Antrag an die LMV Hessen am 04.12.1999
Antrag 9.1 LAG Energie


Den Atomausstieg vom Konsens auf die Füße stellen

Wenn ein Atomausstiegskonzept, das den unten aufgeführten Punkten entspricht, nicht bis Ende 1999 auf der Ebene der Bundesregierung verabschiedet ist, spricht sich der Landesverband von BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN HESSEN für eine BDK (Parteitag) zur Beratung der Atom- und Energiepolitik im März 2000 aus.

Der Entwurf eines "Konsenspapiers", wie es der Bundeswirtschaftsminister im Juni 1999 vorlegte, stärkt die Stellung der Atomwirtschaft. Er ist damit das Gegenteil einer Ausstiegsstrategie. 35 Jahre Laufzeit garantieren den AKW-Betreibern zunächst, dass es unter der amtierenden Regierung, selbst in der kommenden Legislaturperiode, nicht zu Stilllegungen kommt. Eine sich der Anti-Atombewegung weiter zurechnende Partei kann ein solches "Angebot" nur als schlechten politischen Scherz oder als Provokation werten. Wir treten weiter für eine Beendigung der Atomwirtschaft so schnell wie möglich ein. Die hohen Risiken der Atomkraftnutzung können ernsthaft keiner Gesellschaft zugemutet und von keiner Regierung wirklich verantwortet werden. Eine Katastrophe wie in Tschernobyl 1986 kann sich, trotz geringer Wahrscheinlichkeit, an jedem AKW ereignen. In dicht besiedelten Regionen, wie in Deutschland, wären die Auswirkungen unvorstellbar schlimm. Wir wissen auch, dass die Gefahr einer Kernschmelze mit den Betriebsjahren eines Reaktors zunimmt.

Hinzu kommen die strahlenden Altlasten der Atomindustrie, für die es ein dauerhaft sicheres Entsorgungskonzept nie geben wird und die mit jedem Betriebsjahr weiter anwachsen.Weiterhin sind die ökologischen und sozialen Schäden beim Uranabbau unermeßlich, die Proliferationsgefahr in den militärischen Bereich ist nicht beherrschbar. Schließlich blockiert der Fortbestand der Atomwirtschaft eine wirksame Energiewende hin zu Klimaschutz und zu einem starken Ausbau von systemen erneuerbarer Energien. Die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Atomkraftwerke im liberalisierten Strommarkt stellt sich uneinheitlich dar.Es ist daher nur teilweise betriebswirtschaftlich rational, wenn die Atomkonzerne möglichst lange Laufzeiten, den Verzicht auf Stilllegungen in der laufenden Legislaturperiode und mehr Nachsicht bei sicherheitstechnischen Auflagen auszuhandeln suchen. Ein weiteres Motiv liegt im Pokern um einen möglichst hohen Ausstiegspreis. Eine Regierung sollte mit diesen Handlungsmotiven rechnen, in ökologischer Verantwortung muss sie hier aber Härte zeigen. Wegen des überhohen Risikos der Kernkraftnutzung ist die Länge der Betriebsdauer von AKWs eigentlich nicht verhandelbar. Die legitime Forderung des Sofortausstiegs kann nur insofern abgeschwächt werden, als die Atomkonzerne über monetäre und juristische Machtmittel verfügen. Hier muss die Regierung in Rechnung stellen: Atomkraftwerke sind nach 19 Jahren abgeschrieben. Die "jüngsten" deutschen AKWs - Neckar 2, Emsland, Isar 2, Brokdorf - haben eine Betriebszeit von 11-13 Kalenderjahren. Die Betriebsdauer von Atomkraftwerken ist aus unserer Sicht auf maximal 25 Kalenderjahre zu begrenzen. Bekanntlich nehmen die Risiken der Atomkraftnutzung mit der Betriebsdauer überproportional zu; Verlängerungen der Laufzeiten sind daher ein Spiel mit dem Feuer.

Eine Einigung über die Beendigung der Atomwirtschaft kann nicht allein mit den betroffenen Unternehmen gesucht werden. Eine Entscheidung über diese Hochrisiko-Technologie muss in gesellschaftlicher Verantwortung und jenseits betriebswirtschaftlicher Interessen getroffen werden. In die Konsensgespräche sind daher ebenso die Positionen der Umwelt- und Anti-Atom-Verbände einzubeziehen. Der Atomausstieg muß gesetzlich fixiert werden. Dasselbe gilt vereinbarungsgemäß für die Novellierung des Atomgesetzes, die u.a. ein Verbot der Wiederaufarbeitung festschreibt, den Förderzweck streicht und die Deckungsvorsorge erhöht.

Wenn die Konsensgespräche scheitern, kann und muss die Bundesregierung ihren rechtlichen Handlungsspielraum in puncto Sicherheitsstandards und Entsorgungsnachweis voll nutzen bzw. die Bundesländer dabei unterstützen. Die Technologie der Wiederaufarbeitung verursacht untragbar hohe Umweltbelastungen und Gesundheitsgefahren und erhöht das Risiko der Proliferation. Sie ist zudem unwirtschaftlich, weshalb die deutsche Atomindustrie schon vor Jahren da aussteigen wollte. Mit einem gesetzlich fixierten Ausstiegskonzept entfällt spätestens selbst die Scheinlegitimation der Wiederaufarbeitung, dass sie der Herstellung eines Brennstoffkreislaufs diene. Daher ist die Wiederaufarbeitung im Ausstiegsgesetz spätestens inJahresfrist zu beenden.

Ein beschlußfähiges Konzept zur Endlagerung kann es erst nach Verabschiedung eines Ausstiegsgesetzes geben. Die Erkundung von Gorleben ist umgehend zu unterbrechen. Insgesamt gehen wir weiter davon aus, daß nur ein Endlager für alle Abfallarten ausgewiesen werden soll. Die Bundesrepublik Deutschland hat eine nationale Verantwortung für die Abfälle, die mit der Nutzung der Atomenergie in Deutschland entstanden sind und entstehen; sie darf diese daher nicht ins Ausland verlagern. Ein enormer finanzieller Anreiz, Atomkraftwerke zu betreiben, sind die steuerfreien Rückstellungen zur Entsorgung, die derzeit auf über 70 Milliarden DM angewachsen sind. diese Rückstellungen müssen in einer öffentlich-rechtliche Stiftung oder in einen öffentlich rechtlichen Fonds überführt werden.

Der Bau von neuen standortnahen Zwischenlagern zur Vermeidung von Transporten nach Gorleben und Ahaus kann nur akzeptiert werden, wenn der Ausstieg aus der Atomkraftnutzung verbindlich geregelt ist. Die Zwischenlager müssen baulich und genehmigungsrechtlich auf die Restlaufzeiten der Anlagen begrenzt sein. Die Transporte von Brennelementen können erst dann wieder stattfinden, wenn alle technischen Probleme gelöst sind. Aus politischen Gründen kann eine Wiederaufnahme der Transporte vor einem definierten Ende der Atomkraftnutzung nicht akzeptiert werden. Eine Wiederaufnahme von Atomtransporten ohne ein verbindliches und beschlossenes Ausstiegskonzept aus der Atomkraftnutzung ist ausgeschlossen. Wir mobilisieren gegen jeden Castor - Transport, wenn der Ausstieg nicht geregelt ist.

Der Atomausstieg muß begleitet werden vom Aufbau einer klimaverträglichen und dezentralen Stromversorgung, die auf Kraftwärmekopplung, aufdie Nutzung erneuerbarer Energien und auf wirksame Strategien der Energieeinsparung gestützt ist.

Eine umgehende Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes ist hierzu ein wesentlicher Bestandteil. Notwendig ist der zügige Erlaß einer überprüfbaren Durchleitungsverordnung, die insbesondere Stadtwerken einen wirtschaftlichen Netzbetrieb und faire Duchleitungsbedingungen für alle Stromproduzenten ermöglicht. Außerdem sprechen wir uns für eine jährlich wachsende Quote für Strom aus Kraftwärmekopplung aus; sowie eine Verbesserung des Stromeinspeisegesetzes, die eine wirtschaftlich rentable Erzeugung erneuerbarer Energien ohne Ansetzung von Obergrenzen ermöglicht.

Dieter Kaufmann, KV OF – Land
Angela Hanisch, KV FFFMt
Waltraud Bornheimer
Rüdiger Kurth, KV Hochtaunus