Ulrich Cremer: Militärische Emanzipationsversuche der EU
Aus: SOZIALISMUS 1/2000

1. Solana wird Herr GASP

Seit Oktober 99 nimmt die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU Formen an. Seitdem ist der ehemalige NATO-Generalsekretär Solana als Herr GASP für diesen Bereich zuständig. Im November 99 erhielt er ein weiteres Amt: er wurde quasi in Personalunion auch zum WEU-Generalsekretär bestimmt, denn der alte Militärpakt Westeuropäische Union soll ja in Zukunft in der EU aufgehen. Der Vorschlag, beide Funktionen zu koppeln, stammt übrigens von dem in militärpolitischen Dingen durchaus kreativen deutschen Außenminister Fischer. Bei seiner Rede vor der Münchener Wehrkundetagung am 6.2.99 pochte er ausdrücklich aus sein Copyright: "Ich habe bereits vorgeschlagen, dem zukünftigen Hohen Vertreter für die GASP auch die Funktion des WEU-Generalsekretärs zu übertragen." Wie auch immer, die EU hat jetzt endlich die Telefonnummer, die der frühere US-Außenminister Kissinger stets vermisst hatte.

2. Die autonomen Krisenreaktionskräfte der EU

Während das mit Solana für Washington in Ordnung ging, war man jedoch ‚not amused' über die Absicht der EU, eigenständige Krisenreaktionskräfte, also eine autonome Angriffsarmee, aufzubauen. Anstoß nahm Washington natürlich nur an den Autonomie-Bestrebungen, europäische Aufrüstung an sich geht in Ordnung, solange die US-Führungsrolle und US-Kontrolle akzeptiert wird.

Bei ihrer jährlichen Konsultation im November fanden französische und britische Regierung, es sei notwendig, die EU mit einer Eingreiftruppe in der Größenordnung von 60.000 Mann zu versehen. Die EU solle in die Lage versetzt werden, militärische Operationen selbst zu führen. Für Washington war natürlich die Frage, welchen Einfluss die USA auf die europäische Einsatztruppe hätten. Bisher galt die NATO-Verabredung, dass sich die WEU bei NATO Truppen und Kommandostrukturen ausleihen konnte. Damit hatte die US-Regierung stets das letzte Wort. Bzw. auch das erste: Bei einer auftretenden "Krise" hatte bisher die NATO das erste Zugriffsrecht. Wollten die USA nicht mitmachen, hatten aber nichts gegen einen Militärschlag der Westeuropäer, stand diesen seit 1996 der NATO-Militärapparat zur Verfügung. Autonome Kriege der Westeuropäer waren also bisher ohne Segen der US-Regierung nicht möglich. Hat sich daran nun durch die aktuellen EU-Beschlüsse irgendetwas verändert?

In ihren Helsinki-Beschlüssen definiert die EU als Ziel, dass sie "autonom in der Lage sein" möchte, "Beschlüsse zu fassen und in Fällen, in denen die NATO als Ganzes nicht einbezogen ist, als Reaktion auf internationale Krisen EU-geführte militärische Operationen einzuleiten und auch durchzuführen." Dabei erkennt die EU gnädigerweise "die vorrangige Verantwortung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen für die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der Sicherheit" an. Der entsprechende Satz findet sich übrigens auch im strategischen Konzept der NATO, das Ende April 99 in Washington verabschiedet wurde. Wenn im Sicherheitsrat ein Beschluss im Sinne der westlichen Länder nicht zustande kommt, weil z.B. China oder Russland ihr Veto benutzen, bzw. eine solche Situation absehbar ist, tritt nach NATO- und jetzt auch EU-Logik die eigene Organisation auf den Plan und nimmt quasi die sekundäre Verantwortung wahr (z.B. indem sie einen Angriffskrieg startet wie im Falle der Kosovo-Krise). Der Bruch der UN-Charta durch selbstmandatierte Militärinterventionen von NATO oder eben neuerdings auch EU ist also keineswegs eine reine US-Idee. Auch beim Jugoslawien-Krieg haben die Europäer nicht als dumme Junge mitgemacht, sondern waren bewusst handelnde Täter. Das mag ein Zitat des italienischen Außenministers Dini verdeutlichen: Es "ist... richtig, dass das Bündnis in Krisensituationen eingreift, und es muss auch sofort und ungeachtet unberechtigter Vetostimmen im VN-Sicherheitsrat aktiv werden können."

Eine geographische Begrenzung des potentiellen Einsatzgebietes, etwa den euroatlantischen Raum (NATO-Definition), kennt die EU nicht. Schließlich erstreckt sich das EU-Territorium durch die überseeischen Departements einzelner Mitgliedsländer über Europa hinaus - bis in die Südsee. D.h. die EU-Streitkräfte könnten global eingesetzt werden und damit überall mit dem US-Militär bzw. US-dominierten Militärpakts in Konkurrenz treten.

Wie ist aber nun das Verhältnis von NATO zu EU? Wie ist hier das "Sequencing"? Allgemeine Bekenntnisse, dass die EU-Aufrüstung automatisch "die Fähigkeiten der NATO stärken und die Effizienz der Partnerschaft für den Frieden (PfP) steigern wird" sind so vage wie die Aussage: "Die NATO bleibt das Fundament der kollektiven Verteidigung ihrer Mitglieder und wird weiterhin eine wichtige Rolle bei der Krisenbewältigung haben." Eine wichtige Rolle, aber nicht die wichtigste. Gleichzeitig ist aber nirgendwo klar ausgesprochen, dass die EU die wichtigste Rolle spielen soll.

Vor diesem Hintergrund sah sich die US-Regierung genötigt, die unbotmäßigen europäischen NATO-Partner zur Räson zu bringen. Ein paar Tage später wurden sie anlässlich der NATO-Außenminister-Tagung in Brüssel auf folgende Formulierung verpflichtet: "Wir erkennen die Entschlossenheit der Europäischen Union an, die Kapazität für autonome Aktionen zu besitzen, so dass sie Entscheidungen treffen und militärische Maßnahmen billigen kann, sofern die Allianz als Ganzes (d.h. die USA, U.C.) nicht engagiert ist. Wir nehmen zur Kenntnis, dass dieser Prozess unnötige Duplizierung vermeiden wird und nicht die Schaffung einer europäischen Armee impliziert." Es gilt also das NATO-First-Prinzip. Im Klartext: Nur wenn UNO und NATO nicht wollen, darf die EU ran. Soweit die organisationspolitischen Rahmenbedingungen.

Für die autonomen Krisenreaktionskräfte verschafft sich die EU auch die passenden Gremien:
1. einen ständigen Ausschuss für politische und Sicherheitsfragen (APS) auf Botschafterebene; er würde im Kriegsfall die Operation leiten
2. einen Militärausschluss (MA), der sich aus den nationalen Stabchefs bzw. deren militärischen Delegierten zusammensetzt und den APS militärisch berät
3. einen Militärstab (MS), der "militärisches Fachwissen und militärische Unterstützung" bereitstellt, also die Arbeit für den MA erledigt.

Natürlich stellt sich die Frage der Relevanz: Sind es Gremien getreu des Mottos "Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründ' ich einen Arbeitskreis" oder werden sie wirklichen Einfluss ausüben? Entscheidend ist in dieser Hinsicht, inwieweit die EU über die militärische Hardware für eigene Militäroperationen verfügt. Denn solange das nicht der Fall ist, bleibt der Streit mit den USA natürlich ein virtueller.

Konkret lauten die Fragen also: Wann ist die EU-Eingreiftruppe einsatzbereit? Wie soll sie entstehen? Wo sollen die 50.0000 - 60.000 Mann herkommen? Die Antwort ist: Sie sind schon da! Denn die WEU war in den letzten Jahren nicht untätig. Das 50.000 Mann starke Eurokorps, das aus französischen, deutschen, belgischen und spanischen Truppen besteht, ist seit November 1995 einsatzbereit. Es soll lediglich "zu einem europäischen Krisenreaktionskorps" umgeformt werden. Hierbei geht es allerdings um mehr als eine Namensänderung. Zweierlei muss bis zum Jahre 2003 noch geleistet werden: Erstens müssen "im Rahmen der freiwilligen Zusammenarbeit" Truppenkontingente weiterer EU-Länder integriert werden, insbesondere muss die Mitarbeit der Briten sichergestellt werden. Zweitens müssen "diese Streitkräfte ... militärisch durchhaltefähig sein und über die erforderlichen Fähigkeiten in bezug auf Streitkräfteführung und strategische Aufklärung, die entsprechende Logistik, andere Kampfunterstützungsdienste und gegebenenfalls zusätzlich Komponenten der See- und Luftstreitkräfte verfügen. Die Mitgliedstaaten sollten in der Lage sein, auf dieser Ebene innerhalb von 60 Tagen die Streitkräfte in vollem Umfang zu verlegen... Sie müssen in der Lage sein, eine solche Verlegung für mindestens ein Jahr aufrechtzuerhalten. Dies wird zusätzlich bereitzustellende verlegbare Einheiten (und Unterstützungselemente) mit einem geringeren Bereitschaftsgrad erfordern, damit eine Ablösung der ursprünglichen Streitkräfte vorgesehen werden kann." (Im Klartext: Es geht um wesentlich mehr als 60.000 Mann!)

Entsprechende Aufrüstungsabsichten hatte die EU schon auf ihrem Kölner Gipfel im Juni 99 erklärt. Damals hatte sie "insbesondere die Stärkung unserer Fähigkeiten in den Bereichen strategische Aufklärung, strategischer Transport, sowie Streitkräfteführung" beschlossen. Nicht zufällig war damals auch von der "Stärkung der industriellen und technologischen Verteidigungsbasis die Rede". Dazu wollte man "auf eine engere und effizientere Zusammenarbeit der Rüstungsunternehmen hinarbeiten" . Denn die Aufrüstungsbemühungen der Vergangenheit waren offensichtlich auch an der zersplitterten Rüstungsunternehmenslandschaft gescheitert.

Schließlich hatten die Westeuropäer schon länger Militärspionagesatelliten bauen wollen, um den technologischen Vorsprung der USA an dieser Stelle zu reduzieren. Denn ein WEU-Satellitenzentrum im spanischen Torrejon ist bereits eingerichtet, es fehlen nur die passenden Satelliten, die es mit Bildern zum Auswerten versorgen. Die Planung der WEU bestand in den 90er Jahren darin, ein System aus 6 Satelliten zu bauen; die Kosten wurden bereits 1995 mit ca. 30 Mrd. DM veranschlagt. Allerdings brachten die WEU-Staaten das Geld nicht zusammen; außerdem litt das Projekt unter der Konkurrenz der Rüstungsunternehmen. Sowohl Daimler als auch Matra wollten die Systemführerschaft übernehmen. Dieses Problem ist seit Oktober 99 dadurch gelöst, dass mit tatkräftiger Unterstützung der deutschen und französischen Regierung die Luft- und Raumfahrtsparten beider Unternehmen zur EADS mit Sitz in den Niederlanden fusioniert wurden. Dadurch hat "die Intensivierung der Zusammenarbeit in der europäischen Rüstungsindustrie ... einen neuen Impuls erfahren" (O-Ton Scharping ). Insofern kann man in den nächsten Monaten neue Kostenvorschläge für neue Militärsatelliten erwarten. Die deutsche Bundesregierung wird sich dann im Rahmen der EU für die Beschaffung stark machen und sie durchsetzen. Anschließend wird der internationale Beschluss als Sachzwang präsentiert, der leider dazu führt, dass die Militärausgaben um eine paar Milliarden gesteigert werden müssen. Die entsprechende Grundargumentation hat Scharping schon zusammengebastelt: "Die NATO habe mit deutscher Zustimmung ein neues strategisches Konzept verabschiedet, dessen Verwirklichung für die Armeen der Mitgliedstaaten Investitionen erforderlich mache. Auch in der EU sei die Bundesregierung zusätzliche Verpflichtungen eingegangen, etwa Mittel für eine eigenständige europäische Krisenbewältigung bereitzustellen. Diesen Entscheidungen müsse jetzt die Verwirklichung folgen, dafür sei es nötig, den Investitionsanteil des Verteidigungshaushalts zu vergrößern." Eine weitere Argumentation hat Scharping bereits ausgebreitet: Er beklagt den "Missstand, dass die Bundesrepublik Deutschland und mit ihr die Bundeswehr über Aufklärungskapazitäten auf der taktisch-operativen Ebene verfügt, nicht aber auf der strategischen. Politisch übersetzt bedeutet das, wir sind fähig, uns mit Aufklärungsmöglichkeiten dann zu beteiligen, wenn eine Krise ausgebrochen ist. Wir sind nicht fähig, das zu tun, wenn es um die Prävention gegen den Ausbruch einer entsprechenden Krise geht." Der friedenspolitisch positiv besetzte Begriff Prävention soll also dazu herhalten, militärische Aufrüstung zu rechtfertigen. Dass man sich ein besseres Bild über den Zustand in einem Land über das Lesen von örtlichen Zeitungen und andere nicht-militärische Methoden verschaffen kann, sei hier vorsichtshalber noch einmal erwähnt.

Das zweite Aufrüstungsfeld ist der Lufttransport, denn "Die Fähigkeit zum Krisenmanagement hängt ganz erheblich von einer schnellen strategischen Verlegefähigkeit von Streitkräften ab." Auch diese Erkenntnis ist nicht neu, seit Jahren wird über das Projekt eines modernen Transportflugzeuges diskutiert. Die kostengünstigere Variante wäre ein Gemeinschaftsprojekt mit dem EU- und NATO-Partner Ukraine bzw. der Erwerb des schon halbwegs fertigen ukrainischen Transportflugzeuges AN-70 (erster Prototyp 1994). Dabei könnte auch mit Russland kooperiert werden. Aber soweit geht vermutlich die Freundschaft doch nicht. Weil die EU jedoch die eigene industrielle und technologische "Verteidigungsbasis" stärken will (s. Kölner EU-Beschluß vom 4.6.99) wird die EU am Ende auf das wesentlich teurere Future Large Aircraft (FLA) zurückgreifen (prognostizierte Kosten für 288 Flugzeuge: DM 30 Mrd.; am Ende wird es natürlich noch teurer...).

Die Konsequenzen der EU-Beschlüsse wären kräftige Steigerungen der Rüstungsausgaben in den EU-Ländern. Diese würden erhebliche Einschnitte bei gesellschaftlich sinnvollen staatlichen Ausgaben bedeuten. Hier liegt das politische Auseinandersetzungsfeld. Der Zusammenhang wird wieder sehr einfach lauten: Aufrüstung = Sozialabbau.

3. Der Westen und der Tschetschenien-Krieg

Ein zweiter EU-Beschluss sorgte in Moskau für Verstimmung. Die EU kritisierte "die Bombardierungen und die unverhältnismäßige und unterschiedslose Anwendung von Gewalt gegen die tschetschenische Bevölkerung" und wandte sich gegen das damalige Ultimatum an die Zivilbevölkerung, Grosny zu verlassen. Außerdem diente man Russland einmal mehr die OSZE als Vermittlungsinstanz an. Einen ähnlich lautenden Beschluss fassten die NATO-Außenminister einige Tage später. Dort wurde zusätzlich herumgenörgelt, dass Russland den KSE-Vertrag nicht einhalte, indem es durch den Militäreinsatz Obergrenzen für Truppen und Waffen in der Kaukasusregion überschreite. Eine entsprechende Kritik hatte Russland im Frühjahr geäußert, als die NATO durch Truppenstationierungen in Mazedonien und Albanien gegen den gleichen Vertrag verstieß. Aber schon die alten Römer wussten: Licet iovi, non licet bovi (Was dem Gott Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt).

Die EU- und NATO-Beschlüsse ordnen sich in einen befremdlichen Diskurs über Tschetschenien ein, wie er z.Z. in den westlichen Gesellschaften geführt wird. Umstandslos wird das russische Vorgehen gegen die Tschetschenen mit dem serbischen gegen die Kosovo-Albaner gleichgesetzt. Wie üblich ist von ethnischen Säuberungen bis hin zu Völkermord die Rede. Der Zusammenhang mit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien (Ermunterung, Krieg als Mittel einzusetzen, sowie Kopieren der NATO-Kriegsführung und die NATO-PR-Arbeit) wird strikt ausgeblendet. Beklagt wird die Tatenlosigkeit der westlichen Staatengemeinschaft. Personen und Gruppen, die im Frühjahr 1999 den NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien rechtfertigten, zünden heute ein Licht für Tschetschenien an und rufen nach Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Militärschlage erscheinen offenbar zu riskant, da Russland nach wie vor Atommacht ist, woran der russische Präsident Jelzin unlängst vorsichtshalber noch einmal erinnerte.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Wer Krieg als Mittel der Politik verwirft, kann den russischen Tschetschenien-Krieg nur verurteilen. Aktionen vor russischen Botschaften und Konsulaten sind allemal notwendig, auch die Forderung nach Sanktionen ist moralisch völlig richtig. Unglaubwürdig sind nur diejenigen, die im Frühjahr die NATO-Kriegsverbrechen durchgehen ließen bzw. billigend in Kauf nahmen, und nun die gleichen Missetaten bei anderen anprangern.

Nehmen wir an, die NATO (die EU-Eingreiftruppe ist ja noch nicht voll einsatzfähig) würde tatsächlich im Kaukasus eingreifen. Auf welcher Seite würde sie das tun? Warum sollte sie ein Interesse am militärischen Sieg fundamentalistischer Islamisten haben? In gewisser Weise haben Russland und die USA den gleichen Gegner: Der mutmaßliche Finanzier von Terroranschlägen, Bin Laden, gilt als Drahtzieher von den Anschlägen auf die US-Botschaften in Afrika 1998, die US-Regierung verlangt von Afghanistan die Auslieferung. Eben jener unterstützt auch tschetschenische Rebellen. Wäre es nicht naheliegender, dass die NATO Russland gegen die Tschetschenen unterstützte, zumal wenn die Verfügungsgewalt über die russischen Atomwaffen bedroht wäre?

Entsprechend sind auch ernsthafte Wirtschaftssanktionen gegen Russland mit der EU nicht zu machen, denn das würde wichtige eigene wirtschaftliche Interessen berühren: "Die Europäische Union ist bereits jetzt der wichtigste Handelspartner Russlands, das seinerseits einen beträchtlichen Teil der Energieversorgung der Europäischen Union sicherstellt. Die europäischen Unternehmen haben zudem bedeutende Investitionen in Russland getätigt." Russland ist ein normales kapitalistisches Land, die russischen Konzerne sind zunehmend mit westlichen verflochten .

Insofern stellt die EU "das Recht Russlands auf Wahrung seiner territorialen Integrität und zur Bekämpfung des Terrorismus nicht in Frage." Der EU-Einwand ist lediglich, nicht alle Tschetschenen seien Terroristen und als solche zu behandeln. Die "tschetschenischen Entscheidungsträger" werden aufgefordert, "den Terrorismus zu verurteilen" und "die Regeln und Grundsätze des humanitären Rechts zu achten" (offensichtlich sind auch in dieser Richtung der EU Verstöße bekannt geworden). Als Folge des russischen Krieges wird befürchtet, dass die gesamte Region destabilisiert wird - und dann wären die eigenen energiepolitischen Interessen in der Kaukasus-Region gefährdet. Entsprechend schlug Außenminister Fischer auch gleich einen Stabilitätspakt für den Kaukasus vor. Die NATO formulierte ihre Position so: "Wir ... sind aber der Ansicht, dass Russlands Verfolgung einer rein militärischen Lösung des Konflikts seine legitimen Ziele untergräbt." Die Kritik besteht darin, dass die Wahl der Mittel für überzogen gehalten wird, mehr nicht.

Das weit verbreitete Gerede von einer drohenden neuen Ost-West-Konfrontation zeugt nur von nicht überwundenen Denkschablonen aus den 80er Jahren. Was der Westen von Russland möchte, ist, dass es sich seiner wirtschaftlichen Schwäche (verantwortlich gerade für 1,5% des internationalen BIP; NATO-Staaten: 50%) gemäß verhält und sich als zweitrangiger Akteur in die westliche Staatengemeinschaft einpasst. Wenn überhaupt eine neue Blockkonfrontation droht, dann zwischen EU und den USA.

Ulrich Cremer ist Herausgeber des Buches "Nach dem Krieg ist vor dem Krieg" und war Initiator der GRÜNEN Anti-Kriegs-Initiative und bis Februar 1999 Sprecher des Fachbereichs Außenpolitik bei BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN