Frankfurter Rundschau

Grüne Linke schärfen Profil

Klare Absage an Liberalismus jedweder Couleur

Von Knut Pries

BERLIN, 3. Oktober. Mit programmatischen Anleihen bei der "Neuen Mitte" ist für Bündnis 90/Die Grünen nach Ansicht der Partei-Linken die gegenwärtige Krise nicht zu überwinden. Auf einem Berliner "Strategietreffen" von knapp 100 grün-linken Parteivertretern aus Bundes- und Landespolitik plädierten sie unter dem Motto "Kurswechsel jetzt – Wir wollen das sozial-ökologische Reformprojekt" für eine klare Abgrenzung gegenüber dem Liberalismus konservativer oder sozialdemokratischer Couleur.

In der neuen Mitte drängelten sich mittlerweile "mehr Parteien als Wählerinnen und Wähler", sagte die nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn. Es sei ein Fehler, die Grünen zu einer "völlig normalen Partei" machen zu wollen. Auch Höhns Kollege im Bund, Jürgen Trittin, warnte in einem Grußwort die Partei vor "neoliberalen Illusionen". Auf Kritik stießen in der Diskussion unter anderem die Unterstützung des Militäreinsatzes in Kosovo durch den Bielefelder Parteitag der Grünen, die von Außenminister Joschka Fischer forcierte Debatte um die "Doppelspitze" und andere Organisationsprinzipien der Partei sowie das Plädoyer der Bundestagsabgeordneten Margareta Wolf für Deregulierung und Entbürokratisierung der Wirtschaftspolitik.

Zu den Organisatoren des Berliner Treffens, mit dem der zersplitterte linke Flügel wieder mehr Geschlossenheit gewinnen will, zählten die Bundestagsabgeordneten Claudia Roth, Hans-Christian Ströbele und Annelie Buntenbach.

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Erscheinungsdatum 04.10.1999


Süddeutsche Zeitung

04.10.99

Strategietreffen in Berlin

Linke Grüne: Kurs der Regierung korrigieren

Von Christiane Schlötzer

Berlin – Bei einem Strategietreffen der Parteilinken haben mehrere Bundestagsabgeordnete der Grünen, darunter Hans-Christian Ströbele und Claudia Roth, Korrekturen des rot-grünen Regierungskurses verlangt. Die jüngsten Wahlniederlagen erklären die Politiker der Grünen auch damit, "dass eine Mehrheit in der Bundestagsfraktion" die Grundlinien der bisherigen grünen Programmatik verlassen habe. Scharfe Kritik wurde dabei an der Wirtschaftspolitikerin Margareta Wolf geübt, die sich jüngst in einem Grundsatzpapier für eine liberale Trendwende in der Wirtschaftspolitik ausgesprochen hat. NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn sagte vor den rund 100 Teilnehmern in Berlin, "das grüne Projekt war noch nie so gefährdet, in der Beliebigkeit zu versinken, wie heute".

Die Abgeordnete Annelie Buntenbach kritisierte "unzumutbare Zumutungen" des Sparpakets für Arbeitslose und Sozialhilfe-Empfänger. Die Fraktion in Berlin dürfe nicht "Abnickgremium" für die Regierung sein, forderte eine weitere Abgeordnete, die meinte die Grünen hätten in der Regierung "ihre Rolle noch nicht richtig definiert". Roth sagte, für die Parteilinke gelte aber: "Wir treten nicht aus, wir treten an." Die Linke wolle "einen kräftigen Impuls" für die inhaltliche Erneuerung der Grünen geben.

Von einer Reform der Parteistrukturen hält die Linke allerdings wenig. Die von Außenminister Joschka Fischer hier verlangte Erneuerung – mit der Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat für die Führungsspitze – wurde als "Ablenkungsmanöver" kritisiert. "Wenn wir noch normaler werden, sind wir am Ende völlig ohne Profil", meinte Höhn. Die Koalition in Berlin leide nicht an einem Vermittlungs-, sondern an einem Glaubwürdigkeitsproblem, sagte sie.

Als einziges Regierungsmitglied nahm Umweltstaatssekretärin Gila Altmann an dem Treffen teil. Umweltminister Jürgen Trittin sagte wegen "aktueller Entwicklungen" ab. In einem Schreiben an die Versammlung kritisierte er die "vorherige Ausgrenzung von Positionen und Personen" bei dem Treffen. Mehrere prominente Linke aus der Fraktion, wie der Rechtspolitiker Volker Beck und der Finanzexperte Klaus Müller, hatten keine Einladung erhalten. Trittin machte auch deutlich, dass er neben der programmatischen auch eine strukturelle Erneuerung der Grünen für notwendig halte. (Seite 4)

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Süddeutsche Zeitung

04.10.99

Meinungsseite

Alte Parolen helfen nicht

Umweltminister Jürgen Trittin zog andere Termine vor, Fraktionschefin Kerstin Müller war gar nicht erst eingeladen. In Berlin suchte die Linke in der grünen Partei nach ihrem Profil, aber die regierenden Linken waren entweder nicht erwünscht oder blieben überwiegend fern. Die deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg hat die Parteilinke nachhaltig verstört und sie noch weiter zersplittert. Das Berliner Treffen sollte dazu dienen, ein paar Splitter wieder zusammenzukehren, um die Frustrierten in der Partei zu halten.

Schuld an der eigenen Misere, so war man sich rasch einig, sei die Realo-Mehrheit in der eigenen Bundestagsfraktion, die die Grundlinien grüner Politik verlassen habe. Damit macht sich die innergrüne Opposition die Analyse des aktuellen Desasters jedoch recht einfach, so als werde für die Grünen schon wieder alles gut, wenn sie nur an ihre alten Grundsätze glauben könnten. Glaube versetzt aber nun leider keine Berge und schaltet auch kein Atomkraftwerk ab. Die Parteilinke braucht dringend einen inhaltlichen Erneuerungsschub, nur mit den alten Parolen wird sie nicht mehr viel gewinnen. Schafft sie dies, wird das den Grünen ingesamt nützen, denn die Partei braucht auch ihre Linke. Das wissen sogar die meisten Realos.

Eine machtpolitische Kraft aber wird die linke Minderheit nur wieder werden, wenn sie auch mit der eigenen Regierung redet, statt sich vor ihr zu fürchten. Der ach so beliebte Streit über die Parteistrukturen ist dafür kein Ersatz. Er ist ein Fetisch, der sich zwar wunderbar zum innergrünen Gerangel eignet, zu mehr aber auch nicht. Die Grünen sollten sich von diesem Struktur-Konservativismus nun endlich verabschieden.

csc

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