Bündnis 90/Die Grünen 30.11.99
Bundesarbeitsgemeinschaft Ökologie
Die SprecherInnen


An
Fraktionsvorstand
Grüne MinisterInnen
Bundestagsfraktion
Bundesvorstand

z.K. an Landesvorstände,
Landtagsfraktionen, BAGen


ATOMAUSSTIEGSBESCHLÜSSE MÜSSEN KOMMUNIZIERT UND DISKUTIERT WERDEN!

Liebe Freundinnen und Freunde,

als Beratungsgremium für ökologische Politik und Kontaktgremium für Ökologen in der und um die Partei, sehen wir es als unsere Pflicht an, Euch unsere großen Bedenken zu den laufenden Atomausstiegsverhandlungen mitzuteilen.

Es scheint, daß auf der Ebene der Verhandlungen mit der SPD 30 Jahre Gesamtlaufzeit und 3 Jahre Übergangsfrist beschlossene Sache sind.

Politisch ist es für uns nach wie vor unentbehrlich, dass
- sich die maximalen Gesamtlaufzeiten lt. Ausstiegsgesetz deutlich von der "natürlichen" Lebensdauer der AKWs unterscheiden
- noch innerhalb dieser Legislaturperiode ein Ausstiegssignal erfolgt
- die ordnungspolitischen Möglichkeiten, die größtmögliche Sicherheit sicherzustellen, nicht eingeschränkt werden
- die Endlagerfrage nicht auf Kosten der Menschen um Gorleben geklärt wird
- Haftungs-, Transport- und Steuerfragen so geklärt werden, daß ein Ausstieg
gefördert und nicht behindert wird.

Bei den verhandlungstaktischen Fragen wollen wir Euch nicht reinreden. Da haben wir volles Vertrauen in Euer Verhandlungsgeschick.
Es kann allerdings nicht sein, daß umweltpolitische Entscheidungen ausschließlich unter juristischen Aspekten getroffen werden. Jeder weiß, daß in der Politik juristische Gründe immer ausgepackt werden, wenn etwas politisch nicht gewollt ist (letztes Beispiel UGB). Und dass es zu jedem Gutachten ein Gegengutachten gibt. Außerdem reden wir z.Z. nur noch von den Risiken des Ausstiegs und nicht mehr von den Risiken der Atomkraft. So sind keine gesellschaftlichen Mehrheiten zu gewinnen.

Damit kommen wir zum Kern unserer Bedenken: Offensichtlich fehlt der "Parteispitze" die Kommunikationsstrategie. Die Art des "Wie" Ihr die Frage angeht, desavouiert den Inhalt Eurer Verhandlungen.

Die Entscheidung über den Atomausstieg bestimmt über den Kern des Grünen Projekts.
Der Ausgang dieser Verhandlungen hat eine herausragende Bedeutung weit über die Frage des Atomausstiegs selbst hinaus. Er ist entscheidend für die Grünen, ihre Glaubwürdigkeit und Wählbarkeit für das grüne Sympathiesantenumfeld und StammwählerInnentum , das Engagement ihrer Mitglieder, die weitere Entwicklung der Partei und ihre historische Notwendigkeit in der Parteienlandschaft. Aber all das wißt Ihr ja selbst.

Genausogut wißt Ihr, daß der Ausstieg nur erfolgreich durchgesetzt werden kann, wenn wir seinen mächtigen Gegnern geschlossen gegenüberstehen. Gschlossenheit, die gesellschaftliche und politische Wirkung entfaltet, ist aber nicht erster Linie eine Geschlossenheit von Fischer, Trittin und Schröder. Nötig ist zuallererst eine Geschlossenheit der 50.000 grünen Mitglieder und des (in dieser Frage) viele gesellschaftliche Gruppen und einige hundertausend Menschen starken gesellschaftlichen Umfelds. Damit meinen wir nicht in erster Linie die "alte" Anti-AKW-Bewegung, sondern unsere MultiplikatorInnen in Verbänden, Verbraucherorganisationen, Gewerkschaften, Kirchen und Wirtschaft, auf deren Kooperation und verstärkende Wirkung wir existentiell angewiesen sind. Den eigenen Mitgliedern und diesem unseren unmittelbaren Umfeld aber, könnt Ihr nicht einfach einen "Atomausstieg" nach dem Motto "friß oder stirb" vorsetzen. Wir reden hier von Menschen, die politisch mitreden und sich einsetzen wollen. Die von einer Sache überzeigt sein müssen, um sich zu engagieren.

Wir sind eine Partei, bei der Demokratie und Partizipation GROSS geschrieben werden. Und wir sind eine Partei mit ungeheuer qualifizierter Parteibasis. Der kann man ein oder zweimal auf Grund der Verhältnisse Beschlüsse wider besseren Wissens oder eigener Überzeugung abringen (und das für einen Erfolg halten), nicht aber in so einer Grund- und Herzensfrage. Vielleicht bekommt Ihr für den ausgehandelten Atomkurs auf Grund der aktuellen Lage (kurz vor der NRW-Wahl, Bruch der Koalition schlecht zu verkaufen, Joschka und Jürgen sollen nicht beschädigt werden) sogar eine knappe Mehrheit. Für die Grünen hätte das aber katastrophale Folgen. Massenaustritte und (viel schlimmer noch) viele, viele ÖkologInnen, die in die innere Emigration gehen. Wer soll dann noch Wahlkampf machen? Wer soll einen so zerissenen und zerstrittenen Haufen noch wählen?

Wir sind derzeit nicht in einer Position, in der wir uns eine derartige Schwächung leisten können. Die Stimmung ist schlecht, unsere WählerInnen laufen uns weg oder bleiben zu hause. Da brauchen wir Motivation und nicht Demotivation "von oben".

Wir engagieren uns z.T. schon über 20 Jahre gegen die Gefahren der Atomkraft. Den Ausstieg selber begreift Ihr selber als historische Chance. Warum in aller Welt soll diese wichtige Entscheidung, die der Atomenergienutzung in Deutschland für immer den Garaus machen soll, jetzt in ein paar Tagen festgeklopft und durchgepeitscht werden?

Wir sehen nur die Möglichkeit, sich jetzt zwei Monate Zeit zu nehmen, um den Stand der Dinge breit mit der Basis zu diskutieren. Und dann auf Grund des breiten Verständnisses und in breitem Einvernehmen gemeinsam eine Entscheidung zu treffen, die von breiten Mehrheiten bei uns getragen wird. Wenn es wirklich so ist, dass es zu der von Euch ausgehandelten Position unter den derzeitigen Verhältnissen und verfassungsrechtlichen Bedingungen keine Alternative gibt, braucht Ihr vor der Einsicht der Basis keine Angst zu haben. Tingelt über's Land, werbt für Eure Position!

Wenn Ihr jetzt allerdings die Entscheidung ohne demokratische Beteiligung von oben präjudiziert und dann durchpeitscht, frustriert Ihr gerade die engagierten Leute, die für uns und die Gestaltung ökologischer Politik in den kommenden Jahren am wichtigsten sind.

Grüsse


Jutta Sapotnik
Arnd Grewer