Liebe Freundinnen und Freunde,
anbei ein Interview aus der FR vom 10.6. mit dem Präsidenten der Landeszentralbank Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg- Vorpommern, Prof. Hans-Jürgen Krupp, zur Rentenreform. Prof. Krupp ist Professor fuer Volkswirtschaftslehre und einer der ausgewiesensten Rentenexperten in Deutschland. U.a. war er auch Mitglied der Rentenreformkommission der jetzigen Bundesregierung (was den Vorschlaegen derselbigen aber leider kaum anzumerken ist). Durch seine Mitgliedschaft im Zentralbankrat hat er natuerlich auch exzellente Kenntnisse ueber die Finanz- und Kapitalmaerkte.
Vielleicht sollten die Gruenen, die an den Rentengespraechen beteiligt sind, sich einmal von ihm beraten lassen !
(Wolfgang Strengmann)
"Den Menschen wird ein hohes Versorgungsniveau vorgegaukelt"
LZB-Präsident Hans-Jürgen Krupp über Risiken in Riesters Rentenreformplan
und ein mögliches Alternativmodell dazu.Bundesarbeitsminister Walter Riester sieht zu der von ihm betriebenen Rentenreform "keine Alternative". Er will das Rentenniveau durch den so genannten Ausgleichsfaktor sinken lassen. Die Versorgungslücke sollen die Bürger durch private Vorsorge ausgleichen. Professor Hans-Jürgen Krupp, Präsident der Landeszentralbank Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein, hält diesen Ansatz für falsch. Über die rot-grünen Rentenpläne und die Risiken der kapitalgedeckten Altersvorsorge sprach FR-Korrespondent Hilmar Höhn mit Krupp (Brauchitsch-Bild).
Frankfurter Rundschau: Herr Krupp, die rot-grüne Koalition will, dass die Bürger durch verstärkte private Vorsorge ihren Lebensstandard im Alter sichern. Vier Prozent ihres Bruttolohns sollen sie dafür aufwenden. Wie wirkt sich der Aufbau eines Kapitalstocks in diesem Ausmaß auf die Nachfrageentwicklung hierzulande aus?
Hans-Jürgen Krupp: Das hängt davon ab, was mit den angesparten Beträgen passiert. Wandern sie auf die Finanzmärkte und erhöhen dort nur die Aktienkurse, ohne dass es zu realen Investitionen kommt - und das haben wir in den letzten Jahren ja zur Genüge erlebt -, sind Wachstumseinbußen die Folge. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat vergangenes Jahr für ein ähnliches, aber nicht ganz vergleichbares Konzept für die Übergangszeit Wachstumseinbußen zwischen 0,3 und 0,5 Prozentpunkten pro Jahr errechnet. Dies beeinträchtigt auch spätere Rentenhöhen.
FR: Die Bundesregierung sagt, mit der Deckelung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung vermeide sie eine stärkere Belastung der Arbeitseinkommen und das wirke sich positiv auf den Arbeitsmarkt aus. Aber am Ende bleibt die Belastung für Arbeitnehmer doch die gleiche. 26 Prozent Beiträge, ob mit oder ohne private Absicherung, bleiben doch 26 Prozent.
Krupp: Es ist sogar noch schlimmer: Die Abgabenbelastung für die Arbeitnehmer ist bei dem hier vorgeschlagenen Konzept etwa um zwei Beitragspunkte höher, als wenn man beim Umlageverfahren bliebe. Auch ein nur teilweiser Übergang zum Kapitaldeckungsverfahren führt immer zu einer Doppelbelastung der jungen Generation. Vor dem Hintergrund, dass die hohe Belastung begrenzt werden muss, ist das Konzept schlicht unverständlich. Es macht doch keinen Unterschied, ob die Abgaben
rechtlich oder faktisch erzwungen werden.FR: Aber die kapitalgedeckte Zusatzvorsorge soll doch freiwillig sein.
Krupp: Das macht die Sache nicht besser. Denn ob die Leute sich nun "freiwillig" versichern oder nicht, das Niveau der gesetzlichen Rente wird sinken. Und zwar viel stärker als es die letzte Bundesregierung vorgesehen hatte. Der so genannte Ausgleichsfaktor hat mit sozialem Ausgleich nichts zu tun. Im Prinzip nimmt er den Rentnern bei der gesetzlichen Rente, was sie theoretisch hätten privat ansparen können. Diese drastische Senkung des Rentenniveaus wird bei kleinen und mittleren Einkommen, insbesondere aber bei Frauen, zu erheblichen Versorgungslücken führen, wenn sie von der Freiheit Gebrauch machen, sich nicht zusätzlich zu versichern. Die vorgesehene Regelung der Hinterbliebenenversorgung reduziert zudem die Ansprüche, ohne für einen Ersatz zu sorgen.
FR: Im Grunde bricht die rot-grüne Koalition ein Wahlversprechen. Das hieß: Rückkehr zur Nettolohnanpassung der Renten.
Krupp: Ganz so ist es nicht. Diese Zusage gab es nach der Inflationsanpassung der Renten. Praktisch kommt es nun nicht zu einer Netto-Anpassung. Steuern werden nicht mehr berücksichtigt. Der Ausgleichsfaktor führt zu einem ganz anderen Ergebnis. Allerdings: Die alte Nettolohnformel war nicht mehr zu halten. Das sollte man ehrlich sagen. Nun haben wir statt dessen eine Formel, die völlig undurchsichtig ist.
FR: Die Bundesregierung legt bei ihren Berechnungen eine durchschnittliche jährliche Verzinsung der Altersrücklagen in Höhe von 5,5 Prozent pro Jahr zugrunde. Ist eine solche Annahme auf Dauer realistisch?
Krupp: Nein. Diese Annahme ist in hohem Maße riskant. Immerhin haben die Lebensversicherungen ihre zugesagte Minimalverzinsung gerade auf 3,25 Prozent gesenkt, weil sie die bisherigen vier Prozent nicht mehr durchhalten können. Den Menschen wird so ein Versorgungsniveau vorgegaukelt, von dem niemand weiß, ob es je erreicht werden kann. Und
über die zuletzt dramatisch gestiegenen Risiken moderner Finanzmärkte erfährt man nichts.FR: Welche Auswirkungen hat die Zunahme der langfristig gebundenen Rücklagen der Bevölkerung für den deutschen Kapitalmarkt? Droht nicht angesichts des ohnehin schon immensen Geldvermögens ein Overkill auf dem Finanzmarkt Deutschland?
Krupp: Finanzmärkte sind heute international. Im Übrigen macht gesamtwirtschaftlich eine Anlage im Ausland Sinn, wenn man die Probleme vermeiden will, die sich aus der Verschlechterung des Verhältnisses von Aktiven zu Alten ergeben. Diese kann es nämlich auch bei Kapitaldeckung geben.
FR: Pensionsfonds investieren ihre Anlegervermögen sehr stark im Ausland. Aber die internationalen Finanzmärkte sind nicht so sicher. In den jüngsten Krisen wurden Milliardenvermögen vernichtet. Ist eine Alterssicherung, die mehr und mehr auf Kapitaldeckung aufbaut, in der Lage, die Lücken zu schließen, die eine Demontage der gesetzlichen Altersversorgung hinterlässt?
Krupp: Wahrscheinlich nicht, das sehen Sie richtig. Deswegen sind die Fonds wieder in die westlichen Industriestaaten, insbesondere USA und Europa geflohen. Da mehr Kapital als rentable Investitionsmöglichkeiten vorhanden war, hat dies dort zu einer immensen Steigerung der Aktienkurse geführt, die ökonomisch nicht gerechtfertigt ist. Ein Nebeneffekt sind übrigens für Investoren erfreulich niedrige langfristige Zinsen. Private Kapitalanleger haben da eher Probleme. Viele Fachleute sehen hier eine bedrohliche Blase, die jederzeit platzen kann. Auf kurze Sicht halte ich das nicht für so wahrscheinlich, da die Alterssicherungsfonds immer neues Geld bereitstellen, das untergebracht werden muss.
FR: Irgendwann werden auch die Kapitalstocks wieder abgebaut werden. Gerät dann nicht auch die private Vorsorge in eine ähnliche Bedrängnis wie heute die gesetzliche Rentenversicherung, weil einer größeren Zahl an Begünstigten eine kleinere an Einzahlern gegenübersteht? Dann sind doch Desinvestitionen die Folge.
Krupp: Richtig, dann kommt die Stunde der Wahrheit. Es wäre entsetzlich, wenn dann die Blase platzen würde, weil weniger Kapital neu gebildet als für die Rentenzahlungen abgebaut wird. Aber selbst wenn dieser schlimmste Fall nicht eintritt, sind Preisreaktionen auf Güter- und Kapitalmärkten zu Lasten der Privatrenten-Empfänger wahrscheinlich.
FR: Auf der anderen Seite befindet sich das gesetzliche Rentensystem in einer Krise.
Krupp: Sicher, aber die Probleme sind beherrschbar. Die Risiken sind im Wesentlichen politischer Art. Wenn sich das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern verschlechtert, braucht man eine Verteilung der sich daraus ergebenden Belastung auf Rentner, Beitrags- und Steuerzahler. Deswegen ist im Prinzip ein höherer Anteil kapitalgedeckter Sicherung sinnvoll, trotz des hohen Risikos. Aber die Schnittstelle sollte anders sein. Bezieher kleinerer Einkommen sollten eine an ihren Beitragszahlungen orientierte auskömmliche Kernsicherung durch die gesetzliche Rentenversicherung im Umlageverfahren erhalten. Beziehern höherer Einkommen kann man viel eher die Risiken kapitalgedeckter Eigenvorsorge zumuten.
FR: Wie sieht eine Reform aus, die Sie der rot-grünen Koalition empfehlen würden?
Krupp: Grundsätzlich bin ich ein Anhänger des Schweizer Systems, auch wenn man nicht alle Einzelheiten übernehmen kann. Wichtig ist, dass die Rentenversicherung vom Arbeitsverhältnis gelöst wird. Das heißt, dass wir zu einer Versicherungspflicht für alle kommen, also auch zu einer eigenständigen Sicherung von Frauen. Und wenn wirklich alle einbezogen werden, sollte dies auch für Beamte und Selbstständige akzeptabel sein. Außerdem kommen wir nicht darum herum, alle Einkommensarten zu der
Beitragszahlung heranzuziehen, auch Zins- und Mieterträge. In Zeiten der Kindererziehung muss der Staat mit Beiträgen einspringen. Am unteren Ende der Rentenzahlungen müssen wir eine ausreichende Grundsicherung ermöglichen. Aber nach oben hin müssen wir kappen - etwa beim Zweifachen der Grundsicherung. Wenn wir dann noch eine verpflichtende betriebliche, kapitalgedeckte Zusatzversorgung hinkriegen und die freiwillige Eigenvorsorge fördern, erhalten wir ein stabiles, umlagefinanziertes Kernsystem und eine sozial vertretbare Mischung aus Umlagefinanzierung und Kapitaldeckung.
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Dokument erstellt am 09.06.2000 um 20:59:42 Uhr
Erscheinungsdatum 10.06.2000