Auswärtiges Amt
Gz: 320.10 RUS
11013 Berlin

Berlin, den 17. November 1999

Herrn Karl- W. Koch, vor Kyllerhöhe 26, 54576 Hillesheim
Betr.: Tschetschenien
Bezug: Ihr Mailschreiben vom 18. Oktober 1999


Sehr geehrter Herr Koch,

ich danke Ihnen für Ihr Schreiben an das Auswärtige Amt vom 18. Oktober 1999 zu Tschetschenien.

Die Bundesregierung teilt die von Ihnen vorgebrachte Kritik am militärischen Vorgehen Russland in Tschetschenien. Massive Bombardierungen und großangelegte militärische Bodenoperationen sind keine geeigneten und angemessenen Mittel der Terrorismusbekämpfung. Sie führen vielmehr zu einer Solidarisierung zwischen gemäßigten und radikalen Kräften in Tschetschenien.

Die gegenwärtige militärische Eskalation des Tschetschenienkonfliktes beunruhigt die Bundesregierung deshalb zutiefst. Eine dauerhafte Lösung der Probleme im Nordkaukasus kann nur politisch herbeigeführt werden. Deshalb ruft die Bundesregierung mit Nachdruck dazu auf, dass umgehend Gespräche zwischen den dialogbereiten Kräften mit dem Ziel einer politischen Lösung aufgenommen werden.

Aus Sicht der Bundesregierung sollten alle bilateralen und multilateralen Dialogmöglichkeiten, insbesondere auch die Vermittlung durch die OSZE. Unterstützungsgruppe für Tschetschenien in Moskau, die gute Verbindungen zu allen Seiten unterhält, rasch ausgeschöpft werden.

Die andauernden Kämpfe zuerst in Dagestan und jetzt in Tschetschenien haben zu einer hohen Zahl ziviler Opfer und von Flüchtlingen geführt. Die humanitäre Notlage, vor allem das dramatische Ansteigen der Flüchtlingszahlen in Inguschetien, erfordern sofortiges Handeln. Die Bundesregierung hat deshalb die russische Regierung aufgefordert, in Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden und internationalen Hilfsorganisationen eine realistische Evaluierung des Hilfsbedarfs vorzunehmen und alle verfügbare Hilfe schnell in das Krisengebiet gelangen zu lassen. Die Bundesregierung hat rasch Hilfe angeboten. Erste Projekte in Zusammenarbeit mit dem IKRK und der OSZE wurden bereits vorbereitet und werden, soweit es die Lage vor Ort erlaubt, umgesetzt.

Die Bundesregierung hat der russischen Seite wiederholt bilateral und gemeinsam mit unseren EU-Partnern multilaterale Haltung deutlich gemacht. Bundesaußenminister Fischer hat in zahlreichen ausführlichen Gesprächen mit AM Iwanow, unter anderem am 14. und 15.10.1999 und Sankt Petersburg, seinen russischen Kollegen nachdrücklich gedrängt, den massiven Gewalteinsatz zu beenden, Gespräche mit dem Ziel einer politischen Lösung aufzunehmen und alles erforderliche - auch die Zulassung internationaler Hilfe vor Ort - zu unternehmen, um die humanitäre Notlage im Nordkaukasus zu lindern. Auch der Bundeskanzler hat sich wiederholt in diesem Sinne geäußert.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Dietmar Stüdemann
Vortragender Legationsrat 1. Klasse


Sehr geehrter Herr Legationsrat Stüdemann

Hillesheim, den 23.11.1999

Zunächst besten Dank für Ihre Antwort, welche mich allerdings nicht zufriedenstellt.

Ich bitte um eine - für den "normalen" Bürger nachvollziehbare - Erklärung bezgl. der Ungleichbehandlung (NATO-Angriffe inkl. Bombardierung ziviler Ziele bzw. "Deutlichmachen der Haltung" und "Ausschöpfen der Dialogmöglichkeiten") der durchaus vergleichbaren Fälle Serbien - Kosovo und Russland - Tschetschenien:

· Serbiens wie Russlands Vorgehen verstieß/verstößt gegen internationales Recht;
· Serbien wie Russland begründet(e) sein hartes Vorgehen mit Maßnahmen gegen Terroristen;
· Serbiens wie Russlands Vorgehen hat(te) erhebliche "Verluste" unter der Zivilbevölkerung zur Folge;
· Serbiens wie Russlands Vorgehen hat(te) eine Fluchtbewegung in der Größenordnung mehrerer Hunderttausend Menschen zur Folge;
· Serbiens wie Russlands Vorgehen hat(te) machtstrategische, gegen "andere" Volksgruppen des eigenen Staates gerichtete, Ursachen.

Anders, zugegebenermaßen polemisch, gefragt: Ist die Außen- und Friedenspolitik der Bundesrepublik Deutschland davon abhängig, ob der Aggressor über Atomwaffen verfügt bzw. ein wichtiger Handels- oder Wirtschaftspartner ist?

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