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WOLF BUCHMANN UND SVEN METZGER
LASST UNS NEUE WEGE GEHEN,
ABER VERTAUT DEN BEWÄHRTEN SCHUHEN!
Das Papier wurde direkt nach der Hessenwahl verfaßt. Wir haben es aufgrund der Aktualität des Kosovo-Krieges zurückgestellt und möchten es nun zur Debatte stellen.
Für eine neue alte Jugendpolitik
Nach der Wahl in Hessen und ihrem verheerenden Ergebnis haben Bündnis 90/ Die Grünen die Jugend wiederentdeckt. Aus allen politischen Ecken quer durch die Strömungen erklingt der Ruf nach einer personellen Erneuerung, nach fehlender Attraktivität der Partei für junge Menschen usw....
Da werden teilweise abenteuerliche Erklärungen für das Scheitern
in Hessen angeboten: Die Grünen wären eine Partei, die der "ich
geb Gas, ich will Spaß"-Generation nur noch als diktatorische Verbieter
erscheinen würde, lautet eine.
Weil die Grünen jungen Menschen den Flug in den Urlaub vermiesen würden,
würden diese sie nicht mehr wählen, ist eine andere. Und als Lösung
will man sich in Zukunft nicht mehr der Verringe-rung des Flugverkehrs widmen,
sondern sich darum kümmern, daß die Flugzeuge leiser werden. Worauf
sich diese Analysen beziehen, bleibt allerdings schleierhaft. Aber schauen wir
uns doch Hessen mal etwas genauer an.
Den Grünen ist dort wahrlich nicht der Vorwurf zu machen, sie hätten
in den letzten Jahren eine personelle Erneuerung versäumt und es nicht
geschafft, Jugendliche in ihre Politik einzubinden. In kei-nem anderen Landesverband
hat die Förderung von jungen Menschen so gut geklappt wie in Hessen. Ein
Bundestagsabgeordneter, zwei Landtagsabgeordnete und der politische Geschäftsführer
zeugen davon, daß es hier geschafft wurde, junge Menschen nach vorne zu
bringen.
Betrachtet man dann aber die Themen, welche diese "Youngster" in den
Mittelpunkt ihrer Politik gerückt hatten, merkt man sehr schnell, daß
diese Leute die Jugendthemen überhaupt nicht besetzt hatten!
Zwar war der junge Bundestagsabgeordnete für das Thema Hochschule zuständig, allerdings wurde der von ihm vorgelegte Entwurf eines grünen Hochschulrahmengesetzes von den grün-nahen Hochschulgruppen abgelehnt. Auf eine noch größere Welle der Ablehnung bei den Studierenden stieß das vom gleichen Abgeordneten vorgelegte Konzept zur Studienfinanzierung. Damit waren die Grünen bei zwei sehr wichtigen JungwählerInnen-Themen der letzten Zeit aus dem Rennen.
Ein anderes großes Projekt dieser Generation von PolitikerInnen war und
ist der sogenannte "Generationenvertrag". Hier geht es unter der Vorgabe,
eine Perspektive für die junge Generation schaffen zu wollen, darum zwei
Themen in den Vordergrund zu schieben: Haushaltspolitik und Rentenpolitik. Für
diese Probleme wurden Lösungsansätze offeriert, die an Deregulierung,
Kapitalismushörigkeit und mangelndem sozialem Gerechtigkeitsgefühl
kaum zu überbieten waren.
Spätestens nach der Hessenwahl gilt es zu konstatieren: diese Jugendpolitik
ist gescheitert!
Junge Menschen bei ihren Sorgen abholen
Was bewegt dann Jugendliche, was sind dann ihre Themen?
Schaut man sich die aktuellen Jugendstudien an, so ist ein Thema immer an der Spitze des In-teresses zu finden: die Angst vor der eigenen Arbeitslosigkeit.
Bündnis 90/ Die Grünen haben es in den letzten Jahren verschlafen, diesem Thema den Raum zu geben, den es verdient hat.
Wem der Zugang zur eigenständigen Existenzsicherung verwehrt bleibt,
wird sich nicht damit auseinandersetzen können und wollen, was in 40 Jahren
mit seiner Rente los ist. Wer schon bei der ersten Schwelle am Arbeitsmarkt,
nämlich dem Zugang zu einem Ausbildungsplatz, scheitert, dem ist die Nettoneuverschuldung
des Bundeshaushaltes ziemlich egal.
Wir müssen diese Probleme wieder stärker in den Mittelpunkt grüner
Politik stellen. Es kann nicht sein, daß die einzige Forderung nach einer
Ausbildungsplatzabgabe, welche aus de Koalition zu ver-nehmen ist, von Andrea
Nahles kommt.
Bündnis 90/ Die Grünen müssen den Jugendlichen wieder glaubhaft
darstellen, daß sie ihre Sor-gen und Ängste ernst nehmen und daß
sie gegen diese politisch auch etwas tun wollen. Ein Sofortpro-gramm für
100 000 arbeitslose Jugendliche mag hierzu ein Einstieg sein, ausreichend ist
es bestimmt nicht, um dem Problem der Jugendarbeitslosigkeit auf Dauer habhaft
zu werden.
Wenn ein bundesweiter StudentInnen- und SchülerInnenstreik von einem
rot-grün regierten Bun-desland ausgeht, so schadet das nicht nur dem "Image",
sondern es kommt einem grünem bildungspo-litischen Offenbarungseid gleich.
Gerade in den Bereichen Schule und Hochschule verübeln es junge Leute den
Parteien besonders, wenn nach intensiven Diskussionen und vollmundigen Solidaritätserklä-rungen
die Veränderung ausbleibt. Denn hier steht die Politik unmittelbar in alleiniger
Verantwortung, Ausreden wie "Globalisierung" oder "schlechte
Konjunktur" helfen nicht: Die politisch Verantwortlichen müssen Prioritäten
setzen, Grüne müssen sich für SchülerInnen und StudentInnen
entscheiden!
Plädoyer für Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit
So wichtig es für Bündnis 90/ Die Grünen sein wird, diese Themen wieder in den Mittelpunkt ihres Angebots für junge Menschen zu stellen, genauso wichtig wird es sein, Politik glaubwürdig und ehrlich zu gestalten. Das heißt im Einzelnen,
daß die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Problemen wieder in den Mittelpunkt der politi-schen, auch der parteiinternen, Auseinandersetzung gerückt werden muß. Strukturreformde-batten können inhaltliche Perspektiven nicht ersetzen. Und wenn man schon Strukturen refor-mieren wilk, sollte man daran denken, daß jumge Leute flache Strukturen bevorzugen.
daß der bündnisgrüne Chamäleonprozeß an seine Grenzen gestoßen ist. Gewisse Zugeständ-nisse an die Regeln der Mediendemokratie sind notwendig, aber glaubwürdig wird man weder dadurch, daß man möglichst radikal ist, noch, daß man den anderen etablierten Parteien mög-lichst ähnlich wird. Politische Glaubwürdigkeit zeichnet sich dadurch aus, daß die inhaltlichen Konzepte und das eigene Handeln zusammen passen. Wer ohne dringende Not die Trennung von Amt und Mandat aufgeben will, obwohl diese einen wesentlichen Inhalt des grünen Demo-kratieverständnisses wiedergibt, macht sich unglaubwürdiger als derjenige oder diejenige, der/ die entgegen des Üblichen sein Mandat aufgibt. Dies gilt vor allem dann, wenn unter einer rot-grünen Regierung deutlich gemacht werden muß, welches die notwendigen bitteren "Regie-rungskompromisse" und welches die Positionen der Partei sind.
daß wir nicht nur über junge Menschen, sondern mit ihnen reden und auch bereit sind, ihnen politische Verantwortung zu übertragen. Dies gilt sowohl in spezifischen Interessenvertretungen für Jugendliche (SchülerInnenvertretungen, Studierendenschaften, Jugendparlamente usw.) als auch in Parteien und politischen Gremien.
daß wir Politik nicht nur als Vorbeten inhaltlicher Positionen, sondern auch als Lernprozeß verstehen müssen, in dem es durchaus legitim ist, zuzugeben, daß wir uns geirrt haben oder daß wir eine Niederlage einstecken mußten.
Die grüne Bewegung steckt nicht in der Krise, sondern in einem Dilemma
Selbst wenn wir alle diese Punkte beherzigen, so bleibt doch das Problem bestehen, daß wir un-sere Inhalte vermitteln müssen. Dabei entpuppt sich unsere Stärke immer mehr als unsere Schwäche: Je differenzierter und ausgefeilter bündnisgrüne Konzepte wurden, um so schwerer wurde es und wird es weiter werden, für sie zu werben. Die beiden fünfer Pannen (Fünf Mark und nur noch alle fünf Jahre in den Urlaub fliegen) verdeutlichen dies. Sowohl die Forderung nach einer ökologisch-sozialen Steuer-reform inkl. detailiertem Konzept, als auch die nach Besteuerung von Flugbenzin, sind richtig, aber die Art und Weise der Vermittlung derselben hatte verheerende Konsequenzen. Wie aber kommen wir aus diesem Dilemma? Anders gefragt: Wie können wir auch in Zukunft mit Inhalten werben, wenn diese so komplex sind, daß sie schlichtweg auf kein Wahlplakat der Welt passen?
Der Weg von der gesellschaftlichen Vision zum reformpolitischen Konzept
Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir uns wieder auf eine alte Stärken
zurückbesinnen: Die Fähigkeit in gesellschaftlichen Visionen zu denken
und aus ihnen konkrete Reformprojekte zu entwik-keln! Erst wenn wir die Menschen
von unseren Zielen überzeugt haben, werden sie bereit sein, unse-ren Konzepten
zu folgen. Dies gilt vor allem dann, wenn sie anstrengend sind und persönlichen
Einsatz oder Opfer verlangen, wie dies z.B. bei der Ökosteuer der Fall
ist. Bei zu vielen Themen ist uns dieser Weg verloren gegangen. Auch wenn die
Visionen noch in den Köpfen der meisten Mitglieder vorhan-den sind, so
werden sie doch nicht mehr oder zu wenig transportiert.
Daß wir aus Erfahrungen lernen müssen, daß es neue und veränderte
Fragestellungen geben wird, auf die wir Antworten werden geben müssen,
ist selbstverständlich. Aber es wäre ein Irrtum zu glauben, wir müßten
deshalb grüne Politik neu erfinden oder die grundlegenden Werte unserer
bisheri-gen Politik aufgeben. Um eine neue Tür in ein Haus zu bauen, muß
man nicht das Fundament einreißen.
Eine neue Sprache finden
Ein Umstand hat sich jedoch verändert und wird dies weiter tun: Die Sprache! Nichtssagende Floskeln sind out, und selbst ursprünglich inhaltsreiche Begriffe kommen einem irgendwann zu den Ohren raus, wenn sie inflationär verwendet werden. Es macht wenig Sinn, sich durch eine "moderne Politik für nachhaltige und zukunftsfähige Innovation" von der "innovationsfreundlichen, nachhaltigen Politik für eine zukunftsfähige Gesellschaft" der Konkurrenz abzugrenzen. Positionen müssen nicht nur klar und eindeutig ausgearbeitet sein, sie müssen auch so ausformuliert und beworben werden. Ge-nausowenig brauchen wir "forever old" Sprüche wie "Mit Verlaub, Herr Fischer, sie sind ein Schwätzer" oder inhaltsleere Symbole, deren Wiedererkennungswert so groß wie ihr Aussagewert minimal ist. Ein flotter Spruch oder ein Symbol können inhaltliche Werbung nicht ersetzen, höchstens ergänzen. Nichtsdestoweniger müssen wir uns Gedanken darüber machen, ob die traditionellen Aktionsformen noch ansprechend sind. Hinterzimmerveranstaltungen dienen in erster Linie der Fortbildung unserer Mitglieder, darüber hinaus entfalten sie wenig Wirkung. Wir müssen den Weg zu den Menschen wieder über die Straße, durch Aktionen und Veranstaltungen in der Mitte von Städten und Gemeinden, suchen.
Auf dem grünen Weg ins @lternative 21. Jahrhundert
Wir nehmen für uns nicht in Anspruch, das Problem des Verlusts von Zuspruch bei jungen Men-schen abschließend behandelt zu haben. Sondern wir wollen mit diesem Papier die innerparteiliche Diskussion um den bündnisgrünen Weg in ein @lternatives 21. Jahrhundert ein Stück weit voranbringen.
Wolf Buchmann, lebt in Trier und
ist Schatzmeister des Grünen Jugendbündnisses-RLP
Sven Metzger, lebt in Ludwigshafen
und ist Mitglied im Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung-RLP