Gedächtnisschwund der Grünen


Bis 1998 den Einsatz deutscher Waffen im Kampf gegen Kurden beklagt, heute
»keine Erkenntnisse« mehr

Zu der Voranfrage deutscher Rüstungsfirmen für eine geplante
Panzerlieferung an die Türkei hatten die Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. Winfried Wolf und
die PDS-Fraktion am 27. Januar eine kleine Anfrage an die neue
Bundesregierung gerichtet. Anfang März antwortete das Auswärtige Amt. Die Reaktion
unterschied sich in Inhalt und Duktus in keiner Weise von den Antworten der
Vorgängerregierung.

Was zu Oppositionszeiten bitter beklagt und immer wieder der alten
Bundesregierung vorgehalten wurde, der Einsatz deutscher Waffen im kurdischen
Kriegsgebiet, wurde in wahrhaftiger »Kontinuität deutscher Außenpolitik« dreist
abgestritten. Auf die Frage: »Wie bewertet die Bundesregierung den Einsatz
deutscher Waffen durch das türkische Militär gegen die kurdische
Zivilbevölkerung und bei grenzüberschreitenden Operationen in der Vergangenheit?«
antwortete die neue Regierung: »Die Bundesregierung verfügt über keine
Erkenntnisse, daß aus Deutschland gelieferte Waffen von den türkischen Streitkräften
gegen die kurdische Zivilbevölkerung oder bei grenzüberschreitenden Operationen
eingesetzt werden. Sie ist in der Vergangenheit allen Hinweisen auf einen
vermuteten Einsatz durch die Türkei entgegen vertraglichen Zusicherungen oder
Endverbleibszusagen sehr sorgfältig nachgegangen. Bisher konnte in keinem
Fall ein Beweis für einen Verstoß gegen eingegangene Verpflichtungen erbracht
werden«.

Offensichtlich hatte Staatssekretär Dr. von Ploetz da weitergemacht, wo er
zuletzt aufgehört hatte: Unter der Kohl- Kinkel-Regierung war es in dieser
Frage zu einer routinierten Übung geworden, die Öffentlichkeit mit der nicht
haltbaren Standardformulierung »Es liegen diesbezüglich keine Erkenntnisse
vor« zu täuschen. Daß die neue Regierung mit dieser Leugnung einer durch
unzählige Zeugenaussagen, Filmdokumente und Fotos belegten Tatsache
weitermacht, ist kurios, weil in der Vergangenheit Parlamentarier der jetzt regierenden
Parteien nicht mit deutlichen Kommentaren sparten. So fragte sich der SPD-
Bundestagsabgeordnete Hans Kolbow einst angesichts der Tatsache, daß das
Vorgehen türkischer Streitkräfte gegen die kurdische Bevölkerung unter Einsatz
deutscher Waffen fast täglich für Schlagzeilen sorgte: »Ist die
Bundesregierung«, gemeint war die Kohl-Regierung, »blind und taub oder lügt sie einfach
nur?« Für die jetzige Regierungspartei Bündnis 90/Die Grünen waren die
Waffenlieferungen aus der Bundesrepublik - die zeitweise nach der Überlassung der
NVA-Waffen einer nahezu kompletten Armeeausstattung gleichkamen und
Deutschland zum führenden Waffenlieferanten des NATO-Partners machten - und der
vertragswidrige Einsatz dieser Waffen Grund genug, die Bundesregierung wegen
Beihilfe zum Völkermord anzuklagen. So sagte die verteidigungspolitische
Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, in einem Interview zu Oppositionszeiten
klar: »Eine Wende deutscher Außenpolitik hätte spätestens mit dem Nachweis des
Einsatzes deutscher wie auch anderer Waffen gegen die Zivilbevölkerung
erfolgen müssen. Der Außenminister ist reif für den Rücktritt«. Heute äußert sie
in Presseinterviews weit zaghafter, daß es »keine Kontinuität in der Politik
gegenüber der Türkei« geben könne. Dies müsse auch »koalitionsintern«
geklärt werden. Während solche Schlagzeilen wie »Ankara gibt den Einsatz
deutscher Waffen gegen die Kurden zu« (FAZ 29.3.92), »Deutsche Granaten gegen Kurden
/ Britischer Bericht: Türken beschossen Sirnak mit deutschen Granaten« (taz
17.9.92), »NVA-Panzer überrollt Kurden« (FR 8.12.92) drastisch vor Augen
führten, welche Konsequenzen die deutsche Türkei-Politik hat, verfügte noch
jede Bundesregierung über »keine Erkenntnisse« zu einem vertragswidrigen
Einsatz deutscher Waffen, der ein Rüstungsembargo als Konsequenz haben müßte.

Die bundesweite Kampagne gegen Rüstungsexport, Wiesbaden, empfiehlt
Außenminister Fischer, unter http://www-asrinhukuk.com/pictures/asker.html einen
Blick zu »riskieren«: Das Istanbuler Rechtsanwaltsbüro hat dort Fotos eines
türkischen Soldaten eingespeist, die einen aus deutschen Beständen
gelieferten Panzer vom Typ MTW 113 zeigen, wie er ein kurdisches Dorf beschießt. Am
21./22. Juli könnte Fischer bei seiner geplanten Türkei- Reise seinen
Gastgebern erklären, daß solche Bilder leider nur ein sofortiges Waffenembargo zur
Folge haben können - da er sonst »reif für den Rücktritt« werde.

Thomas Klein
© junge Welt / 09.07.1999