Kommunales
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Programm-Beispiel : München Kommunalwahl 1996

SOZIALPOLITIK

Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer. Immer leichter kann man in unserer Gesellschaft in schwierige Lebenssituationen geraten, immer weiter werden die Maschen des sozialen Netzes. Der Verlust des Arbeitsplatzes zieht schnell den Verlust der Wohnung nach sich, die Geburt eines Kindes bringt für viele Eltern auch den Gang zum Sozialamt mit sich, fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen führen zu langen Ausfallzeiten bei der Berufstätigkeit.
Die Schulden der Öffentlichen Hand steigen ins Gigantische. Trotz langer Zeit günstiger Konjunktur leben mehr und mehr Haushalte in finanziell angespannten Verhältnissen. Besonders betroffen sind Familien mit Kindern, Alleinerziehende und Personen in besonderen Notlagen. Ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse und Langzeitarbeitslosigkeit nehmen  zu. Die traditionellen Systeme der sozialen Sicherung sind für Vollzeiterwerbstätige gedacht. Die Lebensrealität entspricht dem schon lange nicht mehr: Phasen von Arbeitslosigkeit, Erwerbstätigkeit und Weiterbildung lösen sich ab.
Die Notwendigkeit einer Reform der sozialen Dienste wird mittlerweile allgemein anerkannt. Bündnis 90/DIE GRÜNEN fordern bürgernahe soziale Dienste. Sie  sollen die Selbständigkeit der Betroffenen fördern und ihre Teilhabe ermöglichen. Die einzelnen Hilfsmöglichkeiten müssen leicht erfahrbar und erreichbar sein. Den "Bedürftigkeitstourismus", der die Menschen bei der Hilfesuche quer durch die ganze Stadt treibt, wollen wir durch stadtteilbezogene soziale Dienste beseitigen. Der Modellversuch "Regionalisierung der sozialen Dienste", den wir miteingerichtet haben, ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Neue Formen des sozialen Zusammenhalts haben sich entwickelt: Nachbarschaftsinitiativen oder Eltern-Kind-Gruppen, die für über 1000 Kinder im Vorschulalter einen wichtigen Bestandteil der sozialen Grundversorgung bilden. Arbeitsförderungsinitiativen ermöglichen den Wiedereinstieg in das Erwerbsleben und stärken den Mut zur Selbsthilfe. Eigeninitiative und Selbsthilfe müssen weiter durch städtische Zuschüsse unterstützt werden!

Altenpolitik

Deutschland wird alt, die Alterspyramide wird sich in den nächsten Jahren stark verändern, sich auf lange Sicht auf den Kopf stellen. Die Anzahl der älteren Menschen wächst stetig, aber nicht das Altsein ist ein Problem, sondern arm, krank, behindert und einsam sein führt zur Ausgrenzung. Deshalb muß die Kommune Hilfestellung zur Bekämpfung und Überwindung der Ursachen dieser Probleme geben.
Älter werden bedeutet sowohl die Zunahme an Fähigkeiten als auch die Zunahme an Beeinträchtigungen. In Würde alt werden kann der Mensch jedoch nur dort, wo ihn ein selbständiger Lebensbereich nicht überfordert. Altersgerechte Wohnungen zu schaffen ist deshalb eine große Zukunftsaufgabe, wobei auch die städtischen Wohnungsbaugesellschaften gefordert sind. Es dürfen jedoch keine Alten-Ghettos entstehen, sondern überschaubare Wohneinheiten in allen Stadtteilen.
Das Angebot an Treffpunkten für ältere Menschen, die auch für weniger mobile Menschen gut erreichbar sein müssen, Weiterbildungseinrichtungen, Möglichkeiten des "Sich-Einmischen-Könnens", eine Börse, in der ältere Menschen ihr Wissen und ihre Kompetenz weitervermitteln können, sind genauso wichtig wie die Unterstützung und Einbeziehung des Seniorenbeirates. Zusätzlich müssen Nachbarschaftshilfen, Selbsthilfeeinrichtungen, Möglichkeiten der wohnortnahen Versorgung im Stadtteil und dezentrale Beratungsstellen für ältere Menschen und ihre Angehörigen ausgebaut werden.
Auch heute noch bedeutet das Ausscheiden aus dem Berufsleben für viele Rentner und besonders Rentnerinnen ein Leben in der Nähe des Existenzminimums. Ältere Menschen haben ein Recht auf einen sorglosen Lebensabend, auf Zugehörigkeit zur Gesellschaft und auf Hilfe und Zuwendung in Notsituationen.
Wir fordern:
  • Bewahrung und Förderung der gesellschaftlichen Bezüge durch Ausbau der Alten- und Servicezentren
  • Ausbau von Maßnahmen zur Prävention und Rehabilitation
  • Sicherstellung der Betreuung und Pflege. Hier muß folgende Maxime gelten: ambulant vor teilstationär vor stationär und Prävention vor Rehabilitation vor Pflege

Selbsthilfe

Seit ihrem Einzug in den Münchner Stadtrat im Jahre 1984 unterstützen wir GRÜNE dieSelbsthilfe und Selbsthilfeorganisation engagierter BürgerInnen. Die städtische Förderung hat erheblich dazu beigetragen, daß heute in München ein breitgefächertes Netz an Gruppen und Initiativen existiert . Mit über 1.200 Gruppen, in denen sich mehr als 25.000 Menschen engagieren, hat sich die Selbsthilfe neben den Angeboten der freien Wohlfahrtspflege und den städtischen Diensten zum dritten Standbein in der sozialen und medizinischen Versorgung Münchens entwickelt.
Selbsthilfegruppen ermöglichen und unterstützen die Versorgung und Rehabilitation chronisch kranker Menschen ebenso wie die gegenseitige Hilfe für Menschen mit psychischen oder sozialen Problemen. Mit ihrem spezifischen Fachwissen sind sie vorbeugend und aufklärend tätig. Dadurch tragen sie zur Fortentwicklung des kommunalen Sozial- und Gesundheitssystems bei. 
Ihre Aktivitäten bedeuten aber zugleich ein hohes Maß an ehrenamtlicher Arbeit. Eine Studie ergab für das Jahr 1992, daß die Mitglieder der 200 finanziell geförderten Gruppen 850.000 Stunden nichtbezahlte Hilfe und Unterstützung für andere Menschen erbrachten. Rechnet man die ehrenamtlichen Leistungen in Geld um, so kommt man zu dem Ergebnis, daß pro 100,- DM Fördersumme der Stadt von den Gruppen ehrenamtliche Arbeit für 330,- DM geleistet wird.
Aufgrund der äußerst positiven Ergebnisse, die in den letzten zehn Jahren mit der Selbsthilfeförderung erreicht wurden, treten Bündnis 90/DIE GRÜNEN dafür ein :
  • die Förderung von Selbsthilfe-Initiativen und der notwendigen Infrastruktur-Einrichtungen in vollem Umfang beizubehalten
  • die Förderrichtlinien so fortzuschreiben, daß sie die innovativen Entwicklungen in der Selbsthilfe unterstützen und nicht behindern 
  • die Überleitung von etablierten Selbsthilfeprojekten als notwendige und sinnvolle Einrichtungen in die Regelförderung wieder in größerem Umfang zu ermöglichen

Mit Behinderten leben

Behinderte sind zahllosen Benachteiligungen ausgesetzt. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist entmutigend. Sozialhilfe und andere Sozialleistungen bedeuten für Behinderte nicht das letzte, sondern das einzige Netz zur lebenslangen Finanzierung von Hilfe, Pflege und Förderung. Die Möglichkeiten selbstbestimmter Lebens- und Wohnformen sind gering. Dem größten Teil behinderter Kinder ist in Bayern, im Gegensatz zu anderen Bundesländern, die Integration in die Regelschule verwehrt. 
Bündnis 90/DIE GRÜNEN nehmen Menschen mit und ohne Behinderung mit all ihren Stärken und Schwächen an. Wir wollen behinderte Kinder, Frauen und Männer in die Gesellschaft integrieren und ihnen Angebote machen, die sich auf ihre unterschiedlichen persönlichen Fähigkeiten beziehen und ihrer Lebenssituation angepaßt sind.
In München haben wir dabei Folgendes erreicht:
  • Die Behindertenfahrdienste konnten erhalten werden.
  • Der behindertengerechte Ausbau des MVV geht voran: Niederflurbusse und -straßenbahnen werden vermehrt eingesetzt.
Bündnis 90/DIE GRÜNEN setzen auf integriertes Wohnen bzw. die Wahlfreiheit beim Wohnen und versuchen, Behindertenghettos in München zu verhindern. In den nächsten Jahren werden wir uns für folgende Verbesserungen einsetzen: 
  • den lückenlosen Aufbau der Versorgungskette im Pflegebereich
  • den Vorrang des selbstbestimmten Lebens vor der Heimunterbringung durch Schaffung betreuter Wohnformen für Behinderte bis hin zur 24-Stundenpflege

Armut am Rande der Datenautobahn

Die Traumstadt Nr. 1 für die Deutschen ist für viele MünchnerInnen eine Alptraumstadt. Der sichtbare Reichtum dieser Stadt ist nicht für sie geschaffen. Der nach wie vor beliebteste Wirtschaftsstandort hebt ab und läßt eine stetig zunehmende Armutsbevölkerung zurück. Der Reichtum der Modernisierungstrendsetterin München braucht viele Menschen nicht mehr. Wie hat Andre Gorz gesagt: "Wir nähern uns der Zeit, in der es ein Privileg sein wird, noch ausgebeutet zu werden." Armut ist nicht nur die Kehrseite des Reichtums, sondern auch seine Voraussetzung.
Die Zahl der SozialhilfeempfängerInnen betrug im März 1994 noch 43.455 Personen, im März 1995 waren es bereits 50.984. Das ist eine Steigerung in einem Jahr von mehr als 17 Prozent. Die Arbeitslosenzahl steht bei ca. 46.000 Personen. Gleichzeitig sind ca. 7.000 Haushalte obdachlos - also von der Stadt in vorübergehenden Wohnraum eingewiesen - ca. 800 Personen leben ganz auf der Straße. Der Armutsbericht der Landeshauptstadt kommt zu dem Schluß, daß ungefähr 15% der Münchner Bevölkerung als arm zu bezeichnen sind. Tendenz: steigend.

Armut essen Seele auf

Zahlen sagen nichts über die dahinter stehenden Einzelschicksale. Armut zerstört Lebensentwürfe. Die Abhängigkeit von Transfereinkommen wie Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe oder -geld ermöglicht kaum noch eine langfristige Lebensplanung. Kinder, die in Pensionen aufwachsen, werden ihrer Kindheit beraubt. Armut zerstört Familien und Beziehungen. Wer arm ist, wird auf Dauer sein Selbstwertgefühl verlieren. Die Zahl von Kindern, die in Armut aufwachsen, nimmt mit der Verarmung der Familien stetig zu. Genauso steigt die Zahl armer Frauen. 

Armut isoliert

Wer arm ist, will sich nicht zeigen. Wer arm ist, kann am gesellschaftlichen Leben auch kaum noch teilnehmen. Die westdeutsche Armutsgrenze - nach der Definition der Europäischen Gemeinschaft, wonach der Familienverdienst weniger als 50% des durchschnittlichen Nettoeinkommens beträgt - liegt bei 601 Mark im Monat. Die Münchner Armutsgrenze liegt dementsprechend bei 961 Mark im Monat. Diese Grenze traut sich aber niemand anzusetzen, weil damit die Armutsbevölkerung in München statistisch rapide zunehmen würde. Auch für München - obwohl diese Stadt die zweithöchste Lebenshaltungskosten der Republik hat - wird bei den Armutsberechnungen also die Armutsgrenze BRD (alte Länder) zugrunde gelegt. Versuchen Sie einmal, mit 601 Mark im Monat in München auszukommen und gleicheitig im gesellschaftlichenund kulturellen Leben teilzunehmen.

Armut läßt sich wegdefinieren

Im Rahmen der Haushaltskonsolidierungsgesetze der Jahre 1993 und 1994 wurden die Sozialhilferegelsätze durch den Bundesgesetzgeber "gedeckelt." Eine entsprechende Verordnung des Freistaates Bayern verbietet der Landeshauptstadt zur Zeit, den Münchner Regelsatz entsprechend den Steigerungen der Lebenshaltungskosten zu erhöhen. Der Regelsatz beträgt (Stand: 1. Juli 1995) 571 DM/Monat für den Haushaltsvorstand, zuzüglich Miete. Aufgrund der Deckelung durfte der Sozialhilferegelsatz von 1994 - 1996 nur um 4 DM steigen. Dies bedeutet einen Kaufkraftverlust von ca. 28 DM. Die Armen werden also immer ärmer. Aber Armut läßt sich wegdefinieren: nach Auffassung der CSU kann nicht arm sein, wer Sozialhilfe bekommt. Denn Sozialhilfe verhindert die Armut ja. Und da die CSU-Stadtratsfraktion in München sich für nichts zu schade ist, hat sie sogar die letzte Erhöhung der Sozialhilfe für München um drei Mark abgelehnt.

Bekämpfen wir die Armut, nicht die Armen

Die GRÜNEN haben in den letzten Jahren wiederholt versucht, die Armut konzeptionell zu bekämpfen. So haben wir u. a. gefordert und werden auch weiterhin eintreten für: 
  • einen Gesamtplan zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit
  • die Schließung der Versorgungskette in der ambulanten und stationären Pflege 
  • eine Anhebung der Regelsätze in München (mindestens) bis zur Armutsgrenze von 601 DM
  • einen Solidarpakt für Münchens Arme, der allen MünchnerInnen die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben ermöglicht.
  • Erhalt und Ausbau der Arbeitsförderungsinitiative MBQ 
  • keine Kürzungen der übergeordneten Sicherungssysteme (Arbeitslosengeld/-hilfe) zu Lasten der kommunalen Finanzmittel 
  • Umstrukturierung der Verwaltung um gezieltere Hilfestellung geben zu können

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