Fachbereich Finanzen / Wirtschaft / Soziales
Arbeitsgruppe Sozialpolitik
in der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken August 2000 - Positionen zur Rentenpolitik - |
Die Diskussion um den "Dauerbrenner Rentenreform" hat eine neue
Dimension erreicht: Die u.a. mit massiver Kritik an den konservativen Rentenreformplänen
an die Regierung gelangte rot-grüne Koalition plant eine Abkehr von
sozialen und solidarischen Prinzipien, wie sie eine konservative Regierung
wohl nie gewagt hätte. Gefördert wird dieses Vorhaben dadurch,
dass die Auswirkungen einzelner Elemente des neuen Rentenmodells bislang
hauptsächlich von Experten überblickt werden können, während
'Laien' die so genannte Reform mit dem Argument der sinkenden Lohnnebenkosten
bzw. der stabilen Beitragssätze schmackhaft gemacht werden soll. Die
Kritik des in das Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit
eingebundenen DGB klingt entsprechend leise und kommt derjenigen der CDU
nahe - eine radikale sozialpolitische Kritik von Links ist nicht zu vernehmen.
Aus diesem Grunde hat die "Arbeitsgruppe Sozialpolitik" der "Initiative
zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken" die Argumente der "Reformer"
einer kritischen Prüfung unterzogen und eigene Positionen und Vorschläge
zu einer Reform entwickelt. Wir haben uns bemüht, die geplanten Maßnahmen
so nachvollziehbar wie möglich darzustellen, um eine breite Debatte
über die Zukunft der Rentenversicherung unter den KollegInnen zu erleichtern.
Wer sich wie wir für den Erhalt bzw. Ausbau der solidarischen Rentenversicherung
einsetzen will, kann dies z.B. mit der Unterschriftenaktion "SOLIDARISCHE
RENTENVERSICHERUNG AUCH GEGEN ROT-GRÜN VERTEIDIGEN" tun. Wir rufen
mit der vorliegenden Argumentationshilfe zum Widerstand gegen die geplanten
Änderungen in der Rentenversicherung auf.
I. Hat die soziale Rentenversicherung noch eine Zukunft? Die solidarische Absicherung von Krankheit, Arbeitslosigkeit, Invalidität
und Alter wird aus den Beiträgen der lohnabhängig Beschäftigten
und den Arbeitgeberanteilen finanziert: Gesunde unterstützen Kranke,
Erwerbstätige unterstützen Menschen, die zeitweilig arbeitslos
sind, alte Menschen im Ruhestand leben von den Beiträgen der jüngeren
Generationen. So kann und soll die Sozialversicherung funktionieren. Doch
die Sozialversicherungen im Allgemeinen und die solidarische Rentenversicherung
im Besonderen geraten politisch-ideologisch und auch praktisch immer stärker
unter Druck. Privatisierung der Renten und Senkung der Lohnnebenkosten Doch nach den Plänen von Rot-Grün soll die Alterssicherung
so weit wie möglich privatisiert, die gesetzliche Rente gekürzt
und sollen die ArbeitnehmerInnen zum privaten Sparen verdonnert werden.
Warum passiert das alles, wenn die umlagefinanzierte Rente trotz aller
Probleme immer noch sozialpolitisch vernünftig und finanzierbar ist? Umverteilung ist möglich. Während die Unternehmensgewinne steigen, sanken die Gewinnsteuern
zwischen 1960 und 1998 um rund die Hälfte von 28 Prozent auf 14,9
Prozent. Damit macht ihr Anteil am Gesamtsteueraufkommen 1998 nur noch
12,3 Prozent aus, und der Löwenanteil von 70 Prozent des Steueraufkommens
wird von den LohnsteuerzahlerInnen aufgebracht. Mit der 2000er Steuerreform,
die vor allem Kapitalgesellschaften begünstigt, wird diese Ungerechtigkeit
noch größer. II. Systemwechsel in der Alterssicherung Kein Mensch würde einen Supermarkt supergünstig finden, nur weil dort ein Teil des Einkaufs an einer zusätzlichen, speziellen Kasse bezahlt werden muss. Ähnlich merkwürdig sind die Pläne der Bundesregierung zur Zukunft der Rente: Um den Beitragssatz zur Rentenversicherung möglichst niedrig zu halten, soll das Rentenniveau weiter sinken. Das Ziel, mit der gesetzlichen Rentenversicherung ein auskömmliches Einkommen im Alter sicher zu stellen, wird damit aufgeben. Stattdessen sollen die ArbeitnehmerInnen eine zusätzliche private Altersvorsorge abschließen und mindestens vier Prozent ihres Bruttolohns fürs Alter auf die hohe Kante legen. Eine solche Renten"reform" wäre der Einstieg in einen grundsätzlichen Systemwechsel in der Altersvorsorge: Weg von einer solidarischen und kollektiven Absicherung, bei der die abhängig Beschäftigten durch ihre Beiträge die laufenden Renten bezahlen (Umlageverfahren) - hin zu individuellem Sparen fürs Alter nach den Spielregeln einer privaten Versicherung (Kapitaldeckungsverfahren). Dabei geht es nicht um die Wahl zwischen zwei "neutralen" technischen Verfahren zur Organisation der Alterssicherung. Vielmehr wird mit der Festlegung der Spielregeln für die Alterssicherung bereits über Gewinner und Verlierer entschieden. Wer profitiert von einer Umstellung aufs Kapitaldeckungsverfahren? Und
wer zahlt drauf? Wie funktioniert private Vorsorge? Wo liegen die Risiken? Wird bei der Finanzierung der Rente auf private Sparmaßnahmen umgestellt,
dann sind damit erhebliche Risiken verbunden: Geld allein arbeitet nicht.
Es muss renditebringend investiert werden, damit eine ausreichende Verzinsung
für den Vermögensaufbau erzielt wird. Doch auch ohne extreme
Krisensituationen wie Weltkriege oder Währungsabwertungen, die in
der Vergangenheit bereits mehrfach dazu geführt haben, dass angesparte
Vermögen massenhaft vernichtet wurden, stellt die private Altersvorsorge
ein Risikogeschäft dar: Die Einlagen sind den Risiken der wirtschaftlichen
und konjunkturellen Entwicklung, Inflation, Kurs- und Zinsschwankungen
ausgesetzt. Deshalb wird im Kleingedruckten der bunten Werbeanzeigen der
Versicherungswirtschaft auch darauf hingewiesen, dass die möglichen
Renditen keineswegs garantiert werden können. Wie abenteuerlich eine
Umstellung auf das Kapitaldeckungsverfahren ist, zeigt auch die Erfahrung
mit dem Zusammenbruch der Finanzmärkte in den aufstrebenden "Tigerstaaten"
Südostasiens. Vor dem Crash im Jahr 1996 galten Investitionen in
diese Länder, darunter vielfach aus Pensionsfonds, in der internationalen
Finanzwelt als gute Empfehlung. Und: Geld kann man nicht essen! Bei der privaten Altersvorsorge werden ja keine Konsumgüter - keine Brote, Milchflaschen und Kinokarten - zurückgelegt, sondern Geldwerte. Da die Gesellschaft altert, kommt es dabei zu einem Problem. Zu einem gewissen Zeitpunkt, sagen wir 2030, gibt es relativ wenige Junge, die Geldanlagen suchen, aber relativ viele Alte, die Ihre Geldanlagen auflösen müssen, um davon zu leben. Aufgrund dieses Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage sind die angeblich der gesetzlichen Rente überlegenen Renditen aber nicht haltbar, wenn private Vorsorge in großem Stil betrieben wird. Letztlich geht es bei der Zukunft der Rente um eine politische Verteilungsfrage: Wieviel vom erwirtschafteten Reichtum in einer immer produktiveren Wirtschaft soll auf die Rentnerinnen und Rentner verteilt werden, und wieviel sozialen Ausgleich zwischen Starken und Schwachen will eine Gesellschaft sich leisten? Unbestritten führen längere Rentenbezugszeiten und ein höherer Anteil von RentnerInnen an der Bevölkerung zu höheren Ausgaben. Doch ob für die sozialpolitisch notwendigen Aus- und Aufgaben bei immer größeren gesellschaftlichem Reichtum entsprechende Einnahmen mobilisiert werden können, ist Gegenstand verteilungspolitischer Auseinandersetzungen und keine Frage des Altersaufbaus der Gesellschaft. Die rot-grüne Regierung ist offensichtlich entschlossen, diese Frage zu Lasten derjenigen zu lösen, die am meisten auf sozialen Schutz im Alter angewiesen sind, während die großen Gewinner der rot-grünen Rentenreform die Unternehmen sein werden: die Arbeitgeber im Allgemeinen, Versicherungen und Banken im Besonderen. III. Rot-grüne Rentenreform - ein Politikwechsel nach rechts Auch wenn noch an einigen Stellschrauben der rot-grünen Rentenreform
gedreht wird, stehen die Grundlinien fest: Die "Jahrhundertreform"
der neuen Regierungskoalition ist ein massiver Angriff auf grundlegende
Prinzipien des bisherigen Sozialstaates. Und trotz einiger Mäkeleien
aus den Reihen der Union und der F.D.P. können die Konservativen
mit den Plänen von Rot-Grün gut leben, bringt doch Walter Riester
die Rentenpolitik so rabiat auf neo-liberalen Kurs, wie es die alte Koalition
nie durchsetzen konnte. Worum geht es dabei im Einzelnen? Stabile und möglichst niedrige Lohnnebenkosten - und hier vor allem niedrige Beitragssätze zur Rentenversicherung für die Unternehmen - werden zum unangreifbaren Dogma erhoben und diktieren das Austrocknen der Sozialen Rentenversicherung. Im Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit haben die Gewerkschaften das Leitbild von niedrigen Lohnnebenkosten und Standortkonkurrenz akzeptiert. Trotz einiger Kritikpunkte, die die Gewerkschaften im Detail noch an Walter Riesters Rentenplänen formulieren, haben sie sich durch die Akzeptanz dieser Bündnisziele in die Mitverantwortung für den Systemwechsel in der Alterssicherung begeben. Eines ist sicher - der Rentenabschlag Die neue Rentenformel - das Herzstück der rot-grünen Rentendemontage
- basiert auf einem stetig anwachsenden Abschlag (und Anschlag) auf die
Sozialversicherungsrenten, der bis zum Jahr 2050 über 25 Prozent
des heutigen Rentenniveaus kappt. Damit wird eine lebensstandard- und
existenzsichernde Sozialrente für die meisten Menschen zum Auslaufmodell.
Die ganze Rentendiskussion ist vom Modell des "Standardrentners"
geprägt, der 45 Jahre lang ununterbrochen in einem Vollzeitarbeitsverhältnis
gestanden und mindestens ein durchschnittliches Einkommen bezogen hat.
Teilzeitarbeit, Erwerbslosigkeit und Arbeit in Niedriglohnbranchen drücken
die Rentenansprüche vieler Versicherte trotz lebenslanger Erwerbsarbeit
schon heute auf und unter das Sozialhilfeniveau. In der Zukunft wird das
noch häufiger passieren. Neue Nettolohnformel durch private Vorsorge senkt Rentenniveau Die Anpassung der Renten an die allgemeine Einkommensentwicklung, eine
wesentliche Voraussetzung für ein lebensstandardsicherndes Rentenkonzept,
wird neu geregelt, und damit werden die Sozialrenten künftig von
der Nettolohnwicklung abgekoppelt. Schon die reduzierte Rentenanpassung
1999 und 2000, die nurmehr auf Grundlage der Preissteigerungsrate des
Vorjahres erfolgte, hat das Rentenniveau dauerhaft abgesenkt. In Zukunft
soll es zwar wieder zur nettolohnbezogenen Rentenanpassung kommen. Doch
diese wird so umgebaut, dass sie ihren Namen nicht mehr verdient. Nur
noch die Veränderung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung wird
künftig an die Sozialrentner als Rentenanpassung weitergegeben. Arbeiten bis 70? Die verhängnisvolle Anhebung der Altersgrenzen bei den unterschiedlichen Rentenarten, die die Kohl-Regierung im Rahmen des alten Bündnisses für Arbeit mit Duldung durch die Gewerkschaften noch 1996 auf den Weg gebracht hatte, wird endgültig festgeschrieben. Wer vor 65 Rente beziehen will oder muss, kann dies überhaupt nicht mehr oder nur noch mit unzumutbaren Abschlägen bei der Rente. Unterdessen wird aus den Reihen der Union, der SPD, der Rentenversicherungsträger und vor allem der Arbeitgeber unverhohlen die weitere Anhebung der Altersgrenzen ab dem Jahre 2010 ins Gespräch gebracht. Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Merz denkt bereits an eine Rente mit 70 für die meisten Berufsgruppen. Wie sieht es schon heute in den Betrieben aus? Drastische Kostensenkungen schlanker Unternehmen haben - zusammen mit
Rationalisierungsmaßnahmen - über alle Branchen hinweg zu Arbeitsbelastungen
geführt, denen ältere oder gar schwerbehinderte KollegInnen
kaum noch gewachsen sind. Gleichzeitig wurden in der Industrie in der
Regel gerade diejenigen Arbeitsplätze abgebaut, die der angeschlagenen
Leistungsfähigkeit der älteren KollegInnen gerecht werden konnten.
Leistungsverdichtung und psychischer Druck führen daher oft zur Flucht
aus dem Betrieb, auch wenn die Vorruhestandsregelung mit hohen Verlusten
einher geht oder die Aufhebungsverträge in die sichere Arbeitslosigkeit
führen. Altersarmut bleibt Die von vielen geforderte Grundsicherung im sozialen Rentensystem für Geringverdiener wurde beerdigt. Übrig geblieben ist die Überlegung, Sozialhilfe mit etwas weniger Bürokratie und Schikanen für Menschen ab 65 zu gewähren. Dies ist kein Konzept zum Abbau von Altersarmut. Durch einen fairen rentenrechtlichen Ausgleich von Erziehungszeiten und Phasen sehr niedriger Erwerbseinkommen könnte es für viele Menschen eine bessere - weil mit robusten Sozialversicherungsansprüchen verbundene - Lösung geben. Eine Lösung übrigens, die die Arbeitgeber über ihren Anteil am Rentenversicherungsaufkommen mitfinanzieren würden. Rot-grüne Sozialpolitik: Wende in der Rentenpolitik über Kohl und Blüm hinaus Mit der rot-grünen Jahrhundertreform wird die Privatisierung der
Alterssicherung und der Wechsel zum Kapitaldeckungsverfahren eingeleitet.
Riesters Privatrente kennt im Unterschied zur Rente aus der solidarischen
Umlage keinen sozialen Ausgleich: Kindererziehungszeiten, Erwerbslosigkeit,
Invalidität und Hinterbliebenenabsicherung werden in privaten Vorsorgesystemen
nicht berücksichtigt. Außerdem erwerben Frauen geringere Ansprüche
aus privaten Renten- oder Lebensversicherungen, weil die privaten Versicherer
in ihrer Kalkulation Frauen diskriminieren. IV. Es geht auch anders Wir werden Rot-Grün diesen Angriff auf den Sozialstaat nicht durchgehen
lassen.
Blick nach vorn Wenn diese Schritte eingeleitet sind, ist genug Zeit gewonnen, sich
über eine weitergehende Reform des Rentensystems zu verständigen:
Hier geht es darum, auch die Altersversorgung der BeamtInnen in die allgemeine
Rentenversicherung zu überführen. Außerdem müssen
wir uns darüber verständigen, ob und wie die Gesetzliche Rentenversicherung
in ein Sicherungssystem für alle mit der Beitragspflichtigkeit aller
Einkommen umgewandelt werden kann. Ein weiterer Punkt zur Klärung:
Soll der Arbeitgeberanteil auf eine andere Bemessungsgrundlage (z.B. Wertschöpfung)
gestellt werden? Information und Kontakt zur AG Sozialpolitik über: |