Antwort. Aber auch bei den Einsätzen
im Kosovo und in Mazedonien ist es trotz vieler anfänglicher Zweifel
und verständlicher Sorgen gelungen, die Region zu stabilisieren, den
Menschen zu helfen und politische Lösungen zu ermöglichen - und
Milosevic steht heute in Den Haag vor dem Internationalen Gerichtshof.
DEUTSCHE STREITKRÄFTE
IM KAMPF GEGEN DEN TERRORISMUS
Informationen zum Antrag der Bundesregierung vom 7. November 2001
(9.11.01)
Bei den Terroranschlägen am 11. September 2001 in
New York und Washington sind Tausende Menschen ums Leben gekommen. Terroristen
entführten insgesamt vier Flugzeuge und benutzten diese als „riesige
Bomben“. Zwei Hauptgebäude des "World Trade Center" wurden zerstört,
das Pentagon stark beschädigt. Die vierte Maschine stürzte bei
Pittsburgh ab.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat die Anschläge
als Bedrohung für internationalen Frieden und Sicherheit bewertet.
Seine Resolution 1368 (2001) unterstreicht das Recht auf Selbstverteidigung
und erklärt die Notwendigkeit, alle erforderlichen Schritte gegen
die Bedrohung zu unternehmen.
Zur gleichen Zeit hat der NATO-Rat beschlossen, dass
die Terrorangriffe als Angriffe auf alle Bündnispartner im Sinne des
Art. 5 des Nordatlantikvertrages zu betrachten seien. Bedingung: Die Angriffe
müssen von außen gegen die USA gerichtet sein. Das haben die
Vereinigten Staaten am 2. Oktober 2001 dargelegt. Damit ist der Bündnisfall
eingetreten und auch die Bundesrepublik Deutschland aufgefordert, im Rahmen
der kollektiven Selbstverteidigung zu Maßnahmen der Bündnispartner
gegen den Terrorismus beizutragen.
Operation ENDURING FREEDOM
Das Regime der Taliban in Afghanistan beherbergt seit
Jahren Führer und Ausbilder von Terroristen, die weltweit agieren
und zu denen die Täter von New York und Washington vom 11. September
2001 gehörten. Auch nach den Anschlägen gegen die USA stellt
sich das Regime in Kabul schützend vor diese Strukturen, die zusammenfassend
als "Al Qaida" bezeichnet werden. Sprecher der Al Qaida haben öffentlich
weitere Angriffe auf die USA angekündigt und andere dazu aufgerufen.
Das Taliban-Regime macht sich mit der Beherbergung und dem Schutz für
eine solche Gruppierung, die in ihrer menschenverachtenden Gesinnung eine
spätestens jetzt offenbar gewordene Bedrohung aller Völker darstellt,
zum Mittäter geschehener und möglicher weiterer Terrorangriffe.
Die Operation ENDURING FREEDOM hat zum Ziel, die Führungs-
und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen
zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen sowie
Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer Aktivitäten
abzuhalten. Deutsche bewaffnete Streitkräfte sollen dazu bereitgestellt
werden. Diese Operation hat am 7. Oktober 2001 begonnen.
Beistandserklärung durch Bundesregierung und Bundestag
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 sind
Angriffe auf die Prinzipien der offenen Gesellschaft, auf Demokratie und
Freiheit. Deshalb haben Bundesregierung und Bundestag den Vereinigten Staaten
ihre Solidarität ausgesprochen. Wir beteiligen uns damit an einer
Koalition aus zahlreichen Staaten der Welt, die dem Aufruf des Sicherheitsrats
der Vereinten Nationen gefolgt sind. Dazu gehört auch die grundsätzliche
Bereitstellung militärischer Fähigkeiten. Die Beistandserklärung
hat der Deutsche Bundestag am 19. September 2001 in einem Beschluss bekräftigt.
Ob die Bundesrepublik im Rahmen der Operation ENDURING
FREEDOM bereitstellt, das entscheidet der Bundestag voraussichtlich am
16. November 2001. Konkret geht es um die Bereitstellung von maximal 3900
Soldaten sowie deren Ausrüstung. Dabei handelt es sich um
-
ca. 800 Soldaten ABC-Abwehrkräfte. Gerät ist der
Spürpanzer Fuchs, der A- und C-Kontaminationen aufspüren kann.
B-Kampfstoffe müssen im Labor untersucht werden;
-
ca. 250 Soldaten der Sanitätskräfte sowie das „fliegende
Krankenhaus“ Airbus A310MedEvac, das bis zu 56 Patienten aufnehmen kann;
-
ca. 100 Spezialkräfte. Diese Soldaten sind speziell
zur Durchführung von Rettungs-, Evakuierungsaktionen und anderen besonderen
Aufgaben ausgebildet;
-
Seestreitkräfte (ca. 1800 Soldaten): Fregatten, Schnellboote,
Marineluftfahrzeuge und Unterstützungseinheiten;
-
Lufttransportkräfte mit ca. 500 Soldaten und Transportflugzeugen
vom Typ C-160 Transall sowie
-
weiter erforderliche Unterstützungskräfte mit ca.
450 Soldaten.
Eine deutsche Beteiligung an den Luftangriffen auf Ziele
in Afghanistan kann damit ausgeschlossen werden. Ob militärische Gewalt
angewendet werden wird, richtet sich nach den für den jeweiligen Einsatzraum
geltenden Einsatzregeln. Grundlage ist auf jeden Fall das Völkerrecht.
Die deutschen Soldaten sollen im Rahmen der Afghanistan-Krise
im NATO-Gebiet, der arabischen Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und
Nordost-Afrika eingesetzt werden. Ein Einsatz in anderen Staaten als in
Afghanistan kann nur erfolgen, wenn die Regierungen dieser Staaten dem
auch zustimmen.
Der Bundestag entscheidet jetzt grundsätzlich über
die Bereitstellung dieser Streitkräfte während der nächsten
zwölf Monate. Ob und wann sie unter den genannten räumlichen
und zeitlichen Bedingungen im Rahmen der Operation ENDURING FREEDOM konkret
eingesetzt werden, entscheidet dann jeweils die Bundesregierung.
Die Kosten von rund 497 Millionen Mark für einen
zunächst auf zwölf Monate angelegten Bundeswehreinsatz sollen
dem Verteidigungsetat zusätzlich zur Verfügung gestellt werden.
Die Mittel werden aus den zusätzlichen Anti-Terror-Mitteln finanziert.
Es werden nur Berufssoldaten, Soldaten auf Zeit sowie
solche Soldaten und Soldatinnen eingesetzt, die sich freiwillig verpflichtet
haben und deren berufsbezogene Fähigkeiten verwendet werden sollen.
Weitere Informationen: www.gruene-fraktion.de/t-folgen
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