junge Welt
27.09.1999
Neue Linke aus dem Norden
Ex-Grüne gründen Verein und wollen bald bundesweit präsent sein
Grüne Dissidenten aus Schleswig-Holstein haben am Freitag eine neue politische Gruppierung ins Leben gerufen, die Neue Linke Schleswig- Holstein. Auch wenn man sich zunächst nur auf Landesebene organisiert, so soll doch möglichst bald etwas Bundesweites daraus werden. Kontakte zu ähnlichen Gruppen in anderen Bundesländern bestehen bereits. Vor allem mit Hamburg gibt es einen regen Austausch, wo sich Ex-Grüne aus der Bürgerschaftsfraktion und verschiedenen Bezirksparlamenten unter dem Emblem des Regenbogens gesammelt haben. Nach einer neuen Partei steht in Schleswig-Holstein allerdings den wenigsten der Sinn. Gedacht ist zunächst eher an einen losen Verein, unter dessen Dach sich lokale Wählerinitiativen sammeln.
Dieser Ansatz entspricht ganz der Zusammensetzung der Versammlung am Freitag, in der Kommunalpolitiker den Ton angaben. Auch in Schleswig-Holstein, so erwartet man, wird demnächst die Fünf- Prozent-Hürde auf der lokalen Ebene fallen, so daß es neue Parteien und Initiativen leichter haben werden, in die Kommunalparlamente einzuziehen. Zu den im Februar anstehenden Landtagswahlen wolle man noch nicht antreten, da der organisatorische Aufwand zu groß sei. Das heiße aber nicht, so Wolfgang Neskovic, Noch-Grüner aus Lübeck und Richter am dortigen Landgericht, daß man sich nicht einmischen wolle. Man werde die Gelegenheit natürlich nutzen, den Grünen ihre Fehler vorzuhalten.
Die sah man im Lübecker Rathaus, wo das Treffen stattfand, nicht nur in der Kriegspolitik der Regierungskoalition. Der Angriff auf Jugoslawien, so Neskovic, sei nur die berühmte Schneeflocke gewesen, die den Ast zum Brechen brachte. Unzufriedenheit und Frustration hatte sich bei den Anwesenden bereits seit langem angestaut. Nicht zuletzt die Regierungsbeteiligung in Kiel und der damit verbundene Bruch von Wahlversprechen hatte viele schon vor Jahren in die Opposition getrieben.
Im Südosten des Landes, aus dem die Mehrzahl der Versammelten kam, hatten die Grünen seinerzeit ihren letzten Landtagswahlkampf mit konsequenter Opposition gegen den Bau der Ostseeautobahn A 20 bestritten, um dann in eine Regierung einzutreten, die ihn weiter vorantreibt. Auch Schleswig-Holsteins Atomkraftwerke liegen in dieser Region. Die Untätigkeit der Landesregierung in Sachen Ausstieg aus der Atomenergienutzung und insbesondere die Politik des zuständigen Grünen Staatssekretärs hinsichtlich des Leukämie-Reaktors Krümmel hatte an der grünen Parteibasis für viel böses Blut gesorgt. In Lübeck, so berichtete Antje Jansen, Noch-Mitglied der dortigen Ratsfraktion der Grünen, planen Umweltverbände denn auch, im Winter einen Anti- Wahlkampf gegen die Grünen zu führen.
Angeboten der PDS, sich an ihrer Liste zu beteiligen, stand man allerdings eher skeptisch gegenüber, auch wenn einige der Anwesenden keinen Hehl aus ihrer Sympathie für die Partei machten. Nicht wenige von ihnen waren bereits den Weg von der SPD zu den Grünen gegangen, darunter neben Neskovic auch die Landtagsabgeordnete Adelheid Winking-Nikolay, die im März die grüne Fraktion verlassen hatte, und verspüren wenig Verlangen, sich schnell wieder zu binden.
Die PDS Schleswig-Holsteins hat nach längeren Verhandlungen endlich die Genehmigung vom Bundesvorstand bekommen, zu den Landtagswahlen zu kandidieren. Der Wahlkampf soll von Berlin aus geleitet werden, wie von der hiesigen PDS zu erfahren ist. Kaum anzunehmen, daß Ex-Grüne sich mit einem derart abstrusen Demokratieverständnis anfreunden werden können.
Wolfgang Pomrehn, Kiel