Liebe Margarethe, lieber Jerzy,
nun sind wir mit einem blauen Auge aus den Europawahlen herausgekommen und
was macht ihr, deren Aufgabe es wäre, den Gesamtzusammenhalt der Grünen
nach außen zu vertreten und nach innen zu stärken: ihr bezeichnet
Eure Kritiker - bzw. die
Kritiker der Natobombardierung - als schädlich für die (Zukunft der)
Partei und weist ihnen die Tür, die diese z.T selbst aufgestoßen
haben, weil Ihnen die grüne Luft zu stickig wurde.
Laßt mich einmal die These aufstellen, daß gerade auf Grund der KriegsgegnerInnen in der Partei und den von Ihnen mitgestalteten Diskussionsforen - die sich übrigens aufs Grüne Programm stützen und aus tiefster Überzeugung und politisch begründet, gegen den Einsatz militärischer Gewalt sind - der befürchtete Absturz bei der Europawahl verhindert wurde.
Ich habe bei zahlreichen Veranstaltungen, die ich in den letzten Wochen mit Kreisverbänden, Europaunion, Friedensinitiativen im Rahmen des Europawahlkampfes für die Grünen gemacht habe, deutlich und wachsende Zustimmung zu der von mir vertretenen Antikriegsposition bekommen - und lasse mir weder vom Landesvorstand noch ihm politisch nahestehenden Kreisen das Fehlen politischer Reife andichten noch Realismus oder Pragmatismus absprechen. Ihr habt das wiederholt getan, am Landesausschuß und jetzt in der jüngsten Presseveröffentlichung.
Wie ihr das witzige symbolische Asylgesuch einiger bayrischer Kriegsgegnerinnen
ohne Not auf die Ebene diplomatischer Verwicklungen gehievt habt, mit der Angst
vor Einmischung in interne Angelegenheiten bezeichnet habt, hat mir schon fast
Spaß gemacht, denn die Absicht, Brücken zu bauen (wohlgemerkt grünintern,
aber grenzüberschreitend - ein ureignes europäisches Thema!) hat für
mich nach wie vor etwas. Wer politisches Erwachsensein von Anderen einfordert
und diese
Initiative geifernd als Kinderei abtut, dem fehlt die nötige Coolness und
diese Bösartigkeit strahlt ihr leider zunehmend aus. Wem macht es noch
Spaß bei den Grünen, wenn alles so verbissen gesehen wird und ohne
Spaß geht zumindest
ehrenamtlich nicht so viel.
Genauso bin ich der Meinung, daß man die Rufe "Kriegstreiber" in aller
gebotenen Bescheidenheit - schließlich haben Grüne dem Waffengang
erstmalig (völkerrechtswidrig und programmwidrig) zugestimmt - debattiert
und Für und Wieder abwägt und nicht als Belehrende der ewigen Hüter
der Menschenrechte auftritt ( wie dies u.a. Heide Rühle in München
und viele Andere getan haben).
Wer dann noch aus einer Debatte - wie im Hofbräuhaus geschehen, die Gegner
aus dem Saal verweisen will, läßt die Toleranz vermissen, die wir
für uns immer einfordern.
Die Opposition im Kopf und im politischen Programm gegen den gesellschaftlichen mainstream ist ein konstituierendes Element grüner Politik für mich - auch und gerade bei Regierungsbeteiligung. Natürlich sind wir nicht nur Protestpartei, sondern wollen "gestalten", warum sonst machen wir vor Ort und überregional in Räten, Parlamenten und Gremien Politik. Aber wir wollen und müssen uns noch deutlich unterscheiden von den anderen Parteien. Sollte Euch das nicht mehr wichtig genug sein, dann fürchte ich verspielt ihr mit unsere Legitimation im politischen Spektrum.
Wer war denn, öffentlich zugestanden, "alternativlos" zum Bomben? Doch nicht diejenigen, die die Kontakte zu serbischer Opposition, zum Veronaforum, zu Frauen-und Friedensinitiativen im Balkan hatten und Latten von zivilen Konfliktlösungen propagierten und auch nicht diejenigen, die den sofortigen Stop der Bombardierung spätestens angesichts der ökologischen und sozialen Desaster und der Zuspitzung der Vertreibung forderten - um noch Schlimmeres zu verhindern und Druck auf internationale Präsenz und Verhandlung zu erreichen. Keiner von uns kann für sich in Anspruch nehmen eine "Lösung" für die katastrohalen Menschenrechtsverletzungen durch Milosevic und seine Schergen zu haben- außer daß wir/die Zivilgesellschaft mit allen Kräften dazu beitragen seine Gegner und damit demokratische Entwicklungen zu stärken und die Lebensbedingungen in der Region zu verbessern; beides ist in meinen Augen durch den Krieg nicht geschehen.
Ich will die diplomatischen Initiativen und das persönliche Engagement auf dem Weltparkett von Joschka Fischer nicht klein reden. Er hat mit schwerer Hypothek etwas erreicht. Trotzdem habe ich das diplomatische Doppelspiel (unter amerikanischer Ägide) für falsch und unverantwortlich gehalten: die Parallelstrategie von Luftangriffen und Diplomatie. Das hat Reden vom "Gerechten Krieg" bzw. vom Sieg der Gerechten Sache wieder hoffähig gemacht, die der Vergangenheit angehören müssen. Die Folgen in den Köpfen und für den Ausbau der Militärbudgets sind noch nicht überschaubar, aber tragischer Weise an Scharpings Gesicht und Reden bereits ablesbar.
Wer die Vielfalt in Europa erhalten, Haß und Nationalismen abbauen will,
der ist, glaube ich, gut beraten, wenn er alle persönliche wie politische
Energie auf zivile Lösungen, auf Vermittlung, Versöhnung und Verhandlung
konzentriert und die Reduzierung der Militärapparate vertritt. Dies
muß einer unserer gemeinsamen Schwerpunkte in den nächsten Wochen
sein.
Durch Ausgrenzen und stromlinienförmiges Zuschleifen der Partei werdet
ihr das nicht erreichen.
Ich frage Euch:
Ich frage mich z.B. auch, warum Gunda Röstel in einer ersten Stellungnahme
nach der Europawahl nicht vorallem Europa thematisiert hat (und z.B. die
guten Erfolge unserer Grünen Nachbarn im angrenzenden Ausland - für
eine europäische
grüne Zusammenarbeit), sondern zum x-ten Mal grünes Licht für
die Strukturveränderungen gegeben hat.
Wir sollten jetzt wirklich alles dafür tun, daß wir (europaweit)
inhaltlich zusamenarbeiten, um unser eigenständiges Profil zu schärfen.
Unter Effektivität verstehe ich vorallem, daß wir einen hohen Anspruch
an Transparenz und Durchlässigkeit verwirklichen und hohe Partizipation
auch im grünen Umfeld erreichen. Ich weiß was es bedeutet, verdammt
schlecht angebunden zu sein bei den deutschen Grünen - bei hoher Verantwortung
im Bereich der Europäischen Grünen.
Dazu braucht es eine Portion Guten Willen, das Verteilen der Gewichte auf vielen
Schultern und das Zusammenführen von Anregungen. Professionalität
läuft nicht über den Geldbeutel - gut bezahlte Posten und hierarchische
Funktionsverteilung.
Fazit deshalb für mich und auch als Anregung: Wir Grünen müssen
viele dichte Netze zu weben und müssen Spontaneität und Begeisterungsfähigkeit
fördern, keine Politikverwaltun und kein Zementieren von Dauerabbos auf
Posten. Auch unsere
Artisten in der Zirkuskuppel brauchen langfristig diese Netze.
Und auch das ist verantwortliches Sicherheitsdenken.
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