Gastkolumne im Neuen Deutschland:

von Annelie Buntenbach

 

Grün diffus

Von Annelie Buntenbach. Die Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/ Die Grünen ist Arbeitsmarktexpertin ihrer Fraktion.

Gleich zwei grüne Strategietreffen am letzten Wochenende, das ließ aufhorchen. Beratungsbedarf über Zustand und Zukunft des grünen Projektes gibt es reichlich. Nach einem Jahr Regierungsverantwortung zeigt sich nicht ein Politikwechsel im Land, wie ihn die rot-grünen Partner versprochen hatten, sondern ein Profilwechsel bei den Grünen. Im Schlagschatten der Regierungsbeteiligung findet - nicht nur in der Frage von Krieg und Frieden - eine rasante inhaltliche Umpositionierung statt.

Statt nach dem Rücktritt von Lafontaine im immer größer werdenden Raum links von Schröder sozialökologische
Perspektiven zu verankern und um Unterstützung zu werben, versuchen etliche Grüne die SPD rechts zu überholen. Sie sehen sich als Motor der »Modernisierung«, z.B. bei der Durchsetzung von Niedriglohnsubventionen. Neu ist an solcher Politik allerdings nur, dass Grüne sie jetzt für sich entdeckt haben.

Um der FDP aber wirklich den Rang ablaufen zu können, müssen - so die Exponenten der Youngsters, die sich in Leipzig trafen, schon vorab in einem Papier - Teile der grünen Mitgliedschaft und des Wählerpotentials ausgetauscht werden. Spannender waren da schon die Resultate des als »strömungsüberpreifend« titulierten Realo-Treffens in Berlin. Der Einlader und Geschäftsfahrer der Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, hat ein Gespür, wo die möglichen Stolpersteine bei der programmatischen Neudefinition der Grünen liegen könnten.

Wenn das grüne Profil sich künftig in einer »Modernisierungsdebatte« um »Zukunftsverantwortung« und »Generationengerechtigkeit« verorten soll, auf der anderen Seite aber kein Wort über die derzeitige soziale Schieflage bei der Debatte über die Steuer- und Haushaltspolitik verloren wird, stimmt das skeptisch. Was hier so unkonkret daher kommt, könnte zu einem weiteren Schritt in Richtung einer Neupositionierung der Grünen als liberale Scharnierpartei zwischen dem Reformflügel der CDU und einer neuliberal gewendeten Schröder-SPD führen. Für
die politische Linke in der BRD wäre diese Entwicklung fatal. Würde dies doch die emanzipatorischen Kräfte weit über die Parteigrenzen hinaus schwächen.

Ein Blick zurück: Vor vier Jahren hatte Tom Koenigs, damals grüner Stadtkämmerer in Frankfurt (Main), jetzt UN-Beauftragter für den zivilen Aufbau in Kosovo, das Konzept der »nachhaltigen Finanzpolitik« eingebracht. Diese Vorstellung ist mittlerweile common sense sowohl bei den Grünen als auch mehrheitlich in der SPD. Diese Finanzpolitik zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie auf die strikte Begrenzung der Ausgabenseite setzt. Für Finanzminister Eichel gilt dies als alternativlos. Einem Großteil der Grünen geht alles noch nicht schnell genug.

Diese neue Rollenteilung verträgt sich durchaus mit der neuliberalen Programmatik einer »Angebotspolitik von links« a la Schröder-Blair. Wer die Vorstellung hat, eine Entlastung der Unternehmen und »Leistungsträger« der Gesellschaft garantiere neue Arbeitsplätze und nicht nur höhere Spekulationsgewinne an der Börse, der muss seine Haushaltskonsolidierung auf Kosten der sozial Schwachen durchfahren.

Schon unter der Kohl-Regierung hat diese Politik lediglich zu einem stetigen Anstieg der Arbeitslosenzahlen und einer immer breiteren Kluft zwischen Arm und Reich geführt. Mittelfristig wird sich auch die rot-grüne Parlamentsmehrheit. entscheiden; müssen, ob sie den Haushalt oder die Reichen entlasten will. Bisher tragen Erwerbslose und Rentner einen Großteil der Lasten - bis zum Jahr 2003 sollen sie für die Haushaltssanierung mit insgesamt 48,5 Mrd. DM herangezogen werden.

Dabei gäbe es durchaus Möglichkeiten. die Lasten gerechter zu verteilen. Nicht nur der Wirtschaftswissenschaftler Hickel plädiert für eine verfassungskonforme Wiedereinführung der privaten Vermögensteuer, die nach einer von ihm vorgelegten Studie den Haushalt durch Mehreinnahmen von 40 bis 50 Mrd. DM entlasten würde. Die Reform der Erbschaftsteuer, Sonderabgaben auf hohe Vermögen, konsequentere Durchführung der Steuerfahndung sind in der Diskussion, um diejenigen, die mehr haben, stärker in die Verantwortung zu nehmen.

In den nächsten Monaten wird es eine breite Diskussion in der Gesellschaft über den Kurs der Bundesregierung und den versprochenen Politikwechsel geben. An diesem Kurs wird sich nur etwas ändern, wenn sich viele mit ihrer Kritik und ihren Vorschlägen einmischen. Immerhin haben sich jetzt in der SPD- Fraktion Stimmen gegen das neuliberale Paradigma zu Wort gemeldet. Auch die verbliebene grüne Linke wird nicht umhin kommen, ihre Position einer solidarischen und nicht ausgrenzenden Politik zu formulieren. Vielleicht sollte man sich ja mal treffen. Daraber reden ist immer gut.

aus: Neues Deutschland v. 4./.5.September 1999, S. 1
(Gastkolumne)


 

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