Diskussionspapier zum "Zukunftsprogramm
2000" von Stefan Riese 10.10.1999
Stefan Riese ist Mitglied
des Kreisvorstands von Bündnis 90 / Die Grünen in Münster
* Renate Künast,
Spitzenkandidatin der Berliner GRÜNEN kritisierte nach der Wahlniederlage
manche Bundesgrüne im Hinblick auf mangelnde soziale Gerechtigkeit
als „Gebrauchtmöbelhändler der FDP“.
In diesem Diskussionsbeitrag will ich keine umfassende
Bewertung des Sparprogramms vornehmen, sondern der Frage nach einer
"sozialen Schieflage" nachgehen, die ja in der Öffentlichkeit breit
diskutiert wird, und auch bei den vergangenen 7 Wahlverlusten eine große
Rolle gespielt hat. Nicht zum Sparpaket gehört die Rentenreform.
Sie gehört aber inhaltlich zum Thema, da das Sparpaket auch Einsparungen
bei den Renten enthält, die im Zusammenhang mit der gleichzeitig
vorgelegten Rentenreform gesehen werden müssen.
Ausgangssituation: Es muß
gespart werden!
Ursache des Finanzproblems sind in erster Linie
die versiegenden Privatisierungserlöse des Bundes, an denen die
CDU/FDP-Regierung sich jahrelang schadlos gehalten hat.
Das "30-Mrd.-Sparpaket" plant für 2000 Minderausgaben
im Vergleich zu 1999 von 7,5 Mrd. DM. Die Zahl von 30 Mrd. bezieht sich
auf den Vergleich mit der mittelfristigen Finanzplanung der alten Bundesregierung
für 2000. Sie bedarf jedoch einer Klarstellung: Von den 30 Mrd.
sind nach Berechnungen des DIW lediglich 16,9 Mrd. "echte" Einsparungen
des Bundes, 8,7 Mrd. bestehen aus Abwälzungen auf andere Haushalte
(haupts. Länder und Kommunen), 4,4 Mrd. sind "Luftbuchungen", wie
z.B. die Kürzung von Etatposten, die aus verschiedenen Gründen
(auch unter der alten Regierung) ohnehin nicht oder nicht in der ursprünglich
geplanten Höhe angefallen wären. (Siehe Tabelle auf S. 4)
Stimmt die Behauptung, daß
in erster Linie bei den Rentnern und bei den Arbeitslosen gespart wird?
Ein Blick in den Haushalt 2000 zeigt, daß
der Einzelplan "Arbeit und Sozialordnung" z.B. im Vergleich zum Verteidigungshaushalt
relativ gesehen weniger gekürzt wird. Aber: Von den oben genannten
"echten" Einsparungen in Höhe von 16,9 Mrd. entfallen 7,5 Mrd.
allein auf den Bereich "Arbeitsförderung". Der größte
Anteil wird vom Bund also tatsächlich bei den Arbeitslosen eingespart
(siehe Tabelle auf Seite 4).
Was bewirkt die Rentenreform?
Die demographische Entwicklung allein ist
kein Grund zur Besorgnis, denn die ist genauso alt, wie das dynamische
Rentensystem selbst, ohne daß es zu einer Katastrophe gekommen
wäre. Medizinischen Fortschritt gibt es schon länger. Die
Zahl der Rentner stieg von 1957, dem Jahr der Einführung der dynamischen
Rente bis 1970 um 40 Prozent(!). Während dessen stiegen die Beiträge
nur von 18,0% auf 18,6%. Der Grund für diese Diskrepanz liegt darin,
daß mit steigendem Bruttosozialprodukt auch die Einkommen der
Beitragszahler, und somit die Beiträge, gestiegen sind. Weil das
Rentensystem kein Anspar- sondern ein Umlagesystem ist, hat das gut
funktioniert.
Die Probleme kommen daher, daß die Beitragszahlungen
mit den Ausgaben nicht mehr mithalten. Dies liegt nur zum Teil an der
demographischen Entwicklung, andere Gründe sind u.a. die Arbeitslosen,
die nur sehr wenig in die Rentenkasse einzahlen und der gesunkene Anteil
der versicherungspflichtigen Gehälter am Volkseinkommen.
Dieser Entwicklung ist 1992 mit einer Reform begegnet
worden, dem Rentenreformgesetz 1992 (RRG 92), das im wesentlichen durch
eine Mehrwertsteuererhöhung finanziert worden ist. Wie zwei Gutachten
des PROGNOS-Instituts (1995 und 1998) zeigen, ist diese Reform tatsächlich
wirksam. Während die Beiträge ohne das RRG 92 im Jahr 2030
auf 36,7 bis 41,7% (je nach wirtschaftlicher Entwicklung) gestiegen
wären, werden sie nach dem RRG 92 im Jahr 2030 nur auf 26% - 28%
steigen. (Die von der jetzigen Bundesregierung zurückgenommene
zusätzliche Begrenzung des Rentenwachstums ist in dem Gutachten
nicht berücksichtigt.) Diese Zahlen zeigen, daß Handlungsbedarf
besteht, dieser aber keineswegs so akut ist, wie immer behauptet wird.
Die rot-grüne Bundesregierung will das jetzige,
paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanzierte Rentensystem
zu einem System umbauen, bei dem die Arbeitnehmer einen größeren
Teil bezahlen sollen. Die geplante, gesetzlich vorgeschriebene Zusatzvorsorge
und die freiwillige kapitalbasierte Zusatzvorsorge sollen nämlich
nur von den Arbeitnehmern finanziert werden. Die gesetzlich vorgeschriebene
Zusatzvorsorge soll zunächst 0,5% vom Bruttolohn betragen und schrittweise
auf 2,5% erhöht werden. Es handelt sich also um eine einseitige
Umverteilung zugunsten der Unternehmen. (Siehe Schaubild auf S.
2)
Zugleich sollen die Beiträge zur bisherigen,
paritätischen Rentenversicherung - finanziert durch die Ökosteuer
- gesenkt werden. Diese Maßnahme ist für sich gesehen richtig.
Denn es ist nicht einzusehen, daß die versicherungsfremden Leistungen,
wie z.B. die ostdeutschen Renten allein von den beitragszahlenden Arbeitnehmern
und Arbeitgebern bezahlt werden. Die Senkung des Beitragssatzes führt
nebenbei zu einer Senkung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung,
und zwar um 1,8 Mrd. DM.
Die Rentenanpassung an die Bruttogehälter wird
für 2 Jahre ausgesetzt (und auf einen Inflationsausgleich beschränkt).
Da die fehlende Anpassung an die durchschnittliche Einkommensentwicklung
nicht wieder aufgeholt wird, führt sie zu einer dauerhaften
Absenkung des Rentenniveaus. Die Beiträge sinken zwar, aber
unterm Strich nur für die Arbeitgeber, da die Versicherten die
damit verbundenen Renteneinbußen durch die von ihnen allein bezahlte
Zusatzvorsorge ausgleichen müssen. Hinzu kommt, daß die gesetzlich
vorgeschriebene Zusatzvorsorge das Netto-Einkommen erniedrigt und somit
über den Rentenwert die klassische Rente senkt. Zu der auf zwei
Jahre begrenzten Aussetzung der Rentenanpassung an die Nettogehälter
muß sich die Regierung fragen lassen, ob sie den "Trick" bei Bedarf
(je nach Haushaltslage) nicht jederzeit wiederholen kann. Über
ihre objektive Wirkung hinaus erzeugt dieses Vorgehen Mißtrauen
bei den WählerInnen.
Verstehen kann man kann diese Rentenreform im Kontext
der von neoliberaler Seite gemachten, widerlegten Behaup tung, Arbeitslosigkeit
komme von zu hohen Löhnen und Lohnnebenkosten (siehe z.B. Ref.
7). Im internationalen Vergleich zeigt sich, daß Deutsch land
bezüglich der Lohnnebenkosten durchweg im Mittelfeld liegt. Die
bezüglich der Arbeitslosigkeitsbekämpfung oft als Vorbild
angesehenen Niederlande haben z.B. höhere Lohnnebenkosten als Deutschland.
Ebenso fragwürdig ist die Behauptung, daß eine kapitalgedeckte
Vorsorge das demographische Problem lösen könne.
Genauso, wie beim jetzigen Umlageverfahren, müssen
nämlich auch bei einem kapitalgedeckten System die jungen Menschen
die Alten ernähren. Geld und Wertpapiere kann man bekanntlich nicht
essen, sie müssen, wenn man sie später verkauft, durch die
dann laufende Güterproduktion "gedeckt" sein. Oder - aus
der Sicht des Marktes: Es besteht die Gefahr, daß Wertpapiere,
die jetzt als Vorsorge gekauft werden, im Kurs sinken, wenn die jetzigen
Anleger im Rentenalter sind, und massenhaft ihre Papiere wieder verkaufen.
Die sinnvolle Erweiterung der Versicherungspflicht
auf alle Erwerbspersonen - also auch auf Selbständige, Beamte und
nichterwerbstätige Familienangehörige - ist bisher nicht vorgesehen,
obwohl sie in der Koalitionsvereinbarung angekündigt worden war.
Kürzungen bei Arbeitslosen
Für die Bezieher von Arbeitslosenhilfe will
die Bundesregierung die Beitragszahlungen zur Rentenversicherung kürzen.
Bislang wurden für die Arbeitslosen Rentenbeiträge auf der
Basis von 80% des Bemessungsentgelds gezahlt. In Zukunft sollen nur
noch Beiträge auf Basis der Arbeitslosenhilfe gezahlt werden. Für
Langzeitsarbeitslose bedeutet das, daß jedes Jahr ihrer Arbeitslosigkeit
mit einem um 40% bis 60% niedrigeren Wert in die Rentenberechnung eingeht
als bei geltender Rechtslage. Eine private Zusatzvorsorge werden sich
viele ArbeitslosenhilfebezieherInnen wohl kaum leisten können.
Begründet wird diese Maßnahme im "Zukunftsprogramm 2000"
damit, den Druck zur Annahme (billiger) Erwerbsarbeit zu erhöhen
(sofern sie denn vorhanden ist).
Die "alternativen Wirtschaftsweisen" um den Bremer
Ökonomieprofessor Rudolf Hickel kommentieren das so: "Nicht ohne
bittere Ironie ist auch der Umstand, daß ausgerechnet die jenigen,
die in der Vergangenheit vehement gefordert hatten, die Lücken
in der Alterssicherung zu schließen, die durch unstete Erwerbsverläufe
- vor allem Arbeitslosigkeit - aufgerissen werden, jetzt ihren ganz
eigenen Beitrag dazu leisten, daß diese Lücken künftig
noch größer ausfallen."
Man hüte sich davor zu glauben, daß für
solche Maßnahmen allein die SPD verantwortlich ist. Die Schaffung
eines Niedriglohnsektor mit Zwang hat die grüne Bundestagsfraktion
schon Anfang 1998 aus freien Stücken beschlossen. Damals Joschka
Fischer: "Wir müssen der FDP für immer den Weg zum Bundestag
vernageln!" Überhaupt hat man den Eindruck, daß eine Mehrheit
der grünen Bundestagsfraktion Modernisierung in Blair/Schröder-Manier
mit Sozialabbau verwechselt.
Ein Arbeitsloser, der, während er in Arbeit
war, die oben genmannten Renteneinbußen auszugleichen versucht
und etwas für den Lebensabend zurückgelegt hat, kann dies
im Fall des Bezugs von Arbeitslosenhilfe schnell wieder los werden.
Während Vermögen nach alter Rechtslage anrechnungsfrei war,
wenn es der Aufstockung der Altersrente auf das bisherige Nettoeinkommen
diente, wurde dies unter rot-grün auf einen Betrag von 1.000,-
pro Lebensjahr beschränkt.
Die Abkopplung der Renten von der Nettolohnentwicklung,
soll auch für Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, und andere Sozialleistungen
gelten. Hier wird, für Langzeitarbeitslose, solange sie nicht zwischendurch
wieder in Arbeit sind, eine dauerhaften Absenkung des Niveaus bewirkt,
da die fehlende Anpassung nicht nachgeholt wird. Besonders hart trifft
es die Langzeitarbeitslosen, da sie schon unter der CDU/FDP-Regierung
hinnehmen mußten, daß ihnen die Arbeitslosenhilfe um jährlich
3% gekürzt wurde (Blümsche "Marktwerttaxierung"). Rot-Grün
führt diese schlechte Tradition durch die erneuten Kürzungen
fort und geht noch weiter. Die von der Kohl-Regierung mehrmals versuchte
Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe (d.h. Arbeitslosenhilfe
ohne vorherigen Arbeitslosengeldbezug), die immer an der rot-grünen
Bundesratsmehrheit gescheitert ist, wird nun von Rot-Grün selbst
vollzogen.
Keine Alternative?
Nach jeder verlorenen Wahl tritt Schröder vor
die Kameras mit den Worten "Es wird nichts geändert, wir machen
weiter so." Das Sparprogramm sei ohne Alternative, heißt es von
Regierungsvertretern beider Parteien übereinstimmend.
Obwohl unstrittig ist, daß die Zinsbelastung
des Bundeshaushalts bedenkliche Ausmaße angenommen hat, ist ein
derart drastisches Sparen nicht notwendig oder sogar schädlich.
Der Bundeshaushalt kann als Haushalt eines Unternehmens angesehen werden,
und jeder Unternehmer weiß: Kredite sind notwendig und richtig,
wenn sie nicht zur Finanzierung laufender Kosten, sondern für Investitionen
genutzt werden. (Diese Idee steckt letztlich in der Vorschrift des Grundgesetzes,
nach der die Neuverschuldung die Investitionen eines Haushaltsjahres
nicht übersteigen darf.) Wie sieht vor diesem Hintergrund der Bundeshaushalt
2000 aus? Die Investitionen betragen 57,6 Mrd., während sich die
Neuverschuldung auf 49,5 Mrd. beläuft. Hier ist also noch Spielraum
von bis zu 8 Mrd. DM. Er braucht allerdings nicht zu 100% genutzt
zu werden, wenn man will, sogar überhaupt nicht, da es noch weitere
Alternativen gibt.
Dennoch ein paar Anmerkungen zu einer höheren
Neuverschuldung: Die USA haben das Ziel der Bundesregierung erreicht
und verfügen über einen ausgeglichenen Haushalt. Dies wurde
nicht etwa durch übermäßiges Sparen erreicht. Vielmehr
wurden in wirtschaftlich schwachen Zeiten zukunftswirksame Investitionen
getätigt, die zum Teil schuldenfinanziert wurden. Die Wirtschaft
ist dann tatsächlich wieder in Schwung gekommen, und dann erst
wurden die Staatsausgaben zurückgefahren. Oft wird die Staatsverschuldung
als unverantwortlich gegenüber folgenden Generationen bezeichnet.
Teile der Grünen haben deshalb für Sparpolitik den Begriff
der "Nachhaltigkeit" verwendet. Es ist aber ebenso wenig nachhaltig,
wenn die kommenden Generationen eine marode Infrastruktur vorfinden!
Deutschland hat im internationalen Vergleich hohe
Steuersätze, die sich auf die Investitionsbereitschaft negativ
auswirken können. Gleichzeitig liegt Deutschland aber bezüglich
der Schlupflöcher an der Spitze, was zumindest die großen
Unternehmen zu nutzen wissen, von denen einige überhaut keine Steuern
mehr bezahlen. So hat Crysler-Daimler seinen Unternehmenssitz nach eigenen
Angaben, wegen der guten Steuerbedingungen nach Deutschland und nicht
in die USA gelegt. Der Konzern zahlt in Deutschland wegen seiner Verlustvorträge
praktisch keine Steuern. In Bezug auf die tatsächliche Steuerbelastung
der Unternehmen ist Deutschland denn auch kein Hochsteuerland, sondern
liegt im Mittelfeld. Die ursprüngliche Idee der Bundesregierung,
eine Unternehmenssteuerreform durchzuführen, die zum Ziel hat,
die Steuersätze zu senken und gleichzeitig die Schlußlöcher
zu schließen (Verbreiterung der Bemessungsgrundlage) ist deshalb
richtig.
Eine aufkommensneutrale Steuerreform würde
die objektiv wirtschaftsfreundlichen Bedingungen erhalten und zugleich
die subjektiven Probleme der hohen nominellen Steuersätze beseitigen.
Nun wird aber die Unternehmnenssteuerreform keineswegs aufkommensneutral
durchgeführt, sondern kostet den Bund jährlich 8 Mrd. DM,
also mehr als im Haushaltsjahr 2000 im Vergleich zu 1999 eingespart
wird. Den Unternehmen werden also 8 Mrd. geschenkt, während den
Arbeitslosen 7.5 Mrd. genommen werden.
Von der Wissenschaftlergruppe um Rudolf Hickel wird
vorgeschlagen, wie ursprünglich im Steuerentlastungsgesetz vorgesehen,
das Ehegattensplitting schrittweise abzuschaffen. Das Ehegattensplitting
führt zu jährlichen Steuerausfällen von über
30 Mrd. DM.
Die Wiedereinführung der Vermögenssteuer
für private Haushalte (unter Berücksichtigung des BVG-Urteils
von 1995) würde nach Berechnungen des DIW bei einem Freibetrag
von immerhin einer halben Million und einem Steuersatz von 1%, 30
Mrd. Mehreinnahmen bringen.
Nun mögen manche dieser Alternativorschläge
bezüglich der Höhe dessen, was sie bringen, umstritten sein.
Das macht allerdings überhaupt nichts, denn die Alternativvorschläge
summieren sich auf stolze 76 Mrd. DM. Das ist mehr als das 10-fache
der im Haushalt 2000 im Vergleich zu 1999 eingesparten Summe von 7,5
Mrd. DM. Die Behauptung "ohne Alternative" ist also eindeutig falsch.
Es kommt vielmehr darauf an, was man will. Und ich meine: In Zeiten
steigenden Bruttosozialprodukts sollte man nicht ohne Not die Einkommen
der Ärmsten kürzen. Im Bundestagswahlkampf haben wir oft den
Schulterschluß mit den Kirchen gesucht, die vor einer neuen Armut
gewarnt haben. Was ist daraus geworden?
Bewertung
Ich denke, das vorstehende zeigt, daß das
Sparpaket sozial höchst problematisch ist. Nach den 7 verlorenen
Landtagswahlen dürfte ebenso klar sein, daß die Mehrheit
unserer WählerInnen das auch so sieht. Ob man das nun "soziale
Schieflage" oder, wie Jürgen Trittin, "soziale Härten" nennt,
halte ich für nebensächlich.
Die Politik der rot-grünen Bundesregierung
hat auch vom sozialen Standpunkt begrüßenswerte und richtungsweisende
Schritte getan. Positiv sind die Einkommensteuererleichterungen, die
gerade auch unteren und mittleren Einkommen zugute kommen sowie die
Erhöhung des Kindergelts. Als Ausrede für die unsozialen Maßnahmen
des Sparpakets sind diese Verbesserungen jedoch nicht geeignet. Rentner
profitieren nicht von der Kindergelderhöhung und nur wenig von
den Steuererleichterungen. Die Gefahr der zu geringen Zukunftsinvestitionen
wird durch die genannten Verbesserungen nicht tangiert. Die einseitige
Belastung der Arbeitslosen und RV-Beitragszahler wird dadurch nicht
ausgeglichen. Begrüßenswert ist immerhin, daß auf jüngste
GRÜNE Initiative das Kindergelt fortan nicht mehr auf die Sozialhilfe
angerechnet wird.
Besonders ärgerlich für uns GRÜNE
finde ich es, daß die überwiegend einkommensschwachen Sparopfer
keinen Ausgleich für die Mehrbelastung durch die Ökosteuer
erhalten. Auf der Veranstaltung der GAL zur Ökosteuer im Bundestagswahlkampf
hat Ali Schmidt (MdB) auf die Frage, wie denn die Rentner und Arbeitslose,
die ja nicht von den durch die Ökosteuer gesenkten Lohnnebenkosten
profitieren, einen Ausgleich erhalten, geantwortet, daß die Renten
und Sozialleistungen ja dynamisch mit den Nettoeinkommen wachsen, und
somit auch dort ein Ausgleich da sei. Aber gerade diese Anpassung von
Renten, Arbeitslosengeld und -hilfe soll nun für 2 Jahre auf Eis
gelegt werden.
Meines Erachtens droht auf Bundesebene die GRÜNE
Wirtschafts- und Finanzpolitik ihre soziale Ausrichtung zu verlieren.
Äußerungen einiger SpitzenvertreterInnen lassen befürchten,
daß sie den "Thatcher-Blair-Weg" gegen wollen. Grüne sollten
sich an modernen sozialen Wertvorstellungen und nicht an überkommenen
neoliberalen Sozialabbau- und Umverteilungsforderungen orientieren.
Es ist unsozial, bei steigendem Volkseinkommen
ausgerechnet den Ärmsten der Gesellschaft, den Arbeitslosen ihre
Einkommen und Renten zu kürzen.
Eine Rentenreform, die Abstriche am Rentenniveau
macht, ist möglicherweise langfristig notwendig. Die aktuelle pauschale
Niveauabsenkung ist aber unsozial, da sie auch die Bezieher von Niedrigrenten
am Rande des Sozialhilfeniveaus trifft. Eine sinnvolle Rentenreform
müsste gerade die Benachteiligung von Menschen mit unstetiger Erwerbsbiographie
aufheben. Statt dessen wird mit der Rentenkürzung für ArbeitslosenhilfeempfängerInnen
das Gegenteil gemacht.
Es ist nicht einzusehen, daß Steuergeschenke
für die Unternehmen finanziert, auf eine Vermögenssteuer verzichtet
und gleichzeitig die Rentenbeitragslasten einseitig auf die Arbeitsnehmer
umverteilt werden.
Die sozial positiven Maßnahmen, der Bundesregierung
können das nicht kompensieren. Zum Sparprogramm gibt es reichlich
Alternativen.
Literaturhinweise:
[1] Finanzplan des Bundes 1999 bis 2003, Unterrichtung
durch die Bundesregierung, Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Drucksache
14/1401. http://www.bundestag.de
[2] Wochenberichte des Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung (DIW), http://www.diw.de
[3] Bundeshaushalt 2000 und das Zukunftsprogramm
zur Sicherung von Arbeit, Wachstum und sozialer Stabilität, DGB-Informationen
zur Wirtschafts- und Strukturpolitik Nr. 7/1999, 13.9.99, http://www.dgb.de
[4] Arbeit, Umwelt, Gerechtigkeit - Beschäftigungspolitik
statt Sparbesessenheit, Sondermemorandum der Arbeitsgruppe "Alternative
Wirtschaftspolitik",
http://www.barkhof.uni-bremen.de/kua/memo/memofor/aktuell.htm
[5] Prognos-Gutachten zur finanziellen Entwicklung
der gesetzlichen Rentenversicherung (Kurzfassung), http://www.vdr.de
[6] Jürgen Falter, Kai Arzheimer: Rein in die
neue Mitte - oder raus aus der neuen Mitte?, FAZ 31.8.199 (Kann von
mir per E-Mail bezogen werden. riese@muenster.de)
[7] H. Flaßbeck: "Reallöhne und Arbeitslosigkeit
- Empirische Widerlegung der neoklassischen Beschäftigungstheorie",
Diskussionspapier des DIW Nr. 162, Berlin, Februar 1998, http://www.diw.de