Die NaturFreunde, Verband für Umweltschutz, Touristik
und Kultur
Landesverband Brandenburg
September 2000
Dannenwalder Erklärung der NaturFreunde Deutschlands
zu einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung
Die immer noch zunehmende Belastung von Natur und Umwelt durch den Verkehr
ist weltweit eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen
der Gegenwart.
Die für die politische und wirtschaftliche Entwicklung Verantwortlichen
in Deutschland haben - von einigen erfreulichen Ausnahmen abgesehen -
die Bedeutung der hier zu lösenden Aufgaben noch nicht erkannt. Anders
als im Energiebereich ist die überfällige Verkehrswende noch
nicht in Sicht!
Uns NaturFreunden liegt ein naturverträglicher, sanfter Tourismus
besonders am Herzen. Deshalb setzen wir uns für eine nachhaltige
Gestaltung des stark zunehmenden Freizeit- und Urlaubsverkehrs ein. Dazu
gehört vor allem der Ausbau des sog. Umweltverbundes, d.h.
eine Verbindung und attraktive Gestaltung des öffentlichen Verkehrs
mit dem nicht motorisierten Verkehr (Wandern, Fahrradfahren, Skaten, Bootsfahren
etc.).
Für uns NaturFreunde hat der Wald eine große und vielfältige
Bedeutung: als Ziel für Wanderungen und Erholung, aber auch als
wichtige Ressource für die menschliche Existenz.
Die jährlichen Waldschadensberichte machen deutlich, dass unser Wald
weiter stirbt, auch wenn das weitgehend verdrängt wird. Und Schuld
am Waldsterben haben u.a. auch die im Steigen begriffenen Emissionen der
Autos. Der Trend von immer mehr Flächenverbrauch, Lärm und Abgasen
muss endlich umgekehrt werden.
A) Welchen Personenverkehr wollen die NaturFreunde Deutschland?
Personenverkehr in Deutschland muss folgende Bedingungen
erfüllen:
1. Er muss so umwelt- und naturverträglich wie möglich sein,
d.h. er soll so wenig wie möglich Energie verbrauchen, so wenig wie
möglich Schadstoffe erzeugen und möglichst wenig Raum beanspruchen.
Die Belastung durch Lärm ist zu reduzieren.
2. Er muss die Mobilität der gesamten Bevölkerung erhalten und
verbessern. Dies bedeutet, dass der Personenverkehr so beschaffen sein
muss, dass es Jedem möglich ist, alle gewünschten Wege zurückzulegen.
3. Er muss sozial verträglich sein. Dies bedingt, dass alle Bevölkerungsschichten
ungehindert Zugang zu den Verkehrsmitteln haben, weitgehend unabhängig
von ihren finanziellen Möglichkeiten und ihren körperlichen
Fähigkeiten. Oder anders ausgedrückt: Auch Alte, Kinder, Frauen
und sozial schwache Personen müssen ein Verkehrsmittel zur Verfügung
haben, welches ihnen die unter Punkt zwei geschilderte Mobilität
erlaubt.
B) Wie sieht solcher Personenverkehr in Deutschland aus?
Motorisierter Individualverkehr
Der derzeitige Schwerpunkt des Personenverkehrs liegt auf dem motorisierten
Individualverkehr mit dem Auto. Diese Art des Verkehrs erfüllt die
Bedingung des Punktes 2 nach hoher Mobilität ausgezeichnet, während
die anderen beiden Punkte deutlich ins Hintertreffen geraten. Das Auto
ist weder umweltverträglich noch sozialverträglich. Es benötigt
zu viel Primärenergie, verbraucht zu viel Platz sowohl im stehenden
als auch im ruhenden Verkehr. Sozial schwache Personen oder Personen,
die körperlich nicht mehr ganz fit sind, können am motorisierten
Individualverkehr nicht selbstbestimmt teilnehmen.
Das Auto als Unfallverursacher ist die Ursache für unendliches Leid
in den Familien; allein die Zahl der Toten in Deutschland hat nach dem
Krieg fast eine Million erreicht.
Öffentlicher Verkehr
Die öffentlichen Personenverkehre mit Zug, S-Bahnen, Straßenbahnen
und Bussen sind in der Regel wesentlich umweltverträglicher, da sie
pro Personenkilometer weniger Primärenergie verbrauchen, weniger
Schadstoffe erzeugen und geringere Flächen beanspruchen. Die Einzelbelastung
ist natürlich von der Auslastung abhängig. Eine Ausnahme bezüglich
der Umweltbelastung macht der Hochgeschwindigkeitszugverkehr, der gegenüber
dem Automobil nur unwesentlich weniger Energie benötigt und bei schlechter
Auslastung sogar dieses übertrifft. Er ist nur im Vergleich mit dem
Flugverkehr konkurrenzfähig.
Auch die Sozialverträglichkeit des öffentlichen Personenverkehrs
ist wesentlich höher.
Nicht-motorisierter Individualverkehr
Besonders günstig stellt sich der nicht-motorisierte Individualverkehr
dar. Beim Zu-Fuß-Gehen, Skaten und Radfahren spielen der Energieverbrauch
und die Schadstoffemissionen überhaupt keine Rolle, der Platzverbrauch
ist sehr gering. Die individuelle Verfügbarkeit ist hoch, da geringe
bis keine Investitionen notwendig sind, und durch das niedrige durchschnittliche
Tempo auch Senioren und Kinder daran teilnehmen können (besonders
wenn getrennte, durchgängige Rad- und Fußwege vorliegen).
Für den Verkehr über ca. 15 bis 20 Kilometer ist Radfahren und
Zu-Fuß-Gehen nicht geeignet. Leider haben sich unsere Siedlungsstrukturen
so entwickelt, dass durchschnittliche Wege oft über dieser Grenze
liegen.
C) Die Forderungen der NaturFreunde Deutschland
Die von der rot-grünen Bundesregierung getroffene Koalitionsvereinbarung
für den Bereich Verkehr bietet eine Reihe von Festlegungen, die von
den NaturFreunden unterstützt werden.
Dazu gehören:
1. Die zügige Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplans mit
dem Ziel, auf der Basis eines umfassenden Verkehrskonzeptes möglichst
hohe Anteile des Straßen- und Luftverkehrs auf Schiene und Wasserstraße
zu verlagern.
2. Die Berücksichtigung der besonderen Anforderungen an Mobilität
im ländlichen Raum.
3. Durchsetzung einer erfolgreichen Bahnreform, d.h. insbesondere
- Beseitigung der Wettbewerbsnachteile der Bahn
- Senkung der Trassenpreise
- Angleichung der Investitionsmittel für Straße und Schiene
- Bestimmungsmäßiger Einsatz der gesetzlich festgelegten Mittelanteile
für Schienennahverkehrsprojekte
4. Attraktivere Gestaltung der öffentlichen Verkehrssysteme, die
zuverlässiger, schneller, frauen- und behindertengerechter zu gestalten
sind; Voraussetzung ist der Erhalt der Regionalisierungsmittel sowie die
dauerhaft gesicherte Förderung nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz.
5. Schutz der Menschen vor Verkehrslärm, besonders während der
Nachtruhe.
6. Verminderung der ökologischen Belastungen durch den Luftverkehr,
z.B. durch die Verlagerung des Kurzstreckenverkehrs auf die Schiene; Durchsetzung
der Kerosin-Besteuerung und der Aufhebung der Umsatzsteuerbefreiung im
grenzüberschreitenden Luftverkehr.
7. Verbesserung der Verkehrssicherheit, u.a. durch Tempolimits in geschlossenen
Ortschaften.
8. Möglichst frühzeitige Einführung einer fahrleistungsabhängigen
Schwerverkehrsabgabe.
Wir NaturFreunde erwarten, dass die Bundesregierung die verbleibende
Zeit der Legislaturperiode nutzt, diese Pläne in die Wirklichkeit
umzusetzen!
Darüber hinaus fordern die NaturFreunde:
1. An erster Stelle fordern wir die Vermeidung unnützen motorisierten
Verkehrsaufkommens.
Hier gibt es - wie bei der Energie - erhebliche Einsparpotentiale durch
- Vermeidung überflüssiger Ferntransporte
- Vermeidung von Leerfahrten
- enge räumliche Vernetzung von Wohnen, Arbeiten und Versorgung
2. Stärkung des nicht-motorisierten Individualverkehrs durch:
- Ausbau durchgehender umweltverträglicher Rad- und Gehwegverbindungen
im Nahbereich
- bessere Verbindung des öffentlichen Verkehrs mit dem Individualverkehr
durch entsprechende Angebote z.B. zur Mitnahme des Fahrrades
- Stärkung der Position der Radfahrer und Fußgänger durch
weitgehende Vorrechte in der Straßenverkehrsordnung
- sozialverträglichen Wettbewerb auf der Schiene und im ÖPNV
3. Stärkung des öffentlichen Nahverkehr durch
- Erhalt und Ausbau eines flächendeckenden Zugangebotes, keine weitere
Streckenstilllegungen
- Vertaktung und Optimierung der Schnittstellen der Verkehrsträger
(Entscheidend ist nicht die Fahrtgeschwindigkeit, sondern die Gesamtreisezeit,
die vor allem von klappenden Anschlüssen und einer dichten Taktfolge
bei Umsteigebeziehungen abhängt!)
- weitgehende, im öffentlichen Bereich zugängliche Information
über Fahrpläne und Verbindungen
- mehr Pünktlichkeit
- einen Komfort, der Fahrgäste als Kunden und nicht als Beförderungsfälle
behandelt
- preiswerte Tarife
- staatliche und kommunale Unterstützung umweltfreundlicher Initiativen
wie CarSharing und Bürgerbusse (Motto: Bürger fahren Bürger)
als Ergänzung für den ÖPNV
4. Stärkung des öffentlichen Fernverkehrs durch
- den Erhalt des Interregionetzes
- die Schaffung eines vertakteten Angebots auch in den Tagesrandlagen
- eine klare Tarifstruktur, die sowohl von den Angestellten der DB AG
als auch von den Kunden verstanden wird
- die Schaffung eines flächendeckenden Angebots an komfortablen Nachtverbindungen
- Beschränkung des Hochgeschwindigkeitsverkehrs auf die Relationen,
die in Konkurrenz zum Flugverkehr stehen
- Verzicht auf Transrapid-Strecken
5. Einschränkung des motorisierten Individualverkehrs und Verminderung
der Natur- und Umweltschädigung durch
- Kostenwahrheit im Straßenverkehr, d.h. Anpassung der Benzinpreise
an die verursachten Kosten. Wir beteiligen uns an der Kampagne "Kostengerechtigkeit
im Straßenverkehr"
- Einführung einer verkehrsmittelunabhängigen Kilometerpauschale
- intensive Parkraumbewirtschaftung
- Förderung der Forschung zu abgasfreien bzw. -armen Antriebsmöglichkeiten
- staatliche Unterstützung für Fahrzeuge die nur 3 l und weniger
verbrauchen
- Umstellung der Kfz-Besteuerung vom Hubraum auf CO2-Ausstoß
- Flottenverbrauchsregelung zur generellen und fortlaufenden Absenkung
des Kraftstoffverbrauches
- Einführung von Geschwindigkeitbeschränkungen:
° Tempo 30 in geschlossenen Ortschaften
° Tempo 80 außerhalb von Ortschaften
° Tempo 120 auf Autobahnen
6. Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die
Schiene durch
die Einführung einer spürbaren Schwerverkehrsabgabe, die sich
an dem Schweizer Vorbild orientiert, wo der Marktanteil der Bahn mehr
als doppelt so hoch ist wie in Deutschland (38% gegenüber 16%!).
Wir fordern:
> als Einstieg: 12-Tonner zahlen 12Pf/km, 40-Tonner zahlen 40Pf/km.
Um die beabsichtigte Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße
auf die Schienen zu erreichen, sind in den kommenden Jahren diese Beiträge
kontinuierlich zu steigern (in der Schweiz werden als Ergebnis eines Volksentscheids
ab 2001 DM 78Pf/km und ab 2005 DM 137Pf/km erhoben!)
> Erhebung der Abgabe auf allen Fernverkehrsstraßen und nicht
nur auf den Autobahnen
> überwiegende Investition der Milliarden-Erlöse in den Schienenverkehr
7. Eindämmung der ökologisch schädlichen und sozial
ungerechtfertigten Auswirkungen des Flugverkehrs durch
- Verzicht auf Kurzstreckenflüge; unter 700 km Reisedistanz Verlagerung
des Personen- und Güterverkehrs auf die Schiene
- Einführung einer europaweiten Kerosinsteuer
- Emissionsbezogene Gebühren für Starts und Landungen
- Streichung aller Steuervorteile und Subventionen für den Flugverkehr
- Reduzierung von Tief- und Nachtflügen sowie Fluglärm
- Kein weiterer Ausbau von Flughäfen und Zubringer-Infrastruktur
Die NaturFreunde können und wollen natürlich nicht das Fliegen
verbieten; sie fordern jedoch eine intensive Verbraucherinformation, die
über die Umweltgefahren des Flugverkehrs aufklärt, Belastungen
durch unnötige Flugbewegungen thematisiert und gezielte Tips für
ein umweltschonendes Verbraucher- und Reiseverhalten im Sinne eines sanften
Tourismus gibt.
8. Verzicht auf den weiteren Ausbau der Flüsse
Nicht die Flüsse müssen dem wirtschaftlichen Wachstumswahn angepasst
werden, sondern die Schiffsgrößen müssen sich den vorhandenen
Gewässerstrukturen anpassen.
Wir lehnen die Verschwendung von Steuermitteln in Millardenhöhe,
z.B. Für den unsinnigen Ausbau der Havel über 5 Milliarden,
ab. Diese Mittel sollen für die Renaturierung der Fliessgewässer
eingesetzt werden.
Nachdrücklich setzen sich die NaturFreunde in der aktuellen Diskussion
für den Erhalt der Ökosteuer ein.
Die Ökosteuer ist eines der zu Gunsten der Umwelt steuernden Elemente
der Politik, welches auf dem Weg zu einer Kostenwahrheit im Verkehr dringend
notwendig ist. Die Ökosteuer verteuert den Energieverbrauch, soll
damit zur Eindämmung des Verkehrsaufkommens beitragen und zur Energieeinsparung
und CO2-Minderung führen. Die soziale Belastung wird durch die Senkung
der Lohnnebenkosten aufgefangen. Kurzfristiges Profitdenken einzelner
Berufsgruppen darf nicht dem langfristigen Allgemeinwohl vorgezogen werden.
Die NaturFreunde fordern die Bundes- und Landesregierungen auf, konsequent
an der Ökosteuer festzuhalten.
Helmut Horst,
Leiter der Fachgruppe Natur und Umweltschutz
Duisburger Str. 17,
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