Jahrbuch Ökologie 2001
Herausgegeben von
Günter Altner, Barbara Mettler-von Meibom, Udo E. Simonis und Ernst
U. von Weizsäcker
Verlag C.H.Beck
VI. SPURENSICHERUNG
Volker Hartenstein
Der steinige Weg der Bundesregierung zum "harmonischen" Ausstieg
Deutschlands aus der Atomenergie
"Der Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie wird innerhalb dieser
Legislaturperiode umfassend und unumkehrbar gesetzlich geregelt",
heißt es in der Koalitionsvereinbarung von SPD und Bündnis
90/Die Grünen vom 20.10.1998.
Oktober 1998: Die Koalitionsvereinbarung
In einem ersten Schritt sollten als Teil des so genannten 100-Tage-Programms
die Atomgesetz-Novelle vom April 1998 weitgehend aufgehoben und gravierende
Änderungen (Streichung des Förderzwecks, Verpflichtung zu
Sicherheitsüberprüfungen, Klarstellung der Beweislastregelung,
Beschränkung der Entsorgung auf die direkte Endlagerung, Erhöhung
der Deckungsvorsorge, Schaffung von Zwischenlagerkapazitäten in
Kraftwerksnähe) vorgenommen werden. Der Zeitplan sah die Absegnung
des Gesetzentwurfes in den Koalitionsfraktionen für den 27. Januar
1999 vor; zwei Tage später sollte der Entwurf in den Bundestag
eingebracht und das Gesetz schließlich zwischen Mai und Juli 1999
in Kraft treten.
Zweitens war vorgesehen, in Gesprächen zwischen Bundesregierung
und Energieversorgungsunternehmen "Schritte zur Beendigung der
Atomenergie und Entsorgungsfragen möglichst im Konsens zu vereinbaren".
Die Bundesregierung setzte sich hierfür einen zeitlichen Rahmen
von einem Jahr nach Amtsantritt. Als Ergebnis wurde dabei ein öffentlich-rechtlicher
Vertrag (zwischen Betreibern und Bundesregierung) angestrebt.
Drittens sollte ein Gesetz eingebracht werden, "mit dem der Ausstieg
aus der Kernenergienutzung entschädigungsfrei geregelt wird; dazu
werden die Betriebsgenehmigungen zeitlich befristet".
Das Thema Wiederaufarbeitung ist in den Koalitionsvereinbarungen nur
indirekt (durch die Beschränkung auf direkte Endlagerung) zu finden.
Gleichwohl kündigte Bundesumweltminister Trittin bereits im Herbst
1998 das entschädigungsfreie Ende (gesetzliches Verbot!) der Aufarbeitung
deutscher Brennelemente im Ausland bis zum 31.12.1999 an.
Januar 1999: Schröder legt den Kurs fest
Im Januar 1999 begannen die Konsensgespräche zwischen der Bundesregierung
und den Betreibern der Energieversorgungsunternehmen. Erste Einigungspunkte
wurden bei einem Treffen zwischen Bundeskanzler Schröder und dem
Koordinator der Atomkraftwerksbetreiber Manfred Timm, Vorstandssprecher
der Hamburger Electri-citäts-Werke, erzielt. Auf einer Pressekonferenz
am 26. Januar 1999 zählte Schröder auf: Die so genannten Restlaufzeiten
sind einvernehmlich festzulegen; der Betrieb der Kernkraftwerke ist
bis zum Ende der Restlaufzeiten sicherzustellen; bis zum Inkrafttreten
des Verbots der Wiederaufarbeitung muss eine Zwischenlagerung der abgebrannten
Brennelemente an den Kraftwerksorten (für die Dauer der Restlaufzeiten)
technisch realisiert sein.
Juni 1999: Eckpunkte für einen Atomausstieg
Im Juni 1999 wurde als Ergebnis der Sondierungsgespräche ein Entwurf
der "Eckpunkte zur Beendigung der Nutzung der vorhandenen Kernkraftwerke
in Deutschland zwischen der Bundesregierung und den Eigentümern/Betreibern
der in Deutschland errichteten Kernkraftwerkskapazitäten"
vorgestellt. Hierin heißt es unter anderem:
o Die Bundesregierung respektiert die ökonomischen und unternehmerischen
Belange der kernenergiebetreibenden Unternehmen sowie die entsprechende
Verantwortung der Entscheidungsträger (Punkt 3).
o Beide Seiten stimmen darin überein, dass es gemeinsames Ziel
ist, die deutsche Energiewirtschaft zu einer führenden Position
im europäischen Wettbewerb zu entwickeln. Deshalb ist die Beendigung
der Kernenergienutzung durch diese Verständigung so ausgestaltet,
dass den Betreibern keine internationalen Wettbewerbsnachteile erwachsen
(Punkt 7).
o Beide Seiten schließen einen öffentlich-rechtlichen Vertrag,
den die Bundesregierung beabsichtigt, dem Deutschen Bundestag (und dem
Bundesrat) und die Betreiber ihren Aufsichtsgremien zur Zustimmung vorzulegen
(Punkt 8).
o Die Politik des Ausstiegs aus der Kernenergienutzung zur Stromerzeugung
wird verwirklicht durch Verbot des Neubaus von Kernkraftwerken und das
geordnete Auslaufen bestehender Kernkraftwerke. Neue Kernkraftwerke
werden demgemäß in der Bundesrepublik Deutschland nicht errichtet
(Punkt 9).
o Die Energieversorgungsunternehmen bzw. Betreiber verpflichten sich,
jedes ihrer Kernkraftwerke spätestens 35 Kalenderjahre nach seiner
jeweiligen Inbetriebnahme dauerhaft außer Betrieb zu setzen. Diese
Begrenzung der Laufzeit ist Gegenstand eines öffentlichrechtlichen
Vertrages (Punkt 11).
o Den Betreibern wird in diesem Vertrag eine Ausnutzung der Restlaufzeiten
zugesichert, die, Sicherheit der Anlagen und Einhalten der Entsorgungsgrundsätze
vorausgesetzt, nicht durch behördliche Interventionen gestört
werden darf (Punkt 12).
o Unabhängig von dem öffentlich-rechtlichen Vertrag zur Laufzeitbegrenzung
wird diese auf maximal 40 Volllastjahre ab Inbetriebnahme gesetzlich
begrenzt (Punkt 14).
o Radioaktive Abfälle müssen nach einer Übergangszeit
von längstens fünf Jahren grundsätzlich am Kraftwerksstandort
oder in dessen Nähe zwischengelagert werden (Punkt 17).
o Die Betreiber verpflichten sich, abgebrannte Brennelemente nur noch
bis Ende 2004 in ausländische Wiederaufarbeitungsanlagen zum Zwecke
der Wiederaufarbeitung und Rezyklierung zu verbringen unter der Voraussetzung,
dass bis Ende 1999 Transporte in diese Anlagen wieder möglich sind
(Punkt 18).
o Andere Korrekturen am atomrechtlichen Rahmen, namentlich solche, die
den Interpretationsspielraum des Gesetzes für den laufenden Betrieb
und die Gewährleistung der Sicherheit betreffen, werden nicht vorgenommen;
das gilt insbesondere für das behördliche Eingriffsinstumentarium
(Punkt 26).
Die Befristung auf 35 Kalender- bzw. 40 Volllastjahre bedeutet ein Auslaufenlassen
der Kraftwerke über einen Zeitraum hinweg, der den Betreibern bislang
selbst rentabel erschien. Von insgesamt 14 AKW, die in den Industrieländern
zwischen 1989 und 1997 stillgelegt wurden, sind nämlich 13 nur
zwischen 15 und 24 Kalenderjahren am Netz gewesen. Ein Einziges hatte
26Jahre lang Strom produziert.
Dezember 1999: Grüne geben Widerstand auf
Nach einer Abstimmung mit dem Bundesvorstand beschließt die Bundestagsfraktion
von Bündnis 90/Die Grünen im Dezember 1999, den Empfehlungen
von Bundesumweltminister Trittin zu folgen. Damit werden Vorstellungen
von Bundeskanzler Schröder und Wirtschaftsminister Müller
in den entscheidenden Punkten weitgehend übernommen. Im Einzelnen:
o Die Gesamtlaufzeit der AKW soll bei maximal 30 Jahren liegen. Das
letzte Atomkraftwerk würde danach im Jahr 2019 abgeschaltet werden.
o Den AKW-Betreibern wird die Möglichkeit der "flexiblen Ausgestaltung
der Laufzeiten" angeboten. Schalten die Kraftwerkbetreiber einzelne
Anlagen eher ab, dürfen andere länger laufen.
o Für Kernkraftwerke, die am Ende der Legislaturperiode schon länger
als 30 Jahre am Netz sind, wird eine Übergangsfrist festgelegt.
Entgegen ursprünglichen Auffassungen setzt man dafür jetzt
drei Jahre (früher ein Jahr) an.
o Bezüglich der Aufarbeitung bestrahlter Brennelemente wird jetzt
ein "schnellstmögliches Verbot" angestrebt.
o Das Gebot zur standortnahen Zwischenlagerung wird übernommen.
Die weiteren Forderungen aus den Koalitionsvereinbarungen bleiben bestehen.
Darüber hinaus ist bis 2002 eine Besteuerung der Kernbrennstoffe
vorgesehen.
Die Betreiber erhalten dadurch die Möglichkeit, sich mit wirtschaftlichen
Vorteilen von Anlagen zu trennen, die aus Wettbewerbsgründen ohnehin
bald stillgelegt werden müssten. Bei dieser Verfahrensweise bleibt
zwar das Gesamtrisiko während des Reaktorbetriebs gleich, nicht
jedoch zwangsläufig die produzierte Menge an erzeugtem Atommüll
wie Plutonium. Würde beispielsweise der Kernreaktor Brunsbüttel
(1976, 806 MW) statt 2006 bereits 2003 abgeschaltet und liefe dafür
das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld (1981, 1345 MW) drei Jahre länger,
so entstünde mehr Plutonium als bei einer festen Laufzeit beider
AKW.
Die zugestandene Übergangsfrist von drei Jahren hat (im Fall des
Dissenses) zur Folge, dass in dieser Legislaturperiode kein AKW abgeschaltet
wird. Bei einer maximalen Gesamtlaufzeit von 25 Jahren und einem Jahr
Übergangsfrist dagegen gingen bis zum Jahr 2003 sieben Reaktoren
vom Netz!
Januar 2000: Der letzte Schliff in der Koalition
Am 15. Januar 2000 verabredeten die Fraktionsspitzen von SPD und Bündnis
90/Die Grünen einen Zeitplan zum Atomausstieg. Vier Tage später,
am 19. Januar, besprachen die beteiligten Ressortchefs -Justizministerin
Däubler-Gmelin, Innenminister Schily, Kanzleramtsminister Steinmeier
(alle SPD), Wirtschaftsminister Müller (parteilos) sowie Außenminister
Fischer und Umweltminister Trittin (Grüne) - unter Leitung von
Bundeskanzler Schröder die Eckpunkte für ein Ausstiegsgesetz,
das keine Entschädigungen vorsieht und dennoch vor dem Bundesverfassungsgericht
Bestand haben soll. Das Bundesumweltministerium teilte anschließend
mit:
1. Es besteht Einigkeit, dass die weiteren Konsensverhandlungen auf
der Basis von 30 Jahren maximaler Laufzeit und einer Übergangsfrist
von 3 Jahren geführt werden. (Die Energieversorger fordern dagegen
weiterhin eine mindestens 35-jährige Laufzeit.)
2. Der Bundeskanzler wird auf dieser Basis am 4.2.2000 ein erstes Sondierungsgespräch
mit den Chefs der vier Holdings führen.
3. Die Ergebnisse dieses Gesprächs werden rückgekoppelt. In
der Woche ab dem 7.2.2000 kommt die Staatssekretärsrunde erneut
zusammen, um ihren Abschlussbericht fertigzustellen.
4. Nach Abschluss dieser Runde werden die Konsensverhandlungen mit den
Konzernen stattfinden.
5. Einigkeit besteht auch darin, dass bei der Konstruktion des Ausstiegs
alles vermieden werden soll, was eine Zustimmungspflichtigkeit durch
den Bundesrat erfordern würde.
6. Ziel ist, bis Ende Februar die Eckpunkte einer Atomgesetz-Novelle
vorzulegen, so dass diese auf der Bundesdelegiertenkonferenz beraten
werden können.
Am 19. Januar 2000 verständigten sich Schröder, Müller,
Däubler-Gmelin, Trittin und Fischer über die rechtlichen Fragen
des Atomausstiegs. Trittin: Dies ist die "endgültige Position
der Bundesregierung". Bis Ende Februar 2000 musste nach Angaben
der Fraktionschefs Peter Struck (SPD) und Kerstin Müller (Grüne)
geklärt werden, ob ein Atomkonsens mit der Stromwirtschaft möglich
ist oder nicht.
Diese Frist ist verstrichen, ohne dass eine Entscheidung getroffen
worden wäre. Ebenfalls bis Ende Februar 2000 sollte abgesprochen
werden, wie ein Ausstiegsgesetz für den Fall des Scheiterns der
Konsensgespräche aussieht. Dieses Gesetz sollte noch vor der Sommerpause
ins Parlament eingebracht werden und bis Jahresende beschlossen sein
(der Fahrplan sah den Beginn des Gesetzgebungsverfahrens für ein
Ausstiegsgesetz für März 2000 vor).
Bundesregierung gerät in Zugzwang
Ein - wenn auch umstrittenes - Ergebnis der Politik der Bundesregierung
gibt es inzwischen: Die AKW-Betreiber, die sich auf eine reduzierte
Zahl von Atomtransporten einrichten, haben mittlerweile Anträge
auf die Einrichtung externer Zwischenlager in unmittelbarer Nähe
einzelner Atommeiler gestellt. Beantragt wurden Lagerkapazitäten
für die Standorte Brokdorf, Unterweser, Stade, Grohnde, Krümmel,
Brunsbüttel, Neckarwestheim, Philippsburg, Biblis, Isar l und Isar
2, Grundremmingen und Grafenrheinfeld. Die geplanten Kapazitäten
liegen zwischen 80 und 169 Stellplätzen, in denen abgebrannte Brennelemente
aus den jeweiligen Kraftwerken zwischengelagert werden sollen. Die Anträge
müssen genehmigt werden, obwohl bislang noch keine Laufzeiten der
Kernkraftwerke festgelegt worden sind und infolgedessen auch die Menge
der noch anfallenden bestrahlten Brennelemente unklar ist.
Ebenfalls genehmigt werden müssen dem Gesetz nach auch wieder Castor-Transporte.
Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) erteilte Genehmigungen für
Transporte in das westfälische Zwischenlager Ahaus mit bestrahlten
Brennelementen aus den Kraftwerken Biblis, Neckarwestheim und Philippsburg.
Minister Trittin: Nachdem die Betreiber die erteilten Auflagen für
die innerdeutschen Transporte abgearbeitet hatten, war das BfS nach
Recht und Gesetz verpflichtet, die Genehmigungen mit den entsprechenden
Auflagen zu erteilen; es handelt sich um eine "gebundene"
Entscheidung, für die kein Ermessensspielraum zur Verfügung
steht; nach §4 des Atomgesetzes ist ein Transportantrag zu genehmigen,
wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen; voraussichtlich ab August
2000 kann der erste Transport abgebrannter Brennelemente in ein deutsches
Zwischenlager rollen.
März 2000: Bundesdelegiertenkonferenz stellt sich hinter Trittin
Im Vorfeld zum "Parteitag" am 18.03.2000 in Karlsruhe unterrichtet
Bundesumweltminister Trittin die Delegierten schriftlich über den
"Stand des Ausstiegs" und stimmt sie auf eine Unterstützung
seines Kurses ein. Er betont, dass die Verhandlungen zwischen der Bundesregierung
und den Betreibern der Kernkraftwerke noch nicht beendet seien. Und
weiter: "Nach dem Stand von heute kann niemand sagen, ob an ihrem
Ende ein Konsens stehen wird."
Noch einmal legt er dar, dass die Koalition notfalls ein Gesetz einbringen
werde, in dem der Ausstieg aus der Atomenergie entschädigungsfrei
geregelt ist. Zu diesem Zweck sollen die Betriebsgenehmigungen zeitlich
befristet werden. Dabei handele es sich nicht um eine Enteignung, "sondern
(um) eine zulässige, am Gemeinwohl orientierte Inhalts- und Schrankenbestimmung
des Eigentums", die "keine Grundlage für eine Entschädigungsforderung"
biete. Notwendige Voraussetzung dafür ist, dass nicht in die Substanz
des Eigentums eingegriffen wird. "Dieses ist in dem Moment gewährleistet,
in dem die Atomkraftwerke abgeschrieben sind, und sich die Investitionen
verzinst haben. Das Bundesumweltministerium vertritt die Position, dass
dies 25 Jahre nach Inbetriebnahme unterstellt werden kann. Die Einigung
auf 30 Jahre zwischen den Koalitionspartnern war der Notwendigkeit geschuldet,
eine auch von den Verfassungsressorts Justiz und Innen mitgetragene
gemeinsame Konfliktlinie festzulegen. Hierbei ging es auch darum, die
Gefahr zu minimieren, dass ein Gesetz zum Ausstieg durch eine einstweilige
Anordnung des Bundesverfassungsgerichts gestoppt würde."
Hinsichtlich der Flexibilisierung der Laufzeiten führte Minister
Trittin aus: "Zunächst Bündnis 90/Die Grünen und
dann die Regierung haben der Industrie angeboten, die verbleibenden
Restlaufzeiten zwischen 3 und 18 Jahren auf die einzelnen Kraftwerke
flexibel zu verteilen." Die Übertragbarkeit von Laufzeiten
ist für das Umweltministerium allerdings an folgende drei Bedingungen
geknüpft:
o Das Ausstiegsgesetz muss sich - wegen des CDU-majorisierten Bundesrates
- zustimmungsfrei gestalten lassen.
o Der Zeitpunkt der Stillegung einer Anlage muss sich ohne weiteren
Verwaltungsakt aus dem Gesetz direkt herleiten, also selbstvollziehend
sein.
o Die Summe der Restlaufzeiten darf sich nicht erhöhen.
Und weiter hieß es:
Am einfachsten wäre dies durch eine Flexibilisierung auf der Basis
von Kalenderjahren möglich. Um aber die Verhandlungen nicht an
einem Streit über die Berechnungsmethode der Laufzeiten, sondern
am Streit über die Laufzeiten zuzuspitzen, haben wir im Umweltministerium
ein Modell erarbeitet, das eine Flexibilisierung auch auf der Basis
von Strommengen ermöglicht und dennoch die Voraussetzungen Zustimmungsfreiheit,
Selbstvollziehend und Restlaufzeiten-Neutral erfüllt.
Bezüglich der Entsorgungsfragen, so Minister Trittin, lasse sich
die Bundesregierung von den Grundsätzen
o Minimierung der Zahl der Transporte zu zentralen Zwischenlagern und
den Wiederaufbereitungsanlagen sowie
o Unterbrechung der Erkundung in Gorleben und Nichtinbetriebnahme des
Schachtes Konrad leiten.
Trittins abschließender Appell an die Delegierten der Bundesdelegiertenkonferenz
in Karlsruhe, ein Signal zu setzen, bleibt nicht ohne Resonanz. Mit
einer emotional vorgetragenen Rede gelingt es ihm, die Mehrheit der
Basisvertreter hinter sich zu vereinen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt
verabschiedet sich die Partei Bündnis 90/Die Grünen (nach
Bejahung des Kosovo-Krieges) ein zweites Mal von einer Position, die
wesentlich zu ihrer Entstehung beigetragen hatte: der Forderung nach
einem schnellem Ausstieg aus der Atomenergie.
Atomkonsens - Einigung auf der Basis der EVU-Forderungen
In den folgenden Wochen finden mehrere Verhandlungsrunden unterschiedlicher
Besetzung statt. Am frühen Morgen des 15. Juni 2000 schließlich
gelingt aus Sicht der Beteiligten der große Durchbruch. Die Eckpunkte
des Atomkonsenses zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen
liegen auf dem Tisch. Folgende Bestimmungen sind dabei von besonderer
Bedeutung:
II. Beschrankung des Betriebs der bestehenden Anlagen
2. Die Reststrommenge (netto) wird wie folgt berechnet:
Für jede Anlage wird auf der Grundlage einer Regellaufzeit von
32 Kalenderjahren ab Beginn des kommerziellen Leistungsbetriebs die
ab dem 01.01.2000 noch verbleibende Restlaufzeit errechnet. Für
Obrigheim wird eine Ubergangsfrist bis zum 31.12.2002 vereinbart.
Weiterhin wird eine jahresbezogene Referenzmenge zu Grunde gelegt, die
für jedes Kraftwerk als Durchschnitt der 5 höchsten Jahresproduktionen
zwischen 1990 und 1999 berechnet wird. Die Referenzmenge beträgt
für die KKW insgesamt 160,99 TWh/a (ohne Mülheim-Karlich).
283
Gegenüber diesen Referenzmengen wird für die Restlaufzeit
auf Grund der sich fortsetzenden technischen Optimierung, der Leistungserhöhung
einzelner Anlagen und der durch die Liberalisierung u.a. veränderten
Reservepflicht zur Netzstabilisierung eine um 5,5 Prozent höhere
Jahresproduktion unterstellt.
Die Reststrommenge ergibt sich durch Multiplikation der um 5,5 Prozent
erhöhten Referenzmenge mit der Restlaufzeit. ...
Die EVU können Strommengen (Produktionsrechte) durch Mitteilung
der beteiligten Betreiber an das BfS von einem KKW auf ein anderes KKW
übertragen. ...
5.
RWE erhält die Möglichkeit entsprechend der Vereinbarung 107,25
TWh gemäß Ziff. II/4 auf andere KKW zu übertragen.
Es besteht Einvernehmen, dass diese Strommenge auf das KKW Emsland oder
andere neuere Anlagen sowie auf die Blöcke B und C des KKW Gundremmingen
und max. 20 Prozent auf das KKW Biblis B übertragen werden.
III. Betrieb der Anlagen während der Restlaufzeit
1. Sicherheitsstandard / Staatliche Aufsicht
...Während der Restlaufzeiten wird der von Recht und Gesetz geforderte
hohe Sicherheitsstandard weiter gewährleistet; die Bundesregierung
wird keine Initiative ergreifen, um diesen Sicherheitsstandard und die
diesem zugrundeliegende Sicherheitsphilosophie zu ändern. Bei Einhaltung
der atomrechtlichen Anforderungen gewährleistet die Bundesregierung
den ungestörten Betrieb der Anlagen. ...
2. Wirtschaftliche Rahmenbedingungen
Die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen, mit der die Nutzung
der Kernenergie durch einseitige Maßnahmen diskriminiert wird.
Dies gilt auch für das Steuerrecht. Allerdings wird die Deckungsvorsorge
durch Aufstockung der so genannten zweiten Tranche oder einer gleichwertigen
Regelung auf einen Betrag von 5 Mrd. DM erhöht. ...
IV. Entsorgung
1. Zwischenlager
Die EVU errichten so zugig wie möglich an den Standorten der KKW
oder in deren Nähe Zwischenlager. Es wird gemeinsam nach Möglichkeiten
gesucht, vorläufige Lagermöglichkeiten an den Standorten vor
Inbetriebnahme der Zwischenlager zu schaffen.
2. Wiederaufarbeitung
Die Entsorgung radioaktiver Abfälle aus dem Betrieb von KKW wird
ab dem 01.07.2005 auf die direkte Endlagerung beschränkt. Bis zu
diesem Zeitpunkt sind Transporte zur Wiederaufarbeitung zulässig.
Angelieferte Mengen dürfen verarbeitet werden. ....
Obwohl die Vereinbarungen noch negativer ausgefallen sind als erwartet,
stimmt die Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen
am 23.06.2000 in Münster dem von der Bundesregierung eingeschlagenen
Weg mehrheitlich zu. Linke Grüne bleiben mit Alternativanträgen
praktisch chancenlos.
Den Grundstein für diesen parteiinternen Durchmarsch hatte Staatssekretär
Baake gelegt. Vor einigen Jahren in Hessen noch klarer Verfechter eines
schnellen Ausstiegs aus der Atomenergie (Befristung der Gesamtlauf-Zeiten
im Dissens auf 25 Jahre), legte er im Rahmen der Konsensgespräche
mit den Kraftwerksbetreibern eine Vernebelungsrechnung vor, die bei
diesen auf große Resonanz stößt. Über die Einführung
des Begriffes "Re-gellaufzeit" wird zunächst der Eindruck
erweckt, alle Kernkraftwerke müssten jeweils nach Erreichen einer
Altersgrenze von 32 Jahren stillgelegt werden. (Das "Aus"
käme danach für das "jüngste" Atomkraftwerk
um die Jahreswende 2020/21.) Auf Grund so genannter "Referenzmengen
", die für die einzelnen Atomkraftwerke als Durchschnitt der
fünf höchsten Jahresproduktionen zwischen 1990 und 1999 ermittelt
werden, der Annahme einer Leistungserhöhung um 5,5 Prozent und
dem Zugeständnis an RWE, 107 TWh aus dem wegen Erdbebengefahr stillgelegten
Reaktor Mülheim-Kärlich auf andere Meiler umlegen zu dürfen,
errechnen sich jedoch für nahezu alle Atomkraftwerke Gesamtlaufzeiten
von jeweils etwa 35 Jahren. Unberücksichtigt bleibt dabei noch
die grundsätzlich zugestandene Übertragbarkeit von Strommengen
aus älteren Anlagen auf neuere. Sie fuhrt voraussichtlich dazu,
dass das letzte Atomkraftwerk zwischen 2025 und 2030 abgeschaltet wird.
Anders ausgedrückt: Den Kraftwerkbetreibern wird die Möglichkeit
eingeräumt, vom 01.01.2000 an noch einmal fast genauso viele (2623
TWh) Terawattstunden Strom zu produzieren, wie alle Atomkraftwerke der
Bundesrepublik Deutschland gemeinsam bis 1998 erzeugt haben (2771 TWh).
Und das wird als Ausstieg" deklariert.
Ebenfalls fatal ist die Verpflichtung der Energieversorgungsunternehmen
zur Einrichtung standortnaher Zwischenlager. Dies fuhrt zunächst
einmal - da eine rasche Genehmigung und Inbetriebnahme der Lager nicht
erwartet werden kann - dazu, dass trotz gegenteiliger Ankündigungen
(Minister Trittin) bis Mitte des Jahres 2005 zahlreiche weitere abgebrannte
Brennelemente in die Wiederaufarbeitungsanlagen von La Hague und Sellafield
transportiert werden. In Anlagen also, die schon während des Normalbetriebs
große Mengen an radioaktiven Substanzen emittieren und auf diese
Weise das Meer und weite Landstriche verseuchen und viele Menschen in
ihrer Gesundheit beeinträchtigen.
Erhöht wird aber auch das Risiko einer Katastrophe am Kraftwerksort.
Wie die Bundesregierung im März 2000 in ihrer Antwort auf eine
Anfrage der CDU/CSU-Fraktion (Drs. 14/2980) mitteilte, halte sich der
an den Kernkraftwerksstandorten infolge der geplanten Zwischenlagerung
erforderliche zusätzliche Sicherungsaufwand in vertretbaren Grenzen,
weil die bestehenden Sicherungsmaßnahmen "auch für die
neu zu schaffenden standortnahen Zwischenlager in erheblichem Umfang
mit verwendet werden können ". Eine seltsame Logik ist das,
nach der die bereits existierenden Sicherheitsmaßnahmen für
den Betrieb der Kernkraftwerke nicht ausreichen - nicht zuletzt deshalb
will man die Anlagen ja abschalten - dieselben Sicherheitsvorkehrungen
aber geeignet sein sollen, die zusätzliche oberirdische Lagerung
gefährlicher abgebrannter Brennstäbe für rund 25 Jahre
zu rechtfertigen.
Dubios sind ferner die Vereinbarungen zwischen Bundesregierung und Betreibern
zu den Restlaufzeiten. Da erkennt man zunächst an, "dass die
Kernkraftwerke und sonstigen Anlagen auf einem international gesehen
hohen Sicherheitsniveau betrieben werden." Ungeniert fügt
man hinzu, keine Initiative ergreifen zu wollen, die diesen Sicherheitsstandard
und die ihm zu Grunde liegende Sicherheitsphilosophie ändern wird.
Der Ausstellung eines Freibriefes vergleichbar wird schließlich
ergänzt: "Bei Einhaltung der atomrechtlichen Anforderungen
gewährleistet die Bundesregierung den ungestörten Betrieb
der Anlagen." Eine solche Zusage hat es selbst zu Zeiten der konservativ-liberalen
Koalition nicht gegeben. Und damit in den nächsten Jahren auch
noch satte Gewinne eingestrichen werden können, verzichtet die
Bundesregierung zu guter Letzt auch noch auf die längst überfällige
Besteuerung des Energieträgers Uran.
Anmerkung der Redaktion:
Der erste Teil dieses Textes erschien erstmals am 17. März 2000
in der Zeitung "Neues Deutschland"; wir danken für die
Genehmigung zum Wiederabdruck. Der zweite Teil des Textes wurde im Juli
2000 verfasst.
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"Technikgläubige Befürworter der Atomenergie werden
zu ängstlichen Technikpessimisten, wenn es um die notwendige und
zeitgemäße Transformation der Energiewirtschaft geht."
Franz Alt
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