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Heidi Meinzolt-Depner

Vielleicht doch lieber wieder mehr STREITKULTUR -
als zu viel LEIT(D)KULTUR !

Das berühmte Paradox von Alexis de Toqueville, der sagt " die Unzufriedenheit steigt, wenn sich die Tage bessern ", sollte man sich in der grünen Gegenwart wieder einmal auf der Zunge zergehen lassen. Die Politshow unter dem Motto "Grün und gut " und Grundwertedebatten, die als Wahlkampfspektakel inszeniert werden, verfälschen das Stimmungsbild. Das mediengerechte Schönreden des Programms der kleinen Schritte - unbestreitbar mit einigen Erfolgen - muß sich an der oft tristen politischen Realität vor Ort messen lassen. Enthaltung und wachsender Immobilismus, Enttäuschungen der Basis, die " Non-Confrontation " wie dies Zaki Laidi, ein französischer Politologe kürzlich in Libération ausdrückt, sind kein Vermittlungsproblem von Politik, sondern die Vorbereitungen auf Wahlniederlagen.

Wahre Abgründe tun sich inzwischen auf zwischen dem politischen Ehrgeiz einer professionalisierten Politikerkaste, die mit den Insignien der Macht versehen und von Politikverwaltung umgeben sind und den Anderen, den Noch-AktivistInnen in und um die Grünen. Der Mangel an geistig-politischer Toleranz, an Transparenz und produktivem Streit, das Fehlen von Querdenkern und Quereinsteigern spitzen den Druck zum Konformismus und den Glauben ins Machbare z.B. durch Regierungshandeln dramatisch zu.

Was soll der Slogan " der Modernisierung die Richtung verpassen " außer, daß er den krampfhaften Versuch darstellt, mit der Wirtschaft Schritt zu halten. Zwischen den Polen Politik und Wirtschaft wird die Zivilgesellschaft auf ihre Wählerfunktion reduziert, wobei das besondere Interesse aller Parteien an der gesellschaftlichen Mitte auffällt. Erschwerend kommt hinzu, daß sich auch die grüne Politik mit ihrer Etablierung im System immer mehr im Kreis ihrer eigenen Interessen dreht und nicht mehr auf die Kraft von Initiativen und deren eigenständigen zum Teil grundlegenden Alternativen zum Mainstream setzt. In dem Auseinanderdriften der drei Hauptakteure von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft liegt viel Sprengstoff und gleichzeitig die Gefahr dramatischer Lähmung. Wenn also einerseits die Politik leerläuft und die Zivilgesellschaft nicht stärkt, dann siegt " die Wirtschaft " und der Teufelskreis aus zwanghaftem Wachstum und Profitdenken ist geschlossen.

Die Idee vom Spielbein und Standbein der grünen Politik ist ausgeträumt - das eine spielt nicht mehr, das andere hat allein nicht genügend Standfestigkeit und so kommt jetzt das grüne Projekt als Ganzes ins Trudeln. Die internen Strategieschlachten mit endlosen Strukturdebatten wurden im Laufe der letzten Jahre geschlagen. Damit wurde eine für die Macher unbequeme Basis nach Effizienzgesichtspunkten und purem Darwinismus zurechtgestutzt. Jetzt gibt es weniger Reibungspunkte, aber die Wirkung ist "nachhaltiger" als manche wahrhaben wollen: die Beteiligung der Menschen am politischen Projekt bricht weg, weil gerade das grüne Projekt nicht von der mundgerechten Vermarktung der Polithäppchen in der Mediokratie lebt und nicht von der Delegation von Verantwortung. Es lebt von Überzeugungen und Sensibilitäten, die sich Mitglieder und Sympathisanten zu eigen gemacht haben, und die sie vor Ort und in Initiativen glaubhaft vertreten. Dies wird zunehmend entwertet, weil das nicht hinreichend scheint für das große Politikgeschäft.

Ist diese Logik angesichts des Medienanspruchs an " Regierungsfähigkeit " und bei der ungeheuren Komplexität von Politik im Zeitalter von Globalisierung noch umkehrbar? Wohl kaum ohne die durchschlagende Kraft von Visionen, von Opposition im Kopf, von Denken außerhalb vorgegebner Bahnen, das uns so einmal so anspornte. Jetzt tut dies scheinbar nicht mehr gut, ja wird als störend für den Konsens empfunden.

Der große Aufbruch, den es in den 1980 er-Grundwerten gab, wird nun zur Programmrevision einer Kommission überlassen, mit dem Auftrag, sie zurechtzuschleifen für die Neue Zeit. Obwohl in meinen Augen gerade ein lebendiger, belebender Prozess mit offenem Ausgang über Parteigrenzen hinaus die einzige im Augenblick zu rechtfertigende Begründung für ein neues Grundsatzprogramm wäre. Internet ersetzt dies nicht. Woher sollte aber der Mut und die Motivation für Unkonventionelles kommen, wenn sich manche schon fragen, wozu Veränderung, wenn man doch angekommen ist ? Als Ausweg aus diesem Dilemma wird das Grundsatzprogramm - wie die ersten Entwürfe der Kommission zeigen - mit Leitbildern( statt grüner Leitkultur ?) nicht an Zukunftsideen, sondern an den gesellschaftlichen Status quo angelehnt.

Die neue Sprachregelung der Grünen weist eher auf die Absegnung einer innerparteilichen Trendwende, zur reinen Realpolitik mit wenig Unterschieden zu den anderen Partein und geringem eigenen Profil hin. Diese Richtungsentscheidung soll nun möglicherweise am Grundsatzprogramm entgültig geschlagen werden. Es werden noch ein paar weitgehend sinnentleerte Wertehülsen bleiben: " gewaltfrei " ja, aber der Pazifismus ist out, weil er der neuen weltpolitischen Interessenpolitik und den Bestrebungen nach Intervention für die " gute Sache " nicht mehr entspricht - " basisdemokratisch " nein, ist schon lange entsorgt, denn wo kämen wir denn hin, wenn jeder mitreden wollte ! So oder anders wird Ballast abgeworfen und manches genau auf den Dachboden entsorgt, wo es einige junge Grüne schon vor Jahren verräumen wollten. Aber diesen Jungen sind die Flügel schon gestutzt, bevor sie losfliegen und andere wollen sich in die engen Parteistrukturen nicht ein-und unterordnen wollen. Damit wären wir wieder bei dem Zielkonflikt zwischen Engagement und Politikverwaltung. Bleibt letztlich die Frage, ob dafür noch gesellschaftliche Mehrheiten zu finden sind ?

Gibt es also noch eine Rolle in den Grünen für eine kritische linke Basis, ohne daß sie gänzlich der Lähmung verfällt?
Es wäre sicher falsch, sich der " zwingenden Logik " des politischen Alltagspragmatismus zu beugen, der da heißt, die Grünen in Regierungsverantwortung müssen zwangsläufig strukturell so werden wie die anderen Parteien und inhaltlich sich ausschließlich ans Machbare ankoppeln.
Die Vision der gesellschaftlichen Veränderung (für eine demokratische, gewaltfreie, emanzipative, soziale, ökologische Perspektive) als Motivation für unser politisches Engagement dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren. Weil diese Perspektive politisch überhaupt nur bei den Grünen im Augenblick eine Heimat haben könnte, müssen wir vielleicht versuchen, die eigene Ungeduld zu bezähmen. Die Veränderung in den Köpfen und Herzen der Menschen war ja immer langfristig angelegt. Und die Nachhaltigkeit liegt nicht in den politischen Funktionsträgern oder in den Jahren in der Regierung, sondern darin, wieviel Überzeugungskraft wir entwickeln können. Da wir damit zur Zeit allzu sehr in die Defensive gedrängt werden durch systemkonforme Spitzenvertreter, müssen wir uns vielleicht mehr an die Zeit danach ( z.B. bei Reißen der 5%-Hürde) binden, in der diese dann das reihenweise das Handtuck schmeißen werden. Die " grüne Sache " gerade auch in einem internationalen Zusammenhang wird damit nicht an sich obsolet und für Zusammenarbeit jenseits nationaler Ängste und Grenzen gibt es Partner in Ost und West, Nord und Süd. Inzwischen gibt es auch eine Reihe von interessanten Bewegungen wie z.B. Attac / Porto Allegre usw., die so viel Dampf erzeugen können, daß es wieder neue Perspektiven jenseits der neoliberalen Gestaltung gibt.

Trotz aller gesetzter Redebeiträge auf Versammlungen, trotz der weitgehenden Ignoranz gegenüber Basisengagement sollten wir den quasi-Maulkorb für Kritiker verweigern. Die Beweislast für die Frage, was denn nicht mehr zeitgemäß ist und was Grün wirklich bewegen könnte, ließe sich auch umdrehen, so daß die Modernisierer dazu Stellung beziehen müßten. Die Anti-Atombewegung europa-und weltweit macht es uns ja im Moment vor welchen Druck die Politik, auch die grüne Politik, eigentlich verdient hat und dringend braucht.

Deshalb müssen wir uns weiterhin einmischen! Damit für uns nicht die Überzeugung zu unserer eigenen Lebenslüge konvertiert und Demokratie wieder zum Wagnis auch innerhalb der Partei wird. Der Einmischung folgt die Vernetzung von Ideen und Aktionen auf dem Fuß, damit sich daraus die Dynamik entfaltet, die der Globalisierung nicht nur hinterherhechelt, sondern den Absolutheitsanspruch nimmt und die ihr auch die Definitionsmacht über alle Lebenszusammenhänge streitig macht - im Welthandel genauso wie in der Verbraucherszene vor Ort. Deshalb brauchen wir Vernetzung !

Zum Schluß liegt mir besonders am Herzen, daß die Zivilgesellschaft als gewaltfreie, zivile Gesellschaft wieder im ursprünglichen Wortsinn eine Rolle spielt für die Politik. Dies ist unverzichtbar, damit wir Prävention als Wert an sich neu denken können, um damit auch die Lösung aus der Gewaltspirale der "ultima ratio" voranzutreiben. Dieses grundsätzlich andere Umgehen mit Gewalt ist eine Nagelprobe für die Grünen.

Heidi Meinzolt-Depner, T/F 089 89979690, Meinzolt-Depner@t-online.de

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