Hartwig Berger, Berlin, 19.06. 00
2. und aktualisierte Fassung von:
Bestandssicherung der Atomkraft oder Ausstieg?
Energiepolitische Bewertung der Vereinbarung zum Konsens mit den Atomkonzernen
Die "Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den ( 4 größten deutschen Energieversorgungsunternehmen ( zur Kernenergie)" ist aus der Sicht Grüner Energiepolitik nicht akzeptabel. Sie stellt eine Regelung zur staatlichen Absicherung des weiteren Betriebs von Atomkraftwerken dar, kein Ausstiegskonzept, das diesen Namen verdiente. Sie macht in der Sicherheitsfrage sehr weitgehende Zugeständnisse an die AKW-Betreiber und gesteht in der Gestaltung der Atompolitik den Stromkonzernen weitreichende Rechte zu. Das wirft die Frage auf: ob denn diese Konzerne oder demokratisch gewählte Institutionen dieses Land regieren. Eine Unterzeichnung der "Vereinbarung" würde auch nur scheinbar den vielbeschworenen Konsens in der Atomfrage begründen; vielmehr ist durch verschiedene Regelungen und auslegbare Formulierungen im Vertrag die Möglichkeit eines Dauerstreits zwischen Regierung und Atomkonzernen vorprogrammiert. Letztere können die "Drohung", den Konsens aufzukündigen, als ständiges Erpressungsmittel nutzen, um weitere Konzessionen zu erreichen.
Die zusammenfassende Kritik ist zu erläutern:
Durch verschiedene Rechentricks liegen die Restlaufzeiten deutlich über den von der zwischen SPD und Grünen abgesprochenen Maximalzeit von 30 Jahren, sie sind auch klar höher als die offiziell vereinbarten 32 Jahre. Zeitlich hätte die Atomkraftnutzung in Deutschland gerade ihren Zenit erreicht: Etwa so viel Strom wie bisher ( gut 2.500 Terawattstunden) dürfen demnach ab 2000 noch durch AKWs in Deutschland produziert werden ( noch 2,623 Terawattstunden). Hier von "Restlaufzeiten" oder von "beginnendem Ausstieg" zu sprechen, ist eine sachlich nicht begründbare Beschönigung.
Als Berechnungsgrundlage noch zulässiger Strommengen gelten die fünf ertragsreichsten Jahre, die ein Kraftwerk jeweils in den Jahren 1990-1999 aufzuweisen hatte. Darauf haben die EVU deshalb bestanden, weil die Liberalisierung des EU-Strommarkts ihnen in den letzten Jahren einen Zuwachs beschert hat, den sie als Bonus in die Zukunft nehmen möchten. Die Anrechnung einer virtuellen Laufzeit des abgeschalteten AKWs Mühlheim-Kärlich, von 11 Jahren ( plus o.a. Bonus), sichert den vier AKWs von RWE weitere Laufzeiten. Unverständlich ist, weshalb sich die Staatsseite zu einem Effizienz-Zuschlag von 5,5% bereitgefunden hat. Heißt dieses, daß die deutschen AKWs ihre kapazität noch ausbauen dürfen? Oder heißt es, daß sie auf Kosten der Sicherheit weiter ausgeknautscht werden können? Oder was?
Unter Absehung vom internen Strommengen-Handel kommt man auf folgende "Rest"Laufzeiten der deutschen AKWs. Die folgende Rechnung unterstellt eine realistische Kapazitätsauslastung von 80%. Wenn ein AKW stärker genutzt wird, verkürzen sich die Laufzeiten, wird es weniger genutzt, verlängern sie sich entsprechend.
Das AKW MülheimKärlich wird den 4 RWE-Anlagen zugeschlagen.
Beim Handel mit Strommengen zwischen den Kraftwerken verändern sich die Enddaten entsprechend, ohne die gesamtlaufzeit aller AKWs zu verändern.
AKW |
bisherige Laufzeit in Jahren |
Kapazität in Megawatt |
zugelassene Strommenge ab 01.01.00 in TeraWatt- stunden |
zulässige Laufzeit in Jahren |
Datum der vorgesehenen Stillegung ohne Stromhandel |
Obrigheim |
31 |
340 |
8,70 |
34 |
2003 |
Stade |
28 |
64o |
23,18 |
33,1 . |
2005 |
Biblis A |
25 |
1167 |
62,00 |
32,6 |
2007 |
Neckarwest- heim I |
24 |
785 |
57,35 |
34,4 |
2010 |
Biblis B |
24 |
1240 |
81,46 |
36,4 (+ M/K) |
2012 |
Brunsbüttel |
24 |
771 |
47,67 |
32,8 |
2008 |
Isar 1 |
22 |
870 |
81,46 |
34,8 |
2012 |
Unterweser |
21 |
1285 |
117,98 |
34,1 |
2013 |
Philippsburg. 1 |
21 |
890 |
87,14 |
35,0 |
2014 |
Grafen- Rheinfeld |
18 |
1275 |
150,03 |
34,9 |
2017 |
Krümmel |
16 |
1260 |
158,22 |
34 |
2018 |
Gund-remmingen B |
16 |
1284 |
160,92 |
36,9(+M/K) |
2020 |
Philippsburg 2 |
15 |
1358 |
198,61 |
35,9 |
2020 |
Grohnde |
15 |
1360 |
200,90 |
36,1 |
2021 |
Gund remmingen C |
15 |
1288 |
168,35 |
36,7(+M/K) |
2021 |
Brokdorf |
13 |
1370 |
217,88 |
35,7 |
2o22 |
Isar 2 |
12 |
1400 |
231,21 |
35,6 |
2023 |
Emsland |
12 |
1290 |
230,07 |
40,8(+M/K) |
2028 |
Neckar- Westheim 2 |
11 |
1269 |
236,04 |
37,5 |
2026 |
Die folgende Tabelle wurde von Rudi Amannsberger, Mitarbeiter der bayerischen Landtagsfraktion erstellt. Sie rechnet die Abschaltungsfristen, indem sie von der bisherigen durchschnittlichen Stromerzeugung der einzelnen AKWs ausgeht.
Mülheim/Kärlich müsste hier pro AKW mit einem 3/4 Jahr dazugerechnet werden.
AKW-Laufzeiten nach der getroffenen Vereinbarung |
|||||||
AKW |
Reststrommenge ab 01.01.2000 |
Jahresdurchschnitts- |
Restlaufzeit |
Erstkritikalität |
Abschaltung |
Gesamt- |
|
(GWh netto) |
produktion (GWh) |
(sofern keine Strom- |
laufzeit |
||||
seit 1.Synchronisat. |
menge übertragen wird) |
||||||
Obrigheim |
8700 |
2305 |
3,8 |
Sep 68 |
2003 |
35 |
|
Stade |
23180 |
4531 |
5,1 |
Jan 72 |
2005 |
33 |
|
Biblis A |
62000 |
6634 |
9,3 |
Jul 74 |
2009 |
35 |
|
Neckarwestheim 1 |
57350 |
5436 |
10,6 |
Mai 76 |
2010 |
34 |
|
Biblis B |
81460 |
7024 |
11,6 |
Mär 76 |
2011 |
35 |
|
Brunsbüttel |
47670 |
2499 |
19,1 |
Jun 76 |
2019 |
43 |
|
Isar 1 |
78350 |
5502 |
14,2 |
Nov 77 |
2014 |
37 |
|
Unterweser |
117980 |
8610 |
13,7 |
Sep 78 |
2013 |
35 |
|
Philippsburg 1 |
87140 |
5527 |
15,8 |
Mär 79 |
2015 |
36 |
|
Grafenrheinfeld |
150030 |
9165 |
16,4 |
Dez 81 |
2016 |
35 |
|
Krümmel |
158220 |
8107 |
19,5 |
Sep 83 |
2019 |
36 |
|
Gundremmingen B |
160920 |
8461 |
19,0 |
Mär 84 |
2019 |
35 |
|
Philippsburg 2 |
198610 |
10067 |
19,7 |
Dez 84 |
2019 |
35 |
|
Grohnde |
200900 |
10351 |
19,4 |
Sep 84 |
2019 |
35 |
|
Gundremmingen C |
168350 |
8299 |
20,3 |
Okt 84 |
2020 |
36 |
|
Brokdorf |
217880 |
9850 |
22,1 |
Okt 86 |
2022 |
36 |
|
Isar 2 |
231210 |
9943 |
23,3 |
Jan 88 |
2023 |
35 |
|
Emsland |
230070 |
10391 |
22,1 |
Apr 88 |
2022 |
34 |
|
Neckarwestheim 2 |
236040 |
10063 |
23,5 |
Dez 88 |
2023 |
35 |
|
Summe |
2516060 |
142764 |
17,6 |
||||
Mülheim-Kärlich |
107250 |
633 |
0,75 /AKW |
||||
Gesamtsumme |
2623310 |
143397 |
18,3 |
36,27 |
Auch macht die Regierung in der vielzitierten Flexibilität der Laufzeiten unverständliche Konzessionen. Zwar soll die Strommenge grundsätzlich nur von älteren auf neuere Anlagen übertragen werden, ältere Anlagen sollen also möglichst eher abgeschaltet werden. Diese Regelung verlängert jedoch die Atomkraftnutzung insgesamt. Wenn ältere Anlagen früher vom Netz gehen, bleiben neuere länger in Betrieb. Dabei ist immer zu bedenken, daß die Abnutzungserscheinungen durch den starken radioaktiven Beschuß( Materialsermüdung, Versprödung) mit dem Alter zunehmen und nicht vorhersehbare Gefahren, bis hin zum Super-Gau, erhöhen.
Außerdem gilt im Vertrag die Übertragung "von alt auf neu" nicht, wenn Neuanlagen vorzeitig stillgelegt werden. Im Klartext: Wenn aufgrund eines schweren Atomunfalls ein AKW vorzeitig vom Netz muß, darf seine Reststrommenge in jedem Fall von anderen Anlagen übernommen werden. Schwere Störfälle in dieser hochriskanten Technologie schaden nicht dem weiteren Betrieb, sie werden durch längere Laufzeit anderer Atomanlagen sogar belohnt.
" Die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen, um diesen Sicherheitsstandard (in AKWs) und die diesem zugrunde liegende Sicherheitsphilosophie zu ändern" :
Diese Selbstfesselung einer gewählten und dem Grundgesetz verpflichteten Regierung ist eigentlich ein unglaublicher Vorgang. Vernünftiger Weise wäre Bundestagsabgeordneten zu empfehlen, gegen sie vor das Verfassungsgericht zu ziehen. Der Schutz von Leben und Gesundheit ist ein überragendes Grundrecht in unserer Gesellschaft. Wenn es neue Erkenntnisse oder unerwartete Ereignisse gibt, muß daher eine verantwortlich denkende Regierung die Sicherheitsanforderungen verschärfen. Schon das Ansinnen von Konzernen, ein bestimmtes Sicherheitsniveau dauerhaft festzuschreiben, muß als Anmaßung zurückgewiesen werden. Es ist nun Bestandteil des Konsenses.
Jürgen Trittin und Rainer Baake erklären jetzt, daß zu den Sicherheitsstandards deren Fortschreibung in Recht und Gesetz gehört. Wir können das nur halb erleichtert zur Kenntnis nehmen; denn es drängt sich die Frage auf, warum unterlassen wurde, das im Konsens ausdrücklich so festzuhalten. Die Atomkonzerne werden das aus gutem Grund nicht gewollt haben. Sie werden sich im Konfliktfall auf den leider eindeutigen Wortlaut berufen und mit einer Kündigungsdrohung der Vereinbarung Druck machen.
Die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen, mit der die Nutzung der Kernenergie durch einseitige Maßnahmen diskriminiert wird. Dies gilt auch für das Steuerrecht":
Mit dieser Generalklausel wird den Atomkonzernen ein Druckmittel gegen unliebsame Staatsmaßnahmen generell in die Hand gegeben. Die Besteuerung von Kernbrennstoffen – noch von Grün in Karlsruhe beschlossen – wäre dahin; so ziemlich sämtlich Verbesserungen im Strahlenschutz, soweit Atomanlagen betreffend, würden am Veto der AKW-Betreiber scheitern; es würde höllischen Druck geben, um die Genehmigung von Castor-Transporten zu beschleunigen; gegen alle energiepolitischen Schritte, die die Wettbewerbsfähgikeit der AKWs schwächen, können die Konzerne mit dieser Generalklausel vorgehen.
Zur Umsetzung der Atomvereinbarung soll eine "hochrangige Arbeitsgruppe aus drei Vertretern der beteiligten Unternehmen und drei Vertretern der Bundesregierung" eingesetzt werden; zur Durchführung der Transporte "richten Bundesregierung, Länder und EVUs gemeinsam eine ständige Arbeitsgruppe ein", die "auch mit den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern zusammenarbeitet"; über die Novellierung des Atomgesetzes " wird auf der Grundlage des Kabinettsentwurfs vor der Kabinettsbefassung zwischen den Verhandlungspartnern beraten".
Die Atomkonzerne erhalten also weitreichende Möglichkeiten, Regierungstätigkeit und hoheitliche Aufgaben zu beeinflussen. Wieder drängt sich die Frage auf: Wer regiert in diesem Land? Sollen die Atomkonzerne Mitsprache erhalten, wie und wie schnell Castor-Transporte genehmigt werden, wie Polizeieinsätze gegen zu erwartende Demonstrationen und Blockaden vorbereitet werden? Will "die Regierung" (welcher Minister? der Kanzler?) einen Gesetzentwurf mit der Industrie förmlich beraten, bevor dieser im Kabinett gewesen ist? Müssen wir nicht damit rechnen, daß die einzusetzende Monitoring-Gruppe auch in Verordnungen und Beschlüsse, die irgendwie mit der Atomfrage zusammenhängen, hineinregiert?
Mit diesen Schattengremien hätte sich die Atomwirtschaft Kontrollrechte auf die Regierungstätigkeit gesichert. Wenn die Dinge günstig verlaufen, wird das zu einem ätzenden Dauerstreit zwischen Bundesregierung und den Konzernen um Einzelfragen führen. Wenn es ungünstig verläuft, wird die Regierung in Vor- und Hinterzimmern ständig Rückzieher machen, in der Furcht, der Konsens könne aufgekündigt werden.
Diese "Vereinbarungen" sind nicht nur fragwürdig für eine demokratisch gewählte und dem Volk verantwortliche Regierung, sie sind auch brüchig und unter einer (hoffentlich) nicht willfährigen Regierung auf Scheitern angelegt. Im Ergebnis hätte die Bundesregierung weitreichende Konzessionen an die Atomkonzerne gemacht; diese wiederum können jeden Anlaß nutzen, den feierlichen "Konsens" aufzukündigen und gegen jede Betriebsschließung doch mit Entschädigungsforderungen vorzugehen.
Der vierte dunkle Punkt der Vereinbarung sind Regelungen zur Entsorgung. Schacht Konrad wird – übrigens auch gegen des Votum der Karlsruher BDK – als Endlager akzeptiert, nur der Vollzug der Genehmigung soll – unklar: mit welcher Frist – ausgesetzt werden. Gorleben wird als mögliches Endlager nicht aufgegeben, allerdings wird ein Moratorium von 3 bis 10 Jahren vereinbart. Entgegen früheren Vereinbarungen soll aber die 1998 im Atomgesetz verankerte "Veränderungssperre" in Gorleben weiter gelten. Sie untersagt dem Eigentümer, dem Grafen Bernstorff, irgendwelche Aktivitäten zur konventionellen Nutzung des unterirdischen Salzstocke zu entfalten.
Resumé
Unter dem Strich muß die "Konsens-Vereinbarung" negativ beurteilt werden. Sie bleibt hinter den meisten Minimalforderungen Grüner Politik in Regierungsverantwortung deutlich zurück. Sie verpflichtet die Bundesregierung zu weitreichenden Konzessionen, bindet die Atomkonzerne jedoch letztlich nicht. Sie wird in einer kritischen Öffentlichkeit dieses Landes mit guten Gründen eher als weitere Absicherung der Atomwirtschaft, denn als Ausstiegspolitik aufgenommen. Nicht einmal die Abschaltung mehrerer AKWs noch in der Legislaturperiode ist mit ihr zu erwarten ausdrücklich wird ein Bestandsrecht des nuklearen Methusalems – Obrigheim und – bis zum 31.12. 2002 festgeschrieben, in der kommenden Legislaturperiode ist nur eine Abschaltung von Obrigheim und von Stade zu erwarten.
Hartwig Berger, Berlin
Tel.: 030-23252411, 3131730
hartwig.berger@gruene.parlament-berlin.de
Berlin, 19.06.00
Hartwig Berger, Berlin, 19.06. 00
2. und aktualisierte Fassung von:
Bestandssicherung der Atomkraft oder Ausstieg?
Energiepolitische Bewertung der Vereinbarung zum Konsens mit den Atomkonzernen
Die "Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den ( 4 größten deutschen Energieversorgungsunternehmen ( zur Kernenergie)" ist aus der Sicht Grüner Energiepolitik nicht akzeptabel. Sie stellt eine Regelung zur staatlichen Absicherung des weiteren Betriebs von Atomkraftwerken dar, kein Ausstiegskonzept, das diesen Namen verdiente. Sie macht in der Sicherheitsfrage sehr weitgehende Zugeständnisse an die AKW-Betreiber und gesteht in der Gestaltung der Atompolitik den Stromkonzernen weitreichende Rechte zu. Das wirft die Frage auf: ob denn diese Konzerne oder demokratisch gewählte Institutionen dieses Land regieren. Eine Unterzeichnung der "Vereinbarung" würde auch nur scheinbar den vielbeschworenen Konsens in der Atomfrage begründen; vielmehr ist durch verschiedene Regelungen und auslegbare Formulierungen im Vertrag die Möglichkeit eines Dauerstreits zwischen Regierung und Atomkonzernen vorprogrammiert. Letztere können die "Drohung", den Konsens aufzukündigen, als ständiges Erpressungsmittel nutzen, um weitere Konzessionen zu erreichen.
Die zusammenfassende Kritik ist zu erläutern:
Durch verschiedene Rechentricks liegen die Restlaufzeiten deutlich über den von der zwischen SPD und Grünen abgesprochenen Maximalzeit von 30 Jahren, sie sind auch klar höher als die offiziell vereinbarten 32 Jahre. Zeitlich hätte die Atomkraftnutzung in Deutschland gerade ihren Zenit erreicht: Etwa so viel Strom wie bisher ( gut 2.500 Terawattstunden) dürfen demnach ab 2000 noch durch AKWs in Deutschland produziert werden ( noch 2,623 Terawattstunden). Hier von "Restlaufzeiten" oder von "beginnendem Ausstieg" zu sprechen, ist eine sachlich nicht begründbare Beschönigung.
Als Berechnungsgrundlage noch zulässiger Strommengen gelten die fünf ertragsreichsten Jahre, die ein Kraftwerk jeweils in den Jahren 1990-1999 aufzuweisen hatte. Darauf haben die EVU deshalb bestanden, weil die Liberalisierung des EU-Strommarkts ihnen in den letzten Jahren einen Zuwachs beschert hat, den sie als Bonus in die Zukunft nehmen möchten. Die Anrechnung einer virtuellen Laufzeit des abgeschalteten AKWs Mühlheim-Kärlich, von 11 Jahren ( plus o.a. Bonus), sichert den vier AKWs von RWE weitere Laufzeiten. Unverständlich ist, weshalb sich die Staatsseite zu einem Effizienz-Zuschlag von 5,5% bereitgefunden hat. Heißt dieses, daß die deutschen AKWs ihre kapazität noch ausbauen dürfen? Oder heißt es, daß sie auf Kosten der Sicherheit weiter ausgeknautscht werden können? Oder was?
Unter Absehung vom internen Strommengen-Handel kommt man auf folgende "Rest"Laufzeiten der deutschen AKWs. Die folgende Rechnung unterstellt eine realistische Kapazitätsauslastung von 80%. Wenn ein AKW stärker genutzt wird, verkürzen sich die Laufzeiten, wird es weniger genutzt, verlängern sie sich entsprechend.
Das AKW MülheimKärlich wird den 4 RWE-Anlagen zugeschlagen.
Beim Handel mit Strommengen zwischen den Kraftwerken verändern sich die Enddaten entsprechend, ohne die gesamtlaufzeit aller AKWs zu verändern.
AKW |
bisherige Laufzeit in Jahren |
Kapazität in Megawatt |
zugelassene Strommenge ab 01.01.00 in TeraWatt- stunden |
zulässige Laufzeit in Jahren |
Datum der vorgesehenen Stillegung ohne Stromhandel |
Obrigheim |
31 |
340 |
8,70 |
34 |
2003 |
Stade |
28 |
64o |
23,18 |
33,1 . |
2005 |
Biblis A |
25 |
1167 |
62,00 |
32,6 |
2007 |
Neckarwest- heim I |
24 |
785 |
57,35 |
34,4 |
2010 |
Biblis B |
24 |
1240 |
81,46 |
36,4 (+ M/K) |
2012 |
Brunsbüttel |
24 |
771 |
47,67 |
32,8 |
2008 |
Isar 1 |
22 |
870 |
81,46 |
34,8 |
2012 |
Unterweser |
21 |
1285 |
117,98 |
34,1 |
2013 |
Philippsburg. 1 |
21 |
890 |
87,14 |
35,0 |
2014 |
Grafen- Rheinfeld |
18 |
1275 |
150,03 |
34,9 |
2017 |
Krümmel |
16 |
1260 |
158,22 |
34 |
2018 |
Gund-remmingen B |
16 |
1284 |
160,92 |
36,9(+M/K) |
2020 |
Philippsburg 2 |
15 |
1358 |
198,61 |
35,9 |
2020 |
Grohnde |
15 |
1360 |
200,90 |
36,1 |
2021 |
Gund remmingen C |
15 |
1288 |
168,35 |
36,7(+M/K) |
2021 |
Brokdorf |
13 |
1370 |
217,88 |
35,7 |
2o22 |
Isar 2 |
12 |
1400 |
231,21 |
35,6 |
2023 |
Emsland |
12 |
1290 |
230,07 |
40,8(+M/K) |
2028 |
Neckar- Westheim 2 |
11 |
1269 |
236,04 |
37,5 |
2026 |
Die folgende Tabelle wurde von Rudi Amannsberger, Mitarbeiter der bayerischen Landtagsfraktion erstellt. Sie rechnet die Abschaltungsfristen, indem sie von der bisherigen durchschnittlichen Stromerzeugung der einzelnen AKWs ausgeht.
Mülheim/Kärlich müsste hier pro AKW mit einem 3/4 Jahr dazugerechnet werden.
AKW-Laufzeiten nach der getroffenen Vereinbarung |
|||||||
AKW |
Reststrommenge ab 01.01.2000 |
Jahresdurchschnitts- |
Restlaufzeit |
Erstkritikalität |
Abschaltung |
Gesamt- |
|
(GWh netto) |
produktion (GWh) |
(sofern keine Strom- |
laufzeit |
||||
seit 1.Synchronisat. |
menge übertragen wird) |
||||||
Obrigheim |
8700 |
2305 |
3,8 |
Sep 68 |
2003 |
35 |
|
Stade |
23180 |
4531 |
5,1 |
Jan 72 |
2005 |
33 |
|
Biblis A |
62000 |
6634 |
9,3 |
Jul 74 |
2009 |
35 |
|
Neckarwestheim 1 |
57350 |
5436 |
10,6 |
Mai 76 |
2010 |
34 |
|
Biblis B |
81460 |
7024 |
11,6 |
Mär 76 |
2011 |
35 |
|
Brunsbüttel |
47670 |
2499 |
19,1 |
Jun 76 |
2019 |
43 |
|
Isar 1 |
78350 |
5502 |
14,2 |
Nov 77 |
2014 |
37 |
|
Unterweser |
117980 |
8610 |
13,7 |
Sep 78 |
2013 |
35 |
|
Philippsburg 1 |
87140 |
5527 |
15,8 |
Mär 79 |
2015 |
36 |
|
Grafenrheinfeld |
150030 |
9165 |
16,4 |
Dez 81 |
2016 |
35 |
|
Krümmel |
158220 |
8107 |
19,5 |
Sep 83 |
2019 |
36 |
|
Gundremmingen B |
160920 |
8461 |
19,0 |
Mär 84 |
2019 |
35 |
|
Philippsburg 2 |
198610 |
10067 |
19,7 |
Dez 84 |
2019 |
35 |
|
Grohnde |
200900 |
10351 |
19,4 |
Sep 84 |
2019 |
35 |
|
Gundremmingen C |
168350 |
8299 |
20,3 |
Okt 84 |
2020 |
36 |
|
Brokdorf |
217880 |
9850 |
22,1 |
Okt 86 |
2022 |
36 |
|
Isar 2 |
231210 |
9943 |
23,3 |
Jan 88 |
2023 |
35 |
|
Emsland |
230070 |
10391 |
22,1 |
Apr 88 |
2022 |
34 |
|
Neckarwestheim 2 |
236040 |
10063 |
23,5 |
Dez 88 |
2023 |
35 |
|
Summe |
2516060 |
142764 |
17,6 |
||||
Mülheim-Kärlich |
107250 |
633 |
0,75 /AKW |
||||
Gesamtsumme |
2623310 |
143397 |
18,3 |
36,27 |
Auch macht die Regierung in der vielzitierten Flexibilität der Laufzeiten unverständliche Konzessionen. Zwar soll die Strommenge grundsätzlich nur von älteren auf neuere Anlagen übertragen werden, ältere Anlagen sollen also möglichst eher abgeschaltet werden. Diese Regelung verlängert jedoch die Atomkraftnutzung insgesamt. Wenn ältere Anlagen früher vom Netz gehen, bleiben neuere länger in Betrieb. Dabei ist immer zu bedenken, daß die Abnutzungserscheinungen durch den starken radioaktiven Beschuß( Materialsermüdung, Versprödung) mit dem Alter zunehmen und nicht vorhersehbare Gefahren, bis hin zum Super-Gau, erhöhen.
Außerdem gilt im Vertrag die Übertragung "von alt auf neu" nicht, wenn Neuanlagen vorzeitig stillgelegt werden. Im Klartext: Wenn aufgrund eines schweren Atomunfalls ein AKW vorzeitig vom Netz muß, darf seine Reststrommenge in jedem Fall von anderen Anlagen übernommen werden. Schwere Störfälle in dieser hochriskanten Technologie schaden nicht dem weiteren Betrieb, sie werden durch längere Laufzeit anderer Atomanlagen sogar belohnt.
" Die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen, um diesen Sicherheitsstandard (in AKWs) und die diesem zugrunde liegende Sicherheitsphilosophie zu ändern" :
Diese Selbstfesselung einer gewählten und dem Grundgesetz verpflichteten Regierung ist eigentlich ein unglaublicher Vorgang. Vernünftiger Weise wäre Bundestagsabgeordneten zu empfehlen, gegen sie vor das Verfassungsgericht zu ziehen. Der Schutz von Leben und Gesundheit ist ein überragendes Grundrecht in unserer Gesellschaft. Wenn es neue Erkenntnisse oder unerwartete Ereignisse gibt, muß daher eine verantwortlich denkende Regierung die Sicherheitsanforderungen verschärfen. Schon das Ansinnen von Konzernen, ein bestimmtes Sicherheitsniveau dauerhaft festzuschreiben, muß als Anmaßung zurückgewiesen werden. Es ist nun Bestandteil des Konsenses.
Jürgen Trittin und Rainer Baake erklären jetzt, daß zu den Sicherheitsstandards deren Fortschreibung in Recht und Gesetz gehört. Wir können das nur halb erleichtert zur Kenntnis nehmen; denn es drängt sich die Frage auf, warum unterlassen wurde, das im Konsens ausdrücklich so festzuhalten. Die Atomkonzerne werden das aus gutem Grund nicht gewollt haben. Sie werden sich im Konfliktfall auf den leider eindeutigen Wortlaut berufen und mit einer Kündigungsdrohung der Vereinbarung Druck machen.
Die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen, mit der die Nutzung der Kernenergie durch einseitige Maßnahmen diskriminiert wird. Dies gilt auch für das Steuerrecht":
Mit dieser Generalklausel wird den Atomkonzernen ein Druckmittel gegen unliebsame Staatsmaßnahmen generell in die Hand gegeben. Die Besteuerung von Kernbrennstoffen – noch von Grün in Karlsruhe beschlossen – wäre dahin; so ziemlich sämtlich Verbesserungen im Strahlenschutz, soweit Atomanlagen betreffend, würden am Veto der AKW-Betreiber scheitern; es würde höllischen Druck geben, um die Genehmigung von Castor-Transporten zu beschleunigen; gegen alle energiepolitischen Schritte, die die Wettbewerbsfähgikeit der AKWs schwächen, können die Konzerne mit dieser Generalklausel vorgehen.
Zur Umsetzung der Atomvereinbarung soll eine "hochrangige Arbeitsgruppe aus drei Vertretern der beteiligten Unternehmen und drei Vertretern der Bundesregierung" eingesetzt werden; zur Durchführung der Transporte "richten Bundesregierung, Länder und EVUs gemeinsam eine ständige Arbeitsgruppe ein", die "auch mit den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern zusammenarbeitet"; über die Novellierung des Atomgesetzes " wird auf der Grundlage des Kabinettsentwurfs vor der Kabinettsbefassung zwischen den Verhandlungspartnern beraten".
Die Atomkonzerne erhalten also weitreichende Möglichkeiten, Regierungstätigkeit und hoheitliche Aufgaben zu beeinflussen. Wieder drängt sich die Frage auf: Wer regiert in diesem Land? Sollen die Atomkonzerne Mitsprache erhalten, wie und wie schnell Castor-Transporte genehmigt werden, wie Polizeieinsätze gegen zu erwartende Demonstrationen und Blockaden vorbereitet werden? Will "die Regierung" (welcher Minister? der Kanzler?) einen Gesetzentwurf mit der Industrie förmlich beraten, bevor dieser im Kabinett gewesen ist? Müssen wir nicht damit rechnen, daß die einzusetzende Monitoring-Gruppe auch in Verordnungen und Beschlüsse, die irgendwie mit der Atomfrage zusammenhängen, hineinregiert?
Mit diesen Schattengremien hätte sich die Atomwirtschaft Kontrollrechte auf die Regierungstätigkeit gesichert. Wenn die Dinge günstig verlaufen, wird das zu einem ätzenden Dauerstreit zwischen Bundesregierung und den Konzernen um Einzelfragen führen. Wenn es ungünstig verläuft, wird die Regierung in Vor- und Hinterzimmern ständig Rückzieher machen, in der Furcht, der Konsens könne aufgekündigt werden.
Diese "Vereinbarungen" sind nicht nur fragwürdig für eine demokratisch gewählte und dem Volk verantwortliche Regierung, sie sind auch brüchig und unter einer (hoffentlich) nicht willfährigen Regierung auf Scheitern angelegt. Im Ergebnis hätte die Bundesregierung weitreichende Konzessionen an die Atomkonzerne gemacht; diese wiederum können jeden Anlaß nutzen, den feierlichen "Konsens" aufzukündigen und gegen jede Betriebsschließung doch mit Entschädigungsforderungen vorzugehen.
Der vierte dunkle Punkt der Vereinbarung sind Regelungen zur Entsorgung. Schacht Konrad wird – übrigens auch gegen des Votum der Karlsruher BDK – als Endlager akzeptiert, nur der Vollzug der Genehmigung soll – unklar: mit welcher Frist – ausgesetzt werden. Gorleben wird als mögliches Endlager nicht aufgegeben, allerdings wird ein Moratorium von 3 bis 10 Jahren vereinbart. Entgegen früheren Vereinbarungen soll aber die 1998 im Atomgesetz verankerte "Veränderungssperre" in Gorleben weiter gelten. Sie untersagt dem Eigentümer, dem Grafen Bernstorff, irgendwelche Aktivitäten zur konventionellen Nutzung des unterirdischen Salzstocke zu entfalten.
Resumé
Unter dem Strich muß die "Konsens-Vereinbarung" negativ beurteilt werden. Sie bleibt hinter den meisten Minimalforderungen Grüner Politik in Regierungsverantwortung deutlich zurück. Sie verpflichtet die Bundesregierung zu weitreichenden Konzessionen, bindet die Atomkonzerne jedoch letztlich nicht. Sie wird in einer kritischen Öffentlichkeit dieses Landes mit guten Gründen eher als weitere Absicherung der Atomwirtschaft, denn als Ausstiegspolitik aufgenommen. Nicht einmal die Abschaltung mehrerer AKWs noch in der Legislaturperiode ist mit ihr zu erwarten ausdrücklich wird ein Bestandsrecht des nuklearen Methusalems – Obrigheim und – bis zum 31.12. 2002 festgeschrieben, in der kommenden Legislaturperiode ist nur eine Abschaltung von Obrigheim und von Stade zu erwarten.
Hartwig Berger, Berlin
Tel.: 030-23252411, 3131730
hartwig.berger@gruene.parlament-berlin.de
Berlin, 19.06.00