Initiative für Investitionen, Arbeit und Umwelt
(Stand: 23.3.99)
,In der Debatte"
Mit dieser Publikationsreihe wollen wir vor allem schnell auf aktuelle Debatten
reagieren und Argumentationslinien aufzeigen. Bei neuen Entwicklungen kann es
weitere Ausgaben zum selben Thema geben.
Mehr zu den Themen gibt's wie immer auf unserer website im internet: www.gruene-fraktion.de
Weitere Informationen:
Bündnis 90/ Die Grünen Bundestagsfraktion
Bundeshaus HT
53113 Bonn
T. 0228/16-45518
F. 0228/16-46552
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Impressum:
Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
Referat Öffentlichkeitsarbeit
Bundeshaus, 53113 Bonn
Wir haben der Fraktion am 16.3.99 das folgende Papier zur Diskussion vorgelegt. Auf der Fraktionsversammlung am 23.3. wurde beschlossen, daß es Grundlage für die weitere Diskussion und Konkretisierung in den einzelnen Bereichen sein und insbesondere als Basis für den Beitrag der Fraktion beim Bündnis für Arbeit dienen soll.
Matthias Berninger, Thea Dückert, Franziska Eichstedt-Bohlig, Michaele Hustedt, Hans-Josef Fell, Andrea Fischer, Katrin Göring-Eckardt, Kristin Heyne, Winne Hermann, Antje Hermenau, Michaele Hustedt, Reinhard Loske, Oswald Metzger, Klaus Müller, Christine Scheel, Albert Schmidt, Margareta Wolf
Initiative für Investitionen, Arbeit und Umwelt
1. Vorbemerkung
2. Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Investitionen
3. Neue Impulse für den Arbeitsmarkt
4. Ökologische Modernisierung
5. Renten- und Gesundheitsreform
6. Tarifpolitik
7. Finanzierung
1. Vorbemerkung
Die Wählerinnen und Wähler haben der rot-grünen Regierung einen
klaren gemeinsamen Auftrag gegeben. Sie wurde gewählt, um die Arbeitslosigkeit
erfolgreich zu bekämpfen, den Reformstau aufzulösen, um die ökologischen
Herausforderungen entschlossen anzugehen und schließlich um gegen die
soziale Kälte von CDU und FDP Gerechtigkeit neu zu gründen.
In den letzten Monaten wurde einiges auf den Weg gebracht. Kleinere und mittlere
Einkommen, Familien mit Kindern sowie kleine und mittlere Unternehmen wurden
entlastet. Die Gerechtigkeitslücke der Kohl-Ära ist teilweise geschlossen
worden. In Verbindung mit den jüngsten Tarifabschlüssen wurde so die
Nachfrage in unserer Volkswirtschaft gestärkt. Der Einstieg in die ökologische
Steuerreform, verbunden mit der Senkung der Sozialbeiträge, ist geschafft.
Für die weiteren Stufen muß allerdings die ökologische Lenkungswirkung
verstärkt werden.
Manches wurde unter dem selbstgesetzten 100-Tage-Zeitdruck zu überhastet
angegangen. Dies erklärt Fehler und erzwang mehrfache ,Nachbesserungen".
Die Reformarbeit unserer Regierung muß professioneller werden und klarer
die angestrebte Richtung herausarbeiten. Sie muß auch stärker im
Dialog mit der Gesellschaft abgestimmt und vermittelt werden.
Die Koalitionsregierung aus SPD und Grünen hat jetzt eine zweite Chance,
den Auftrag ihrer Wählerinnen und Wähler zu erfüllen. Sie muß
hierzu Nachfragepolitik und Angebotspolitik in ein vernünftiges Verhältnis
setzten. Investitionen in Arbeit werden durch Nachfrage auf dem Binnenmarkt
und durch verläßliche politische Rahmenbedingungen ausgelöst.
Es ist Aufgabe unserer Politik, in den Feldern von Forschung, Bildung, Ökologie
und Wirtschaft Innovationen anzustoßen, die zukunftsfähige
Arbeitsplätze in Dienstleistung und Produktion nach sich ziehen.
Wir Grünen wollen dazu unseren Beitrag leisten. Wir verstehen uns als Reformmotor
des notwendigen Strukturwandels. Wir wollen auch die Perspektive zukünftiger
Generationen bei Fragen der Ökologie, der Rentenreform und der Staatsverschuldung
in das Blickfeld der heutigen Reformpolitik rücken. Das sind unbequeme
Fragen, denen wir uns nicht verschließen wollen.
Wir stehen für eine Politik, die neue Arbeitsplätze schafft, die den
Sozialstaat durch Reformen sichert und die Modernisierung von Wirtschaft, Gesellschaft
und Politik anpackt. Unser Leitbegriff ist die nachhaltige Entwicklung.
Im Bündnis für Arbeit, das auch ein Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit,
Umwelt und Gerechtigkeit ist, wird in den nächsten Monaten über zentrale
Weichenstellungen für die Zukunft unseres Landes beraten. Es geht um die
Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft, bei der wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit
nicht durch Spaltung der Gesellschaft oder zu Lasten künftiger Generationen
erreicht wird, sondern durch gemeinsame Übernahme von Verantwortung für
das Ganze.
Wir verstehen das Bündnis für Arbeit nicht als lockeren Gesprächskreis,
bei dem die Beteiligten Zuwächse und Entlastungen abholen. Vielmehr ist
das Bündnis, moderiert und geführt vom Bundeskanzler, ein Ort, wo
geklärt wird, wer im Prozeß der wirtschaftlichen und sozialen Erneuerung
der Bundesrepublik welche Pflichten und Aufgaben übernimmt. Kurzfristige
Veränderungen sind dabei wünschenswert und anzustreben. Im Kern ist
das Bündnis für Arbeit aber ein sich über Jahre erstreckendes
Reformwerk, von dem wir glauben, daß über die klassischen Interessensvertreter
aus Wirtschaft und Gewerkschaft hinaus der Mittelstand und die Freien Berufe
mit einbezogen werden müssen.
Alle Beteiligten müssen sich entscheiden, ob sie das Bündnis wirklich
wollen. Abbruchdrohungen am Beginn von Gesprächen gefährden die Verständigung.
Erpressungsversuche aus Teilen der Wirtschaft tragen nicht dazu bei, das Klima
für eine gemeinsame Aktion gegen die Arbeitslosigkeit zu schaffen.
2. Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Investitionen
Die Grünen wollen die Rahmenbedingungen für Investitionen nachhaltig
verbessern. Mit einer rechtsformneutralen Unternehmensteuerreform beabsichtigen
wir, die Steuersätze auf 35%, unter Miteinbeziehung der Gewerbeertragsteuer
bzw. eines Hebesatzes der Gemeinden, zu senken. Der gespaltene Körperschaftsteuersatz
wird aufgehoben, Eigen- und Fremdkapitalfinanzierung werden gleichgestellt.
Die Bilanzierungsregelungen werden an internationale Standards angepaßt.
Damit wird auch die Liquidität der Unternehmen gestärkt.
Von der Unternehmensteuerreform müssen die kleinen und mittleren Unternehmen
profitieren. Wir wollen, daß vor allem diese Unternehmen die Hauptgewinner
der Reform sind. Kleine und mittlere Unternehmen schaffen, insbesondere im Dienstleistungsbereich,
die meisten neuen Arbeitsplätze.
Sie brauchen eine deutliche Vereinfachung des Unternehmensteuerrechts. Unternehmen,
deren Grenzsteuerbelastung gegenwärtig unter 35% liegt, dürfen durch
die rechtsformunabhängige Unternehmensteuerreform nicht stärker belastet
werden. Das körperschaftsteuerliche Anrechnungsverfahren ist international
nicht haltbar und muß durch eine europataugliche Reform
ersetzt werden.
Wir wollen, wie wir das schon in den Koalitionsverhandlungen vorgeschlagen haben, eine weitere Senkung des Spitzensteuersatzes. Eine solche Senkung des Spitzensteuersatzes ist ein positives wirtschaftliches Signal und reduziert eine zu weite Spreizung zwischen Unternehmensteuersatz und dem Spitzensteuersatz der Einkommensteuer. Wir wollen einen bei der Einkommensteuer einen Spitzensteuersatz von 47% (besser noch 45%) durchsetzen, der durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage finanziert wird.
Die Grünen halten eine Nettoentlastung für kleine und mittlere Unternehmen im Rahmen der Unternehmensteuerreform für wünschenswert und möglich. Deren Höhe hängt davon ab, wie hoch die Selbstfinanzierungseffekte realistischerweise eingeschätzt werden können. Die Verpflichtung der Unternehmen, Verantwortung für die notwendigen Investitionen zu übernehmen, ist somit Voraussetzung für energische Entlastungsschritte. Weitere Belastungen für den Haushalt oder Steuererhöhungen, um die Unternehmensteuerreform zu finanzieren, halten wir für nicht verantwortbar. Für den Erfolg des Bündnisses für Arbeit ist es ein wichtiges und notwendiges Signal, daß auch die Unternehmensvertreter den Standort positiv bewerten. Schlechtreden des Standorts schafft keine Arbeitsplätze.
Im Bündnis für Arbeit sind weitere Schritte zur Erleichterung von
Investitionen zu verabreden. Hierzu gehören Maßnahmen, die es ermöglichen
staatliches Handeln zu entbürokratisieren. Kleine und mittlere Betriebe
leiden zunehmend an einem Bürokratiekostenproblem. Durch Vereinfachung
und Systematisierung des Umweltrechts, durch neue Methoden des Umweltmanagements
sowie durch marktwirtschaftliche Instrumente kann das zersplitterte und undurchschaubare
Ordnungsrecht vereinfacht werden. So können Investitionen erleichtert werden,
ohne Standards abzusenken. Auch
die Zwangsmitgliedschaften der Gewerbetreibenden in Berufsgenossenschaften und
Industrie- und Handelskammern stellen einen erheblichen Kosten- und Bürokratiefaktor
dar. Wir plädieren für eine Überführung der Industrie- und
Handelskammern in eine privatrechtliche Organisationsform mit einer entsprechenden
Beitragsordnung. Wir wollen Freiheit bei der Auswahl der Berufsgenossenschaften.
Dieser Rückzug aus staatlichen Vorschriften und staatlicher Aufsicht ermöglicht
mehr Wettbewerb mit entsprechenden Kostenentlastungen.
Es wird ohne eine Reform der öffentlichen Verwaltung nicht gelingen, überzogene bürokratiebedingte Verpflichtungen der kleinen und mittleren Unternehmen abzubauen. Der öffentliche Sektor gleicht mit seinen oft schwerfälligen Entscheidungsprozessen, seiner Gesetzesflut und unübersichtlichen Vorgängen oftmals mehr einem Irrgarten als einer modernen, dienstleistungsorientierten Verwaltung.
Wir müssen Existenzgründungen erleichtern. Innovative GründerInnen
scheitern häufig, weil sich für sie der Zugang zu den nötigen
Krediten nicht immer erschließt. Ein privater Risikokapitalmarkt muß
aufgebaut werden. Die Möglichkeiten der Sparkassen und Genossenschaftsbanken,
Kredite für Risikogründungen zu gewähren, müssen verbessert
werden. Auch Unternehmensgründungen im Bereich ökologischer Innovationen
können so besser realisiert werden.
Die Regelungen zur Verhinderung von Scheinselbständigkeit müssen darauf
überprüft werden, ob sie sich in der Praxis bewähren oder selbständige
Erwerbstätigkeit erschweren.
Investitionen in Deutschland werden wesentlich attraktiver, wenn Ausbildung, Weiterbildung, Forschung und Entwicklung verbessert werden. Die alte Bundesregierung hat hier keine wirkliche Angebotspolitik betrieben. Sie verwechselte Angebotspolitik mit Geschenken für die Besserverdienenden. Vorausschauende Informationen und Investitionen in die Bildungspolitik, in Weiterbildung und in ,lebenslanges Lernen, ist eine entscheidende Zukunftsaufgabe der Politik. Dazu müssen Subventionen in Altindustrien eingespart werden, um die hierfür notwendigen Mittel bereitstellen zu können.
Für die fünf neuen Länder gelten folgende Prioritäten: Es müssen verstärkte Anstrengungen zur Stabilisierung der Eigenkapitalbasis ostdeutscher Unternehmen unternommen werden. Nach vierzig Jahren DDR- Regime und zehn Jahren Wirren der Wende sind immer noch viele Betriebe nicht in der Lage, ihre Eigenkapitalbasis zu stabilisieren und damit den nötigen Spielraum für Investitionen und Modernisierungen zu erarbeiten. Die fünf neuen Länder werden auch mittelfristig auf wirkungsvolle Unterstützung angewiesen sein, um den wirtschaftlichen Aufschwung zu schaffen. Nach dem berechtigten Ende der indirekten und ziellosen Förderung durch steuerliche Sonderabschreibungen ist jetzt vor allem eine direkte Förderung durch Zuschüsse vorzunehmen. Wir treten für einen klaren und konzentrierten Katalog von zuschußfähigen Tatbeständen ein, um das Maßnahmenchaos endlich zu entwirren.
Erfolgreiche Wirtschaftspolitik bedarf enger Kooperation in der internationalen
Staatengemeinschaft. Je größer die Konvergenz der nationalen Wirtschaftspolitiken,
um so spannungsfreier ist die Wirtschaftsentwicklung. Dies erfordert auch, wo
nötig, verbindliche Spielregeln aufzustellen resp. fortzuentwickeln.
Von der Einführung des EURO kann Deutschland dank großer Transparenz
und dank eines ergiebigen Kapitalmarktes in hohem Maße profitieren.
3. Neue Impulse für den Arbeitsmarkt
Im Bündnis für Arbeit wollen wir neue Impulse für den Arbeitsmarkt
setzen. Die Senkung bzw. Stabilisierung der Sozialbeiträge durch die Ökosteuer
und die Reformen des Renten- und Gesundheitssystems sind ein wichtiges belebendes
Argument.
Zum Abbau der Arbeitslosigkeit gehören auch die weitere Verkürzung
und die intelligentere Aufteilung von Arbeit. Die Regelung der Wochenhöchstarbeitszeit
und der Arbeitszeitgestaltung ist eine gesetzliche Aufgabe. Die Möglichkeiten
von Teilzeitarbeit und Arbeitszeitkonten sind bei weitem noch nicht ausgeschöpft.
Wir brauchen eine Teilzeitoffensive in allen Bereichen der Wirtschaft und im
öffentlichen Dienst. Die bessere soziale Absicherung von Teilzeit ist nötig,
um im Bündnis für Arbeit die Bedingungen für ein verbessertes
Angebot an Jobsharing zu schaffen. Auch Jobrotation als eine Verknüpfung
von Weiterbildung für Erwerbstätige und Qualifikation von Erwerbslosen
muß im Bündnis für Arbeit unterstützt und mit den Instrumenten
der Bundesanstalt für Arbeit vorangetrieben werden. Es ist aber auch Aufgabe
der Tarifparteien, hier neue Schritte zu vereinbaren. Die Solidarität des
Bündnisses für Arbeit bewährt sich an der Haltung zu den Arbeitslosen.
Nur so wird es zum Bündnis für Gerechtigkeit.
Vor allem im Dienstleistungsbereich können neue Arbeitsplätze erschlossen werden, und zwar zwischen Einkommen von 630.- DM (Teilzeitmauer) und 1250.- DM (Steuergrenze). Wir wollen im Bündnis für Arbeit Modelle zur Diskussion stellen, die einen degressiv verlaufenden Zuschuß zu den Sozialbeiträgen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber vorsehen. Hier könnten vor allem im Bereich der Dienstleistungen neue Arbeitsplätze entstehen. Die Kosten solcher Modelle können nur in akzeptablen Grenzen gehalten werden, wenn die Mitnahmeeffekte minimiert sind. Vielleicht wird man nach Erprobung eines solchen teilsubventionierten Lohnsektors noch einmal systematischer die Frage der Reform der 630 DM-Arbeitsplätze aufwerfen können.
Wir wollen die Langzeitarbeitslosigkeit energisch bekämpfen. Deshalb halten wir es für sinnvoll, wenn der Verdienst von Langzeitarbeitslosen, die eine Arbeit annehmen, ein Jahr lang nur zur Hälfte auf die Arbeitslosen- oder Sozialhilfe angerechnet wird. Das spart Kosten, hilft den Menschen und reduziert den Zwang zur Flucht in die Schwarzarbeit. Wir wollen die Grenzen zwischen Nichterwerbstätigkeit und Erwerbstätigkeit fließender machen. Diesen neuen Angeboten für Arbeitslose werden aber auch Pflichten gegenüberstehen, diese Angebote anzunehmen.
Das Bündnis für Arbeit ist auch ein Bündnis für Ausbildung. Das von der Bundesregierung beschlossene Programm für 100 000 Jugendliche ist ein erster, wirklicher Fortschritt gegen Jugendarbeitslosigkeit. Die Erfahrungen mit dem Programm müssen ausgewertet werden, damit es zielgenau fortgesetzt werden kann.
Wir schlagen ein Offensive für Einstellungsteilzeit im öffentlichen Dienst vor. Staatliche Verantwortung muß sich daran beweisen, daß sie die in staatlichen Ausbildungsgängen erworbenen Qualifikationen nicht durch Nichteinstellung verfallen läßt. Wir werden geeignete Konzepte entwickeln, um die Einstellungsteilzeit mit der Erweiterung von Altersteilzeit zu verknüpfen.
Wir wollen im Rahmen des Bündnisses für Arbeit ökologische Innovationsprozesse anstoßen, die beschäfigungswirksam sind.
4. Ökologische Modernisierung
Ökologie kann viele neue Arbeitsplätze schaffen. Wer sie ausschließlich
als Kostenfaktor denunziert, verkennt, daß sie eine Investition in die
Zukunft ist. Zur Vermeidung immenser Folgekosten, zur Sicherung der Lebensbedingungen
künftiger Generationen und zur Schaffung neuer zukunftsfähiger Arbeitsplätze
wollen wir die Ökologisierung unserer Volkswirtschaft. Das führt zu
Konflikten mit alten, z.T. hochsubventionierten Teilen der Industriegesellschaft.
Übergänge müssen gestaltet werden, doch wer zu lange an alten
Strukturen festhält, wird gerade in einer globalisierten Ökonomie
die Zukunft nicht mitgestalten können. Grüne wollen den Strukturwandel
und sagen deswegen Ja zu neuen zukunftsfähigen Technologien.
Der notwendige Strukturwandel kann durch die Ökologisierung unserer Marktwirtschaft beschleunigt werden. Für modernes wirtschaftliches Handeln ist die Schonung der Ressourcen ein Kriterium für wirtschaftlichen Erfolg. Ein Bündnis für Arbeit ist immer auch ein Bündnis für Umwelt.
In der zweiten und dritten Stufe der Ökosteuerreform erwarten wir noch
klarere, ökologische Lenkungssignale. Strom aus erneuerbaren Energiequellen
muß eindeutiger begünstigt und der Strukturwandel bei der Stromerzeugung
muß zugunsten hocheffizienter Gas- und Dampfturbinenkraftwerke beschleunigt
werden.
Betriebe, die in Energieeinsparung freiwillig nach einem Energieaudit investieren,
sollen dies steuermindernd geltend machen können. So steigt sowohl die
Akzeptanz für die Ökosteuer als auch deren Lenkungseffekt.
Die Belastungsstruktur der verschiedenen Energieträger muß in der
zweiten und dritten Stufe der Reform ausgewogen gestaltet werden. Dazu soll
die zusätzliche Steuer auf Strom niedriger sein als in der ersten Stufe,
die auf Kraftstoffe aber höher. Das erscheint uns sozial und wettbewerbspolitisch
angemessen. Bei den Strompreisen liegt Deutschland EU- weit im oberen Drittel,
bei den Benzinpreisen im unteren Drittel. Für Nichterwerbstätige wird
es einen sozialen Ausgleich geben.
Aus den Mitteln der Ökosteuer werden die Sozialbeiträge in dieser Legislaturperiode um insgesamt 2,4% gesenkt. Wenn wir eine reale Senkung der Sozialbeiträge in mindestens dieser Höhe durchsetzen wollen, müssen die Rentenversicherung und die Krankenversicherung so reformiert werden, daß sie mindestens Beitragsstabilität gewährleisten. Die Mittel aus der Ökosteuer dürfen nicht dazu führen, daß der Reformdruck der sozialen Sicherungssysteme nachläßt.
Die Frage, ob es zu einem Energiekonsens kommt oder nicht, hat gravierende Auswirkungen auf das Bündnis für Arbeit. Die Bundesregierung will den Ausstieg aus der Atomkraft. Das ist ein ehrgeiziges und schwieriges Projekt. Ein Hebel für die Machbarkeit des Atomausstiegs ist der Konsens über den Einstieg in eine neue Energiewirtschaft, die mehr Sicherheit für die Menschen und weniger Hypotheken für künftige Generationen verwirklicht. Die Unumkehrbarkeit des Ausstiegs liegt in einer Demokratie ausschließlich in den getätigten und beabsichtigten Innovationen und Investitionen in neue Energiestrukturen und - technologien. Das 100 000- Dächer-Programm ist ein erster wichtiger Schritt für den technologischen Strukturwandel. Die Bundesregierung kann auf diesem Wege für unser Land einen Platz an der Sonne sichern.
Mit dem Einstieg in eine neue Energiewirtschaft entstehen neue Arbeitsplätze:
Mit einer Investitionsoffensive können High-tech-Jobs für moderne
Kohle- und Gaskraftwerke und viele Arbeitsplätze im Handwerk, in der Bauindustrie,
bei der Gebäude-Isolierung oder bei der Montage und der Wartung von Sonnenkollektoren
und Photovoltaikanlagen geschaffen werden. Durch eine offensive Entwicklung
der marktnahen natürlichen Engergieträger wie Wind-, Wasser- und Biomassetechnologie
soll Deutschland zum Exportschaufenster für einen dynamisch wachsenden
Zukunftsmarkt werden.
Dem stehen kaum Arbeitsplatzverluste in der Atomwirtschaft gegenüber, weil
das dort beschäftigte Personal auch nach der Stillegung von Reaktoren dort
gebraucht wird.
Auch eine umweltverträgliche Verkehrspolitik wird zusätzliche Arbeitsplätze
in den Bereichen öffentliche Verkehrsmittel und emissionsarme Automobile
schaffen. Die Diskussion um Sicherheit und Pünktlichkeit der Bahn hat gezeigt,
wie notwendig Investitionen in die Modernisierung des Systems Schiene sind.
Ein leistungsfähiges, wirtschaftliches und umweltverträgliches Verkehrssystem
verlangt faire Wettbewerbsbedingungen auf dem Verkehrsmarkt. Wettbewerbsverzerrende
Regelungen zu Lasten von Bahn und Bus, vor allem bei der Finanzierung der Infrastruktur
und im steuerlichen bzw. Abgabenbereich, müssen abgebaut werden. Deshalb
muß z.B. die zeitbezogene Eurovignette für den LKW noch in dieser
Legislaturperiode in eine leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe umgewandelt
werden. Gleichzeitig muß das Schienennetz für einen fairen
Wettbewerb konkurrierender Eisenbahnunternehmen geöffnet werden. Nur so
können Marktanteile für die Schiene ohne Mehrkosten für den Staat
zurückgewonnen werden.
Die Beschäftigung in der Landwirtschaft wird durch den nachhaltigen Anbau
von nachwachsenden Rohstoffen für Dämmstoffe, Faserstoffe und Energiepflanzen
und die stärkere Ausrichtung auf umwelt- und tierschutzgerechte Produktion
von Lebensmitteln zusätzliche Impulse bekommen.
Ökologische Modernisierung verlangt nach einem modernen Umweltrecht. Deshalb
wollen wir das zersplitterte Umweltrecht in einem Umweltgesetzbuch neu ordnen.
Verstärkte Transparenz sowie eine intensive Öffentlichkeitsbeteiligung
schaffen durch Konfliktbereinigung im Vorfeld erhöhte Investitionssicherheit.
Die Erfahrung zeigt, daß auch der Wirtschaft mehr an Rechts- und Planungssicherheit
gelegen ist als an übereilten Genehmigungen für risikoreiche Anlagen.
Moderne ökologische Instrumente wie die Mediation sowie freiwillige Umweltleistungen
der Unternehmen wie das Öko-Audit sollen daher gestärkt und gefördert
werden.
Ökologische Modernisierung verlangt nach einer zukunftsverträglichen Wirtschaftsweise. Die Entwicklung einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie im Dialog mit der Wirtschaft soll zu Umweltzielen führen, auf die sich alle Akteure langfristig einstellen können. Der Verzicht auf ökologisch bedenkliche Problemstoffe und Produktionsmethoden schafft zukunftsfähige Arbeitsplätze. Das Beispiel der Produktion von PVC zeigt, daß ökologische Alternativen vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen nicht zu weniger, sondern zu mehr Arbeitsplätzen führen.
5. Renten- und Gesundheitsreform
Der Sozialstaat ist von seiner Leistungsseite - wie von seiner Kostenseite -
nur dann zu bewahren, wenn wir ihn von Grund auf reformieren. Wer nur strukturkonservativ
verteidigen will, gefährdet die soziale Sicherung.
In der sozialen Marktwirtschaft ist es selbstverständlich, die Risiken
von Krankheit für alle abzusichern und im Alter eine existenzsichernde
Rente zu ermöglichen. Die soziale Absicherung von Risiken darf jedoch nicht
dazu führen, daß die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gefährdet
wird. Es kann nicht hingenommen werden, daß die Flucht in die Schwarzarbeit
aufgrund hoher Lohnzusatzkosten ungebremst weitergeht. Daher ist es eine wesentliche
Aufgabe, im Bündnis für Arbeit auch zu klären, wie soziale Leistungen
wirtschaftlicher erbracht werden können und ob es richtig ist, die soziale
Sicherung weiterhin vorwiegend entlang der Arbeit zu finanzieren. Wenn ein höherer
Steueranteil dabei herangezogen werden soll, muß vorurteilsfrei die Frage
nach dem richtigen Verhältnis von direkten und indirekten Steuern (Ökosteuer)
geprüft werden.
Mit der Gesundheitsreform werden wir bei stabilen Beitragsätzen die Leistungen
im Gesundheitssystem qualitativ verbessern. Hierzu gehört eine bessere
Verzahnung von ambulanten und stationären Diensten, die Reduktion von Mehrfachdiagnosen
und Medikamenten, die überflüssig sind, sowie der Abbau von kostentreibenden
Überkapazitäten. Dies sind Wirtschaftlichkeitsreserven, die im Dienste
der Patienten und Beitragszahler realisiert werden müssen. Die Strukturreform
2000 wird hierfür die ersten entscheidenden Schritte für mehr Qualität
des Gesundheitssystems leisten.
Das Zusammenspiel der Generationen wird in den nächsten Jahren wesentlich
von einer wirkungsvollen Familienpolitik abhängen. Den Familienbegriff
offener und umfassender als tradiert zu definieren, wird eine der vordringlichen
gesellschaftlichen Debatten werden. Das Leben mit Kindern muß finanziell
entlastet werden.
Die Rentenreform muß zu einer armutsfesten Alterssicherung führen,
die auch die neuen Entwicklungen an den Arbeitsmärkten mit mehr Teilzeit
und sogenannten unsteten Erwerbsbiographien berücksichtigt. Dabei ist auch
die eigenständige Alterssicherung für Frauen ein zentrales Reformziel.
Wir brauchen eine Rentenreform für die Jungen und die Alten. Die Beiträge
müssen im Sinne der jungen Generation und der Beschäftigungsentwicklung
möglichst stabil gehalten werden. Die Lebenserwartung der Menschen steigt
von Jahr zu Jahr. Diese positive Entwicklung verursacht Kosten, die gerecht
zwischen den Generationen verteilt werden müssen. Dazu brauchen
wir einen sozialen Altersfaktor, der die Rentenzuwächse begrenzt. Sinnvoll
wäre auch ein von allen Generationen gebildeter Teilkapitalstock, mit dessen
Hilfe sich in Zukunft die Beiträge stabilisieren und die Renten sichern
ließen.
Die Alterssicherung der Zukunft braucht weitere Standbeine im Bereich privater
Vorsorge und betrieblicher Renten. Die private Altersvorsorge muß im Einkommensteuerrecht
stärker berücksichtigt werden. Außerdem wollen wir im Rahmen
des 4. Finanz-marktförderungsgesetzes die Voraussetzungen für betriebliche
Pensionsfonds verbessern. Ob Tariffonds für den Vorruhestand der richtige
Weg sind, hängt im wesentlichen von der Frage ab, ob sie ebenso effektiv
verwaltet werden können, wie professionelle Investmentgesellschaften dies
zur Zeit gewährleisten.
Für diese Reformwerke gilt: Wir können uns nur das leisten, was wir finanzieren können. Die Kosten der Arbeitslosigkeit reduzieren die Spielräume. Schuldenfinanzierung ist kein Weg, weil er immer zu Lasten künftiger Generationen geht. Gerechtigkeit darf nach Auffassung der Grünen nicht nur innerhalb einer Generation, sondern muß auch zwischen den Generationen gelten.
6. Tarifpolitik
Das Bündnis für Arbeit ist nicht der Ort, an dem Tarifverträge
ausgehandelt werden können. Und dennoch sollten sich die Beteiligten zusammen
mit der Politik über mittelfristige Eckpunkte der Lohn- und Gehaltsentwicklung
verständigen. Nichts anderes lehren die Erfolge des niederländischen
Modells kooperativer Absprachen.
Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften erscheinen dann möglich, wenn
sie tatsächlich von Investitionen der Wirtschaft in Arbeit begleitet werden.
Wird Verständigung über Eckpunkte möglicher Tarifentwicklung
erzielt, so werden Investitionen im Standort Bundesrepublik kalkulierbar und
damit attraktiver.
Im Bündnis für Arbeit sollten neue Modelle zur Beteiligung der ArbeitnehmerInnen
am Produktivkapital entwickelt werden.
Es geht darum, daß im Bündnis für Arbeit auch die Interessen
derer vertreten werden, die keine Arbeit haben. Die Politik muß sich unter
Wahrung der Tarifautonomie dieser Aufgabe stellen.
7. Finanzierung
Das Bündnis für Arbeit verlangt, wenn es auch ein Bündnis für
Wettbewerbsfähigkeit, Umwelt und Gerechtigkeit sein soll, die Bereitschaft,
Verantwortung zu übernehmen.
Dies gilt auch für den Staat, der Ausgaben für Zukunftsinvestitionen
anstoßen und zum Teil auch finanzieren muß. Zudem geht der Staat
massive Risiken ein, wenn sich die Selbstfinanzierungseffekte von Nettoentlastungen
bei der Steuerreform nicht einstellen würden.
Die Grünen begrüßen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
zur steuerrechtlichen Berücksichtigung des Lebens mit Kindern. Das Steuerrecht
kann aber von vornherein nur eine Seite des Familienlastenausgleichs darstellen.
Das Karlsruher Urteil berücksichtigt den Unterhaltsaufwand für Kinder
im Rahmen der horizontalen Steuergerechtigkeit. Die sozialpolitische Seite des
Familienlastenausgleichs knüpft hingegen daran an, daß Erziehung
und Unterhalt von Kindern nicht lediglich eine private Tätigkeit der Eltern
ist. Daraus folgt, daß die finanziellen Lasten von
Familien mit geringem Einkommen erleichtert werden müssen. Das Familienurteil
des Bundesverfassungsgerichts wird um so teurer, je stärker.