Kommunales
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Programm-Beispiel : München Kommunalwahl 1996

MÜNCHNERINNEN OHNE DEUTSCHEN PAß 

Für eine multikulturelle Stadtgesellschaft

Der Paß eines Menschen ist uns egal. Damit fühlen wir uns der Aufklärung und ihrem Leitsatz Alle Menschen sind frei und gleich geboren verbunden.
Die Anliegen, Probleme und Sorgen der hier lebenden EinwanderInnen und Flüchtlinge sind für die Grünen seit ihrer Gründung ein wichtiges politisches Thema. Verpflanzt in eine neue Kultur mit einer anderen Sprache und fremden Bräuchen haben viele von ihnen große Probleme damit, sich zurecht zu finden. Nicht zuletzt die vielen Anfeindungen gegen AusländerInnen haben uns dazu veranlaßt, uns für diese Bevölkerungsgruppe einzusetzen und politische Rechte für sie einzufordern. 

In Zusammenarbeit mit Gruppen aus der Menschenrechts-, MigrantInnen- Ökologie- und Frauenbewegung ist es den Grünen im Rathaus seit 1990 gelungen, die Gleichberechtigung neuer InländerInnen ins Blickfeld der Öffentlichkeit zu rücken und einige Ideen und Projekte zu verwirklichen:

  • Die Direktwahl des Ausländerbeirats war ein deutliches Zeichen dafür, daß MünchnerInnen auch ohne deutschen Paß sehr wohl politische Verantwortung übernehmen können und wollen. 
  • Als großen Erfolg betrachten wir die Einrichtung der Stelle einer AusländerInnenbeauftragten, die gegen die Diskriminierung in der Verwaltung  nach außen wirkt.
  • Die eingerichtete Ombudsstelle für AusländerInnen ist im Büro des Oberbürgermeisters angesiedelt und eine Anlaufstelle für besonders problematische dringende Einzelfälle. Sie kann Akteneinsicht beim Kreisverwaltungsreferat fordern.
  • Erstmalig ist es uns auch gelungen, in einem Flüchtlingsamt verschiedene Stellen, die mit diesen Themen betraut sind, unter einem Dach zusammenzufassen. Z.B. wird die Betreuung für AsylbewerberInnen in den städtischen Unterkünften durch den studentischen Betreuungsdienst von dort aus organisiert, die zuständigen Stellen aus dem Wohnungs-, Sozial- und Jugendamt sowie des ASD sind dort zusammengeführt. Noch zu verwirklichen ist die Integration der für die Flüchtlingsbetreuung zuständigen MitarbeiterInnen aus dem Kreisverwaltungsreferat.
  • Flüchtlinge, die oft unter schwersten Bedingungen ihren Weg nach München gefunden haben, sind oft Opfer von willkürlicher Gewalt und grauenvoller Folter. Für sie wurde die psychosoziale Beratungsstelle "Refugio" eingerichtet, um ihnen über ihre traumatischen Erlebnisse hinweg zu helfen.
  • Das internationale Vereinshaus in der Schwanthalerstraße beherbergt nicht nur ausländische Vereine, sondern hat seine Türen auch für deutsche Vereine und Initiativen geöffnet. So kann auch ein reger Austausch zwischen den verschiedensten Menschen stattfinden und München ist um eine multikulturelle Einrichtung reicher.
Unsere politische Forderung ist und bleibt die soziale, politische und kulturelle Gleichstellung aller hier lebenden Menschen. Das ist die Grundvoraussetzung für ein friedliches und solidarisches Zusammenleben in München.

Wahlrecht

AusländerInnen in der Bundesrepublik Deutschland leben - was ihre politischen Rechte anbelangt - noch immer in Zeiten vor der Aufklärung. Sie haben zwar alle staatsbürgerlichen Pflichten, aber keine Rechte. Eines der elementarsten Rechte, das aktive und passive Wahlrecht, wird AusländerInnen in der Bundesrepublik nach wie vor vorenthalten.

In der Einführung des kommunalen Wahlrechts für BürgerInnen aus Staaten der Europäischen Union sehen wir durchaus einen Schritt in die richtige Richtung. Doch dieser Schritt reißt auch neue Gräben auf. Wir haben jetzt wieder ein Dreiklassenwahlrecht:

  • die deutschen MünchnerInnen dürfen an allen Wahlen teilnehmen
  • die EU-MünchnerInnen dürfen (nur) an den Kommunalwahlen teilnehmen 
  • die MünchnerInnen, die nicht aus einem Land der EU kommen, dürfen überhaupt nicht wählen.
Nach den jetzigen Regelungen kann z.B. eine Türkin, die bereits seit 30 Jahren hier lebt und arbeitet, nicht wählen, ein Bürger eines EU-Landes kann aber bereits nach drei Monaten in München an der Kommunalwahl teilnehmen. Das Wahlrecht hängt also nicht vom "Grad der Integration" ab, wie die Bundesregierung und die Bayerische Staatsregierung immer behaupten. Die Verweigerung des Wahlrechts ist eine politische Schikane und nicht inhaltlich begründet.

In dieser Situation, die die Ungleichbehandlung noch einmal differenziert und verfeinert, hat Bündnis 90/DIE GRÜNEN großes Verständnis für die  EinwanderInnen, die nicht mehr auf die Durchsetzung ihrer Bürgerrechte warten wollen und sich einbügern lassen.
Wir fordern Wahlrecht für alle. Das kommunale Wahlrecht soll allen hier Lebenden nach zwei Jahren gegeben werden.

Menschenwürdige Anwendung des Ausländerrechts

Solange zentrale grüne Forderungen wie die doppelte Staatsbürgerschaft und das aktive und passive Wahlrecht für alle, die seit mindestens fünf Jahren hier leben, von den Bonner Betonköpfen blockiert werden, ist ein menschenwürdiger Vollzug des Ausländerrechts von besonderer Bedeutung. 
Für die Handhabung von Vollzugsbestimmungen hat die Verwaltung immer einen Ermessensspielraum. Er erlaubt eine restriktive oder eine humane Auslegung, d.h. eine Auslegung, die sich am Interesse des Einzelnen, an der Achtung vor seinen Freiheiten und unveräußerlichten Rechten orientiert. Hierunter fällt auch unsere Forderung nach einem eigenständigem Aufenthaltsrecht für ausländische Ehefrauen. Mit Hilfe des Ausländerrechts ist es der Bayerischen Staatsregierung gelungen, die Ausländerbehörden für ihre menschenverachtendende Ausländerpolitik zu instrumentalisieren. Angehörige ethnischer Minderheiten werden bewußt zu Sündenböcken gemacht um vom eigenen politischen Versagen abzulenken. Rechtsstaatliches Handeln degeneriert hier zu einer leeren Floskel und führt zu sozialer und emotionaler Kälte. Eine solche diskriminierende Anwendung von Gesetzen führt zu organisiertem Unrecht in der Gesellschaft,. Dies trifft auch EinwanderInnen, die seit vielen Jahren hier leben. Hierfür ist der amtlich verordnete Rassismus des Münchner Kreisverwaltungsreferenten Hans-Peter Uhl ein besonders abschreckendes Beispiel. Eine weitere Amtsperiode dieses Referenten wollen wir verhindern.

Kriminalisierung von AusländerInnen

Es ist unbestritten, daß bei tatverdächtigen Jugendlichen und bei Gewaltdelikten der Anteil der AusländerInnen angestiegen ist. Auf diese Tatsache muß mit politischen Konzepten reagiert werden.

Jugendliche

Die Lebenssituation ausländischer Jugendlicher ist mitverantwortlich für ihr Absinken in die Kriminalität: Beengte Wohnraumverhältnisse, Abschiebung auf Hauptschulen (60% der SchülerInnen in der 8.und 9. Klasse einer Hauptschule sind ausländische Jugendliche), Schwierigkeiten bei der Berufswahl, wachsende Arbeitslosigkeit und nicht zuletzt die gesellschaftliche Rollenzuweisung, unerwünschter Fremdling  zu sein. Die Freizeitheime sind mit ihrer multikulturellen Arbeit oft überfordert. Die ständige Bedrohung durch Abschiebung, auch wegen kleinerer Straftaten schafft ein Klima der Verunsicherung und der sozialen Desintegration.  
Wir brauchen Konzepte, damit diese Jugendlichen es nicht mehr nötig haben, sich in Kriminalität behaupten zu wollen. Die Jugendlichen sollen das Gefühl haben, in München willkommen zu sein, MünchnerInnen zu sein. Die Bedeutung der Arbeit mit deutschen und ausländischen Jugendlichen muß noch mehr ins Bewußtsein der Jugendarbeit gerückt werden. Die bloße Anwesenheit von nichtdeutschen Kindern, ein "gemischtes" Fußballturnier oder ein türkischer Diskjockey machen noch keine interkulturelle Jugendarbeit aus.
Unsere Forderungen:
  • Verbesserte Ausbildungsangebote auf städtischer Ebene 
  • Bestehende Spielräume sind von der Stadt so auszunutzen, daß keine Jugendlichen ausgewiesen werden.
  • Ausbildung der LehrerInnen zu multikultureller Erziehung
  • Einstellung von Streetworkern, Sozialarbeitern und Polizisten, die selbst Ausländer sind oder im Umgang mit ethnischen Minderheiten ausgebildet wurden
  • Außerschulische, ausbildungsbegleidende Maßnahmen

AsylbewerberInnen

Da das Recht auf Asyl Bestandteil des Grundgesetzes ist, muß auch dafür gesorgt werden, daß dieses Recht in Anspruch genommen werden kann. Das bedeutet, daß Lebensbedingungen geschaffen werden müssen, die nicht automatisch kriminalisieren. Man stelle sich 300-500 Deutsche in einem Containerlager vor, auf engstem Raum, ohne Privatsphäre, ohne Arbeitsmöglichkeit etc. Man stelle sich das jetzt für Angehörige verschiedenster Nationalitäten vor (36 Nationalitäten sind in Obersendling in einem Lager), mit Sprachproblemen, mit einem einzigen Telefon, mit verkommenen Sanitär- und Küchenanlagen.
Unsere Forderungen:
  • dezentrale Unterbringung von AsylbewerberInnen
  • realistische Arbeitsmöglichkeiten
  • Einhaltung des bereits bestehenden Ausländergesetzes, d.h., keine Abschiebung von AsylbewerberInnen, die Folter erwartet oder selbstmordgefährdet sind.
  • Die Stadt muß alle juristischen Spielräume ausnutzen, um Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren ein Bleiben zu ermöglichen.
  • Ausweitung des Betreuungsdienstes für Kinder in den städtischen Sammelunterkünften.
  • Ausstattung der Unterkünfte auf Durchschnittsniveau und Kontrolle der Einrichtung
  • Wir unterstützen die Arbeit und Forderungen von Pro Asyl.

Antidiskriminierung

Die Diskriminierung von EinwanderInnen und Flüchtlingen ist die bewußte Benachteiligung dieser Bevölkerungsgruppe. Diskriminierung geschieht sowohl in der offiziellen Politik der Bundesregierung, im Vollzug des Ausländergesetzes und des Asylrechts als auch im alltäglichen Umgang miteinander. Die Ungleichbehandlung ist also gewollt.
Unsere Forderungen:
  • Aufbau einer städtischen Antidiskriminierungspolitik. Dies soll in Zusammenarbeit mit allen in diesem Bereich bereits tätigen Organisationen und Gruppen geschehen. Die Federführung hierfür ist der städtischen AusländerInnenbeauftragten zu übergeben.
  • Ernennung von Antidiskriminierungsbeauftragten in allen städtischen Referaten
  • Einsetzung einer "Kommission zur Begleitung der Arbeit der AusländerInnenbeauftragten". In dieser sollen vertreten sein: Die AusländerInnenbeauftragte, die im Rathaus vertretenen Parteien, externe ExpertInnen, der AusländerInnenbeirat, die Antidiskriminisierungs-beauftragten der städtischen Referate, das Jugendamt, die Polizei, der Ombudsmann, das Flüchtlingsamt.
  • Sichtung der bestehenden und zukünftigen Stadtratsbeschlüsse auf Diskriminierung von AusländerInnen.
  • Einstellung von MigrantInnen in allen städtischen Dienststellen (Förderpläne für ethnische Minderheiten)
  • Kulturelle Autonomie für ethnischen Minderheiten

AusländerInnenbeirat

Der AusländerInnenbeirat ist für Bündnis 90/DIE GRÜNEN eines der wichtigsten Gremien für die Meinungsbildung der ethnischen Minderheiten auf kommunaler Ebene. Deshalb muß sein Einfluß verstärkt werden.
Unsere Forderungen:
  • Aufwertung der Vollversammlung des AusländerInnenbeirates durch Umwandlung in einen vorberatenden Ausschuß, vergleichbar dem Sozialhilfeausschuß.
  • weiterer Ausbau der finanziellen Eigenständigkeit der Geschäftsstelle des AusländerInnenbeirates

Amt für multikulturelle Angelegenheiten.

Die Zuständigkeiten für AusländerInnen sind bisher über verschiedene Ämter und Referate verteilt. Um eine wirksame Koordinierung herzustellen, ist es sinnvoll diese Kompetenzen in einer Verwaltungsstelle zusammenzufassen. Wir fordern deshalb die Einrichtung eines Amtes für multikulturelle Angelegenheiten. Die Geschäftsstelle des AusländerInnenbeirates, die AusländerInnenbeauftragte, das Flüchtlingsamt, der Ombudsmann sowie einzelne MitarbeiterInnen verschiedener Referate sollen diesem Amt zugeordnet werden.

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