Fachbereich Finanzen / Wirtschaft / Soziales
Auszug aus der Langfassung der BasisGrünen Frankfurter Erklärung, die aus Zeitgründen nicht diskutiert wurde.
Den Markt regulieren, die Wirtschaft demokratisierenIn der kapitalistischen Marktwirtschaft gilt nur ein Ziel: die Mehrung des monetären Gewinns, ökologische soziale und emanzipatorische Ansprüche, die sich nicht zum Geldverdienen eignen, gelten nichts. Sie können in marktwirtschaftlichen Gesellschaften nur durch politische Steuerung Geltung erhalten. Der Abbau staatlicher und tariflicher Regulierungen führt nicht zu mehr "Freiheit". Vielmehr unterwirft die neoliberale Entpolitisierung der Ökonomie und Ökonomisierung der Politik die Gesellschaft den "blinden" Regeln des Marktes und dem Faustrecht der wirtschaftlich Stärkeren. Der Umbau des Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen nach dem Vorbild von Wettbewerbsmärkten etwa weist die Rolle von "König Kunde" nicht den Menschen zu, die hierauf angewiesen sind, sondern wie immer dem, der zahlt.
Unser Ziel gesellschaftlicher Veränderung bedarf umgekehrt gezielter demokratisch-staatlicher wie tarifpolitischer Regulierung, bedarf ordnungspolitische Rahmenbedingungen des Produzierens und Konsumierens, die hinreichen, um schädliche "Nebenwirkungen" des Marktes auszuschließen. Um die Überwälzung sozialer und ökologischer Folgekosten der privaten Wirtschaft auf die Allgemeinheit abzubauen und sicherzustellen, dass die Wirtschaft der Gesellschaft dient, ist insbesondere eine Demokratisierung der Wirtschaft erforderlich. Die Weiterentwicklung der Mitbestimmung in Betriebs- und Unternehmensverfassung im nationalen und europäischen Rahmen und die Förderung von selbstverwalteten Strukturen und von selbstverwaltetem Wirtschaften sind dafür ein wichtige Ansatzpunkte.
Den Sozialstaat erneuern und weiterentwickeln
Der alte Sozialstaat war zu Recht der Kritik ausgesetzt, dass er die auf seine Leistungen Angewiesenen häufig in die Rolle von Objekten bürokratischer und teils auch repressiver "Fürsorge"- und "Versorgungs"- Apparate nötigte - bis hin zur Einschränkung von Grundrechten. Der neoliberale Umbau knüpft mit der Betonung von "Eigenverantwortung" und "Wahlfreiheit des Kunden am Markt" scheinbar an diese emanzipatorische Kritik an, um den Abbau sozialstaatlicher Garantien zu legitimieren. Die Erneuerung des Sozialstaats muss statt dessen davon ausgehen, dass erst eine Weiterentwicklung sozialstaatlicher Garantien die notwendige Voraussetzung für viele Menschen schafft Freiheit zu erfahren und selbstbestimmt leben zu können. Gleiche Rechte werden zu ungleichen Rechten, wenn soziale Ungleichheit es den einen ermöglicht und den anderen verwehrt, davon Gebrauch zu machen.
Die Erwerbslosigkeit abbauen - die Arbeitsgesellschaft erneuern
Die strukturelle Massenerwerbslosigkeit ist die wesentliche Ursache für die finanzielle Destabilisierung des Soziatstaats und die Wiederbelebung entsolidarisierender und demokratiegefährdender Tendenzen in der Gesellschaft. Ein nachhaltiger Abbau der Massenerwerbslosigkeit ist ohne eine Um- und Neuverteilung der gesellschaftlichen Arbeit, die über die bezahlte Arbeit hinaus auch die unbezahlte Reproduktionsarbeit der Frauen einbezieht, nicht vorstellbar. Der Anspruch von Frauen auf gleiche Teilhabe an der Erwerbsgesellschaft kann nicht realisiert werden, solange ihnen aufgrund patriarchaler Rollenmuster die unbezahlte "Familienarbeit" überwiegend einseitig zugewiesen bleibt. Die Organisations- und Zeitstrukturen der Erwerbsarbeit müssen in der Weise neu definiert werden, dass sie Frauen und Männern gleichermaßen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sichern. Ein "neues Normalarbeitsverhältnis" muss deshalb von dem Regelfall ausgehen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer neben der Erwerbsarbeit und dem Lebensanspruch auf regelmäßige arbeitsfreie Zeit Familienarbeit zu bewältigen haben. Dies führt zum zwingenden Erfordernis verkürzter Regelarbeitszeiten bei Erweiterung der Zeitsouveränität der
Beschäftigten. Ohne gesicherte arbeitsfreie Zeit in kollektiven Zeitstrukturen (z.B. freies Wochenende) ist weder ein partnerschaftliches Leben mit Kindern, noch ein soziales Leben in der Gemeinschaft, geschweige denn eine Entfaltung demokratischer Selbsttätigkeit und Selbstorganisation der Bürgerinnen oder gar "basisdemokratische" gesellschaftliche Selbstverwaltung vorstellbar. Rasche Schritte zur Verkürzung der regelmäßigen Arbeitszeit sind unerlässlich, um einen nachhaltigen Abbau der Erwerbslosigkeit zu erreichen. Beschäftigungswirksame Arbeitszeitverkürzungen müssen dabei gekoppelt werden mit der Sicherung auskömmlicher Einkommen, die in den bestehenden, überwiegend von Frauen besetzten Niedriglohnbereichen auch effektive Einkommensverbesserungen erfordert.Ökologischer Umbau erfordert auch gezielte Schrumpfung und Selbstbeschränkung
Mittlerweile hat sich auf breiter Front die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine Ökologisierung des Wirtschaftens im Produktions- wie im Dienstleistungssektor auch neue Wachstumsbranchen und -märkte und damit auch neue Felder zukunftsfähiger Beschäftigung eröffnet. Ökologischer Umbau erfordert indes nicht nur gezieltes Wachsen neuer, ökologisch verträglicher Wirtschaftszweige, sondern ebensosehr gezieltes Schrumpfen zerstörerischer. Der Übergang zu nachhaltigem Wirtschaften, der die globale Klimakatastrophe noch abwendbar macht, ist ohne Ausstieg aus Risikobranchen und entschlossenen Abbau zerstörerischer Bereiche (neben der Atomwirtschaft v.a. Luft- und Strassenverkehr, Braunkohleverstromung, Chlorchemie, industrielle Gentechnik, Rüstungswirtschaft) nicht möglich. Erst recht unvereinbar mit dem Nachhaltigkeitsziel ist jeder Expansionskurs in solchen Bereichen. Erschwerend kommt hinzu, dass die verbleibenden Zeithorizonte zur Abwendung unumkehrbarer Schädigungen der Biosphäre stetig abnehmen. Ökologische Politik muss dem Rechnung tragen. Sie muss sich darauf vorbereiten, auch schwere Konflikte mit der Wirtschaft zur Durchsetzung zügiger Ausstiegs- und Schrumpfungsprozesse erfolgreich zu bewältigen. Dabei wird eine ökologisch gezielte Ausstiegs- und Schrumpfungspolitik nur dann tragfähig werden, wenn sie sich der sozialen Verantwortung für die davon betroffenen Menschen stellt.
Ökologische Politik darf sich aber nicht allein auf den notwendigen Schutz der Lebensgrundlagen beschränken. Umweltpolitik darf nicht nur an den Symptomen "reparieren", sondern muss bei den Ursachen eingreifen. Alle Prozesse des modernen Leben müssen konsequent auf ihre Umweltverträglichkeit überprüft und gegebenenfalls verändert werden. Ökologische Politik muss eingebunden sein in eine integrierte Siedlungs-, Wohnungs- und Verkehrspolitik. Ökologie und anders Wohnen, Leben und Arbeiten gehören für uns zusammen.
Ökologische und emanzipatorische Politik kann auf Konsumkritik nicht verzichten. Die Marktgesellschaft orientiert die Menschen vorrangig auf das Ziel der Steigerung von materiellem Besitz und des Konsums kommerzieller Angebote. Diese Entwicklung ist mit dem Ziel der Steigerung der Lebensqualität längst unvereinbar geworden. Die Kultur des Habens muss abgelöst werden durch eine Kultur des Seins. Wachsende soziale Ungleichheit, Existenzunsicherheit und Sorge um das tägliche Auskommen lassen aber Konsumkritik und Aufforderungen zu Konsumverzicht als "Zynismus der Satten" erscheinen. Verzichten kann nur, wer hat. Wem immer mehr genommen wird, wer soziale Deklassierung fürchten muss, strebt immer heftiger zum Haben. Auch dies verweist auf das Erfordernis, die soziale Ungleichheit abzubauen und eine gerechte Einkommensverteilung herbeizuführen.
Zukunftsfähige Finanzpolitik
Ein realitätstauglicher Konsolidierungskurs muss, um schädliche wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Folgen zu vermeiden, mittel- und langfristig angelegt sein. Neben möglichen sinnvollen Ausgabenreduzierungen muss er vorrangig auf die Verbesserung der Einnahmeseite zielen. Auch heute darf eine expansive Finanzpolitik dann kein Tabu sein, wenn dadurch tatsächlich sich selbst refinanzierende und sinnvolle Investitionsprozesse stimuliert werden können, die ihrerseits die Konsolidierungschancen verbessern. Haushaltskonsolidierung und soziale Gerechtigkeit werden dann vereinbar, wenn Zug um Zug die Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um beim solidarischen Teilen der Lasten die Treppe von der Spitze der Einkommens- und Vermögenshierarchie nach unten zu kehren. Gerade der Zusammenfall der beiden Erfordernisse spitzt die Frage der Verteilungsgerechtigkeit nach über 16 Jahren der Umverteilung von unten nach oben in besonderer Weise zu. Europäische Besteuerung von Spekulationsgewinnen (Tobin- Steuer), Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Abgabe auf Großvermögen, Luxussteuer, Wertschöpfungssteuer zur Stützung der Sozialversicherung - diese Stichworte sind dabei einzubeziehen. Gerade weil nicht "alles auf einmal" geht, drängt der Einstieg in die Umkehrung staatlicher Verteilungspolitik umso mehr.