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Volker Hartenstein, Mitglied des Bayerischen Landtags (MdL)

23. Juni 2000


Atomenergiekonsens - Bundesregierung lässt sich von den Energiebossen einlullen!


München/Ochsenfurt (23.062000). „Völliges Versagen" wirft das partei- und fraktionslose Mitglied des Bayerischen Landtags Volker Hartenstein der Bundesregierung bei der Festlegung der Eckpunkte für den Atomausstieg vor. Bestätigt in dieser Auffassung sieht sich der Umweltschutzpolitiker durch eine Bewertung des Abschlusses der Atomenergie-Konsensgespräche seitens des Vorstandsvorsitzenden der Bayernwerk AG. Dr. Otto Majewski hatte betont: "Unser erklärtes Ziel, die deutschen Kernkraftwerke zu wirtschaftlich akzeptablen Bedingungen weiterhin nutzen zu können, haben wir erreicht ... Die Bundesregierung wäre in der Lage gewesen, den Bestand und Betrieb der Kernkraftwerke nachhaltig zu beeinträchtigen." Mit keiner Aussage kann trefflicher zum Ausdruck gebracht werden, so Hartenstein, dass sich die Bundesregierung von den Argumenten der Energiebosse hat einlullen lassen. „Darüber können auch parteipolitische Schönredner nicht hinwegtäuschen."

Scharfe Kritik übt der Abgeordnete, der bis zu seinem Austritt aus der bündnisgrünen Landtagsfraktion im Dezember letzten Jahres deren energie- und umweltpolitischer Sprecher war, in diesem Zusammenhang auch an seinen ehemaligen Fraktionskolleginnen sowie dem Landesverbandsvorstand. Ruth Paulig (Fraktionssprecherin) und Jerrzy Montag (Vorstandssprecher) hatten den Kompromiss grundsätzlich begrüßt und für eine Annahme auf der heutigen Bundesdelegiertenkonferenz in Münster geworben. „Paulig und Montag lassen", so Volker Hartenstein, „mit dieser Position erneut jegliches eigenständige politische Denken und Handeln vermissen. Die Grünen in Bayern brauchen sich nicht wundern, wenn ihnen in den nächsten Wochen auch noch die letzten treuen Freunde aus der Umweltschutz- und Antiatomenergiebewegung die Zusammenarbeit aufkündigen."

Als wahre Vernebelungskünstler bezeichnet Volker Hartenstein Bundeskanzler Gerhard Schröder und Umweltminister Jürgen Trittin hinsichtlich der Berechnungsweise der festzulegenden Betriebszeiten für die noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke. Als Grundlage werde eine Regelgesamtlaufzeit von 32 Jahren angegeben und damit der Eindruck erweckt, dass das letzte Atomkraftwerk (Neckar-Westheim 2) im Jahr 2021 abgeschaltet sei. Durch
• Festlegung einer so genannten jahresbezogenen Referenzstrommenge, die für jedes Kraftwerk als Durchschnitt der fünf höchsten Jahresproduktionen zwischen 1990 und 1999 berechnet wird,
• Anrechnung einer fiktiven „Leistungserhöhung" der Kernkraftwerke um 5,5 % und
• Einräumung einer weiteren Strommenge für ein nichtgenehmigtes Atomkraftwerk (Mülheim-Kärlich) sowie Übertragung dieser auf andere AKWe erhöhe sich die Gesamtlaufzeit nahezu aller noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke der Bundesrepublik auf 34 bis 37 Jahre.

Doch auch das sei noch nicht die ganze Wahrheit. Die Energieversorgungsunternehmen dürften nämlich nach der getroffenen Vereinbarung künftig grundsätzlich „Strommengen" von einem auf ein anderes Atomkraftwerk übertragen. Es sei deshalb anzunehmen, dass unrentable Atommeiler relativ rasch abgeschaltet würden und leistungsstarke AKWe jüngeren Datums entsprechend länger liefen. Im besten Fall werde folglich das letzte Atomkraftwerk erst zwischen 2025 und 2030 stillgelegt. Und das sei kein Ausstieg aus der Atomenergie, sondern „lediglich ein Auslaufenlassen einer nicht zukunftsträchtigen Technologie". Alle anders lautenden Behauptungen aus Regierungskreisen könnten nur unter der Kategorie „bewusste Täuschung der Bürger" eingeordnet werden.

Nichts mehr zu hören sei ferner von der geplanten steuerlichen Gleichbehandlung der Atomenergie mit den fossilen Energieträgern. Im Gegenteil, im Vereinbarungstext heiße es hierzu, dass die Bundesregierung keine Initiative ergreifen werde, „mit der die Nutzung der Kernenergie durch einseitige Maßnahmen diskriminiert wird. Dies gilt auch für das Steuerrecht." Mit dieser Formulierung wird nach Auffassung Hartensteins ein wichtiges Instrument zur vorzeitigen Beendigung der risikoreichen Atomenergie aus wirtschaftlichen Gründen aus der Hand gegeben.

Kritisch zu beurteilen seien darüber hinaus die Vereinbarungen zu sicherheitsrelevanten Fragen. Die Bundesregierung garantiere künftig bei Einhaltung der atomrechtlichen Anforderungen „den ungestörten Betrieb der Anlagen". Nach einer Überprüfung der Kernkraftwerke seitens der Betreiber jeweils bis zu einem bestimmten Termin werde letzteren eine überprüfungsfreie Zeit von 10 bis maximal 13 Jahren zugestanden. Für die gesamte Restlaufzeit sichere die Bundesregierung ferner zu, die dem bisherigen Sicherheitsstandard zugrunde liegende Sicherheitsphilosophie nicht zu ändern. „Eine solche Bestandsgarantie, so Hartenstein, zudem noch auf veralteten Sicherheitsanforderungen beruhend, hat es selbst unter einer CDU/CSU/FDP-Regierung nie gegeben.

Nicht akzeptiert werden könne auch die zeitliche Verlängerung der Erlaubnis von Transporten abgebrannter Brennelemente in die Wiederaufarbeitungsanlagen La Hague und Sellafield bis zum 30.06.2005. Denn gerade diese Einrichtungen seien es, die während des so genannten Normalbetriebs große Mengen an radioaktiven Stoffen emittierten. Darüber hinaus fördere die weitere Produktion von abgetrenntem Plutonium die Gefahr der Proliferation und des Missbrauchs.

Kein Verständnis zeigt Volker Hartenstein ebenfalls für die nach dem Konsens geplanten standortnahen Zwischenlager. Ganz abgesehen von den deutlich erhöhten Gefahren der oberirdischen Lagerung abgebrannter Brennelemente verzichte die Bundesregierung auf diese Weise endgültig darauf, den Atomkraftwerkbetreibern wegen des fehlenden, aber bisher gesetzlich geforderten Entsorgungsvorsorgenachweises die Betriebsgenehmigungen zu entziehen..

Und selbst beim ausgesprochenen Verbot des Neubaus von Atomkraftwerken bleibt nach Auffassung des Landtagsabgeordneten eine „Hintertür" offen. Denn in der Vereinbarung zwischen den Energieversorgungsunternehmen und der Bundesregierung heißt es: "Die Forschung auf dem Gebiet der Kerntechnik, insbesondere der Sicherheit, bleibt frei." Die Entwicklung neuer Atomkraftwerke - wie die des von Siemens und Framatome angestrebten Europäischen Druckwasserreaktors (EPR) - kann also, so Hartenstein, planmäßig fortgesetzt werden.

In einem Fazit bezeichnet der Umweltschutzpolitiker den Atomkonsens als reine Farce. Von den ursprünglichen Ausstiegszielen und -versprechungen der Parteien SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sei so gut wie nichts übrig geblieben.

 

Volker Hartenstein


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