Aus "kritik", 1978
Brauchen wir eine Grüne Partei?
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Aus "kritik", 1978, S. 16-23
Wolfgang Sternstein
Brauchen wir eine Grüne Partei?

Der Ruf nach einer "Grünen Partei" oder "Grünen Liste" ertönt in den Kreisen der Bürgerinitiativ- sind Ökologiebewegung immer lauter. Nach neueren Meinungsumfragen hätte eine solche Partei die Chance, in die Landtage, vielleicht sogar in den Bundestag einzuziehen, denn die Unzufriedenheit der Bürger mit den etablierten Parteien hat gegenwärtig ein Ausmaß erreicht, das einer Protest- oder Antipartei - sofern es ihr gelingt, sich als sich als überzeugende Alternative darzustellen - ein Wählerpotential von bis zu 25 % sichert. (1) Bevor sich die Ökologiebewegung zu einem so einschneidenden und folgenschweren Schritt entschließt, sollte sie das pro und contra noch einmal in aller Ruhe und ohne Zeitdruck abwägen.
Man kann die Frage der Parteigründung, die übrigens nicht gleichbedeutend mit der Frage der Wahlbeteiligung ist, unter einem taktischen und unter einem strategischen Gesichtspunkt erörtern. Mit "taktischem Gesichtspunkt" meine ich, ob eine Parteigründung zum gegenwärtigen Zeitpunkt, unter den gegebenen Bedingungen wünschenswert und opportun erscheint; unter dem strategischen Gesichtspunkt verstehe ich, ob sie ein geeignetes Mittel darstellt, die Ziele der Ökologiebewegung zu erreichen. Es könnte also durchaus sein, daß die Frage der Parteigründung unter taktischen Gesichtspunkten bejaht, unter strategischen aber verneint werden muß oder umgekehrt.

Bevor wir die Erörterung auf die Frage: Parteigründung ja oder nein, verengen, sollten wir uns die Möglichkeiten der politischen Einflußnahme, über die Bürgerinitiativler und Ökologen heute verfügen, vor Augen halten. Das wichtigste politische Druckmittel , das ihnen zu Gebote steht, ist die Mobilisierung der öffentlichen Meinung durch Information, Demonstration und Aktion. Diese Mobilisierung wirkt sich indirekt auch auf die etablierten Parteien aus, da sie das Wahlverhalten der Bürger beeinflußt. Es kann die Parteien zu Zugeständnissen zwingen, selbst wenn es sich nur um eine zahlenmäßig kleine, aber durch erhöhtes Engagement wirksame Bürgergruppe handelt. Die zweite Möglichkeit der politischen Einflußnahme ist die direkte Einwirkung auf Politiker, Behörden und Institutionen (Lobby). Die dritte ist die Nachprüfung der Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten durch die Verwaltungsgerichte oder der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen durch das Bundesverfassungsgericht. Die vierte Möglichkeit besteht schließlich in der Ausübung unmittelbaren politischen Drucks durch Streik, Boykott und bürgerlichen Ungehorsam. (2)
Das reicht nach Meinung einiger Bürgerinitiativler und Umweltschützer offenbar nicht aus, oder sie lehnen diese Möglichkeiten als wirkungslos bzw. zu riskant ab. Sonst würde der Ruf nach der Gründung einer Grünen Partei nicht immer lauter. (3) Aber, selbst wenn man sich entschließt, den von der Verfassung vorgezeichneten Weg der Mitwirkung an der politischen Willensbildung zu gehen, so gibt es auch da noch eine ganze Reihe von Möglichkeiten unterhalb der Ebene der Parteigründung, so z. B. die Beteiligung an Kommununalwahlen (4), die Übernahme parteiloser Ökokandidaten auf Parteilisten (5), die Kandidatur von Repräsentanten der Bürgerinitiavbewegung auf den Listen der etablierten Parteien (6), die Wahlempfehlung für Kandidaten, die sich bereit erklären, sich für die Erfüllung bestimmter Forderungen einzusetzen (7), und schließlich die Möglichkeit des Volksbegehrens und Volksentscheids in den Ländern Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. (8) Es ist hier nicht der Ort, ihre Vor- und Nachteile im Detail zu erörtern. Die Frage der Parteigründung sollte jedoch im engem Zusammenhang mit diesen Möglichkeiten gesehen werden.
Das bundesrepublikanische Wahlrecht weist eine meines Wissens einmalige Besonderheit auf - die 5%-Klausel. (9) Aufgrund der eingangs erwähnten Umfrageergebnisse - sowie der Erfahrungen in Frankreich und der Bundesrepublik (10) halte ich es unter bestimmten Bedingungen für möglich, in den kommenden Landtags- und Bundestagswahlen die 5 %-Hürde zu überspringen. Diese sind:

- die organisatorische Verbindung der zahlreichen Gruppierungen in der Ökologiebewegung,
- die Einigung auf ein Programm, das sich nicht nur auf ökologische Fragen beschränkt,
- der personelle, organisatorische und finanzielle Aufbau einer Partei und schließlich
- die Aufstellung überzeugender, prominenter, integrer Kandidaten.

Sieht man sich diese Bedingungen an, so wird deutlich, schwierig, ja unmöglich es ist, sie in naher Zukunft herzustellen. Eines der hervorstechendsten Merkmale der Bürgerinitiativbewegung ist ihre Vielfalt 5 sowohl in organisatorischer als auch in programmatischer Hinsicht. Diese Vielfalt in kurzer Zeit auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, halte ich nur unter Anwendung von starkem Druck für möglich. Ich fürchte sogar, die Bürgerinitiativ- und Ökologiebewegung könnte darüber zerbrechen. Ohnehin ist zu fragen, ob eine derartige Vereinheitlichung und Zusammenfassung, Zentralisierung der Kräfte überhaupt wünschenswert ist. In ihrer Offenheit, Toleranz und Gewaltfreiheit unterscheiden sich die Bürgerinitiativen ja gerade von den Parteien und Verbänden, die "Abweichler" mit mehr oder weniger sanftem Druck auf Parteilinie bringen, oder sie, sofern sie sich diesem Druck widersetzen, ausschließen. Bürgerinitiativen verzichten dagegen bewußt darauf, ihren Mitgliedern gegenüber Zwang auszuüben; sie wollen nicht Gehorsam, sie wollen freiwillige Aktivität, Spontaneität und Kreativität ihrer Mitglieder. Ich sehe nicht, wie diese heil in das Prokrustesbett einer Parteiorganisation hineingebracht werden könnten.

Nicht minder schwer sind die Probleme des personellen, organisatorischen und finanziellen Aufbaus sowie der Kandidatenaufstellung zu lösen, ganz abgesehen davon, daß die Gründung und der Aufbau einer Partei Mittel bände, die für andere Aufgaben nicht mehr zur Verfügung stünden.

Und noch etwas gilt es zu bedenken. Die Parteien machen gegenwärtig große Anstrengungen, die Bürgerinitiativen zu integrieren. Hier findet so zu sagen ein verbissenes Tauziehen statt, bei denn die Parteien die "Grünen" zu sich herüberzuziehen suchen während die "Grünen" die Parteien oder wenigstens Teile der zu sich herüberzuziehen suchen. Das reale Kräfteverhältnis entscheidet letztlich darüber, wer bei diesem Tauziehen die Oberhand gewinnt. Eine Parteigründung würde die Szene jedoch schlagartig verändern. Die Gegner steigen nun in den Ring. Die etablierten Parteien werden alles daransetzen, die "Grünen" k.o., am liebsten sogar aus dem Ring zuschlagen. Gelänge ihnen das, dann wäre nicht nur die Grüne Partei, womöglich sogar die Ökologiebewegung erledigt. Gelingt es ihnen nicht, dann werden die Grünen in dieser harten Schule das Boxhandwerk so rasch und gründlich erlernen, dass sie ihren Gegnern schon nach kurzer Zeit zum Verwechseln ähnlich sehen.

Weiterhin gilt es zu bedenken, daß die eigenen Anstrengungen auf dem Felde der Politik nicht selten das Gegenteil dessen bewirken, was man eigentlich will. Gesetzt den Fall, die Grüne Partei scheiterte an der 5%-Hürde, nähme aber der SPD und der FDP so viele Stimmen weg, daß die CDU die absolute Mehrheit erhielte, was dann? Das muß keine Katastrophe bedeuten, selbst wenn so mancher Parteihysteriker den Untergang der zweiten deutschen Republik heraufziehen sieht, weil er seine Pfründe zu verlieren droht. Ein Machtwechsel könnte sich vielmehr als Chance zu einer Regeneration der zur Zeit regierenden Koalitionsparteien in der Opposition erweisen.

Doch gesetzt den Fall, es gelänge, alle Schwierigkeiten zu überwinden und mit einer Grünen Partei in einige Landtage, vielleicht sogar in den Bundestag einzuziehen. Was wäre damit gewonnen? Es wäre zweifellos ein Alarmsignal für die regierenden Parteien. 5-10 % der Wählerstimmen sind aber, wie Erhard Eppler einmal sarkastisch formulierte, noch nicht die absolute Mehrheit. Den Grünen blieben dann nur zwei Möglichkeiten: sie betreiben eine zwar radikale , aber einflußlose Opposition in der Hoffnung, ihren Stimmanteil bei den nächsten Wahlen auf diese Weise zu erhöhen, oder sie versuchen, mit anderen Parteien zusammenzuarbeiten, womöglich eine Regierungskoalition mit dem Ziel zu bilden, wenigstens einen Teil ihrer Forderungen zu verwirklichen. Welchen Belastungsproben die Partei gerade im letzteren Fall ausgesetzt wäre und in welchem Koalitionskompromisse von vielen Wählern als Verrat empfunden würden, zeigt das Beispiel der Regierung Fälldin in Schweden.

Fazit: Aufgrund taktischer Überlegungen scheint mir eine Parteigründung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ratsam.

Betrachtet man das Problem der Parteigründung unter einem strategischen Aspekt, so zuerst die Frage beantwortet werden: worin besteht eigentlich das Ziel der Ökologiebewegung, denn erst von diesem Ziel her läßt sich entscheiden, ob eine Parteigründung überhaupt ein geeignetes Mittel zu seiner Verwirklichung darstellt.
Die Frage nach dein Ziel bzw. den Zielen der Ökologiebewegung läßt sich nicht mit einem Satz beantworten. Dazu ist die Entwicklung gegenwärtig viel zu sehr im Fluß. Zwar beginnen sich allmählich erst Umrisse eines in sich zusammenhängenden Alternativkonzepts zur technisch-industriellen Zivilisation westlicher und östlicher Prägung abzuzeichnen, doch Ist es in der Ökologiebewegung noch keinewegs allgemein anerkannt. Dieses Konzept, das auf nicht-ausbeuterischen Beziehungen des Menschen zum Menschen und zur Natur beruht, bedeutet

- im Bereich der Energieversorgung: Energieeinsparung sowie Erforschung und Nutzung alternativer Energiequellen (Sonne, Wind, Umgebungswärme, Gezeiten, Biogas aus tierischen und pflanzlichen Abfällen usw.);
- im Bereich der Industrieproduktion: sparsamer Rohstoffverbrauch, Produktion langlebiger Güter und Wiederverwendung von Rohstoffen;
- im Bereich der Wirtschaft allgemein: Schaffung kleiner selbständiger und selbstgenügsamer Wirtschaftseinheiten;
- im Bereich der Politik: eine klare Absage an das Denken in den Kategorien von Macht und Gewalt und statt dessen die Anwendung gewaltfreier Aktionsmethoden als Mittel der Konfliktlösung; weiterhin Abbau des politischen Zentralismus zugunsten kleiner politischer Einheiten (Regionen); je größer die politische Einheit, desto geringer sollten ihre Machtbefugnisse sein;
- - im Bereich der Gesellschaft: Reduzierung der unfreiwilligen Arbeits- und Funktionseinteilung; Schaffung Kleiner, sich selbst verwaltender Gemeinschaften gleichberechtigter Bürger; Rückkehr zu einem einfachen Leben, bei dem Arbeit nicht mehr als Qual, sondern als Mittel zur Selbstverwirklichung empfunden wird (von diesem Geist sind auch die Experimente der Wohngemeinschaften, Landkommunen, Graswurzelgruppen und ähnliche inspiriert, die einen alternativen Lebenssti1 zu verwirklichen suchen),
- im Bereich der Kultur: schließlich Abkehr von den Wertvorstellungen der Leistungs- und Konsumgesellschaft; Herausbildung einer neuen Kultur bzw. Anknüpfung an eine noch lebendige Regionalkultur, z. B. die alemanische Kultur am Oberrhein.

Das Feld der Ökologiebewegung ist - um noch einmal einen Vergleich aus dem Sport zu bemühen - weit auseinandergezogen. Während die einen schon das Ziel fest ins Auge gefaßt haben, haben andere - nämlich diejenigen, die sich dagegen wehren, daß man ihnen eine Autobahn oder ein Atomkraftwerk vor die Haustür setzt - gerade erst die Startlöcher verlassen. Unzufriedenheit über Politiker und Parteien oder Auflehnung gegen einzelne staatliche Planungsmaßnahmen sind jedoch noch kein Parteiprogramm!
Das "Feld" der Ökologiebewegung ist aber nicht nur langgezogen, es ist auch breit gefächert. Noch scheiden sich die Ökogeister an der Frage der Mittel, mit denen sie ihre Ziele verwirklichen wollen. In der bunten Vielfalt der Mittel und Ziele zeichnen sich zwei Haupttendenzen ab, die Verfechter einer Ökodiktatur (Gruhl, Harich) und die Anhänger einer Ökodemokratie (Jungk, Amery, Schumacher, Strasser u.a.). (11) Welche dieser beiden Strömungen die Oberhand gewinnen wird, ist gegenwärtig noch nicht abzusehen.
Die Anhänger einer Ökodemokratie argumentieren zwischen Mittel und Ziel bestehe ein innerer Zusammenhang, dergestalt, daß das Ziel bereits in den Mitteln und die Mittel im Ziel enthalten sein müßten, wenn das Ziel erreicht werden solle, daß folglich der bestehende Zentralismus in allen gesellschaftlichen Bereichen nicht durch einen zentralistischen Parteiapparat, die herrschende Gewalt nicht durch revolutionäre Gegengewalt überwunden werden könne. Sie wollen deshalb auch nicht mit der Veränderung der bestehenden Strukturen solange warten, bis sie die Macht erobert haben, um sie dann von oben her umzukrempeln, sie wollen die bestehende Gesellschaftsordnung vielmehr hier und jetzt von unten her verändern, indem sie alternative Strukturen schaffen. Sie haben aus den Erfahrungen der kommunistischen Parteien gelernt, daß humanistische Ideale gewöhnlich beim Weg zur Macht auf der Strecke bleiben.
Es geht aber nicht nur um einen anderen Weg zur Macht, es geht vielmehr darum, ob die Machteroberung überhaupt unser Ziel sein kann.
Wir sollten uns keine Illusionen machen: Parteien sind Organisationen zum Erwerb, zur Ausübung, zur Erhaltung und Vermehrung von Macht. Das kann und darf jedoch nicht unser Ziel sein. Unser Ziel muß vielmehr die Kontrolle, langfristig sogar der Abbau von Macht, Herrschaft sein. Von diesem Ziel her erweist sich die Parteigründung als ungeeignetes Mittel, denn sie bedeutet die Anpassung an die bestehenden Machtstrukturen. Die Ökologiebewegung billigt nicht nur neue Inhalte, sie verlangt auch neue Formen 7 sie verkündet nicht nur neue Werte, sie schafft auch neue Strukturen. Zu diesen neuen Strukturen gehört die aktive Teilnahme des Bürgers am politischen und gesellschaftlichen Leben, das Mitbestimmungsrecht von Planungsprozessen unmittelbar betroffenen Bürger sowie die Mitsprache- und Mitbestimmungsrechte von Bürgern bei für sie lebenswichtigen politischen Entscheidungen überhaupt. Es geht folglich darum, dem papierenen Ideal des aktiven, verantwortungsbewußten, mündigen Staatsbürgers, wie er in den Sozialkunde-Lehrbüchern beschrieben ist, der seine verfassungsmäßigen Rechte und Pflichten selbst wahrnimmt, statt sich von irgendwelchen Repräsentanten in irgendwelchen Parlamenten "ver- und zertreten" zu lassen (12), endlich Leben einzuhauchen! Das bedeutet nicht die Abschaffung des repräsentativen Prinzips, es bedeutet jedoch seine Einschränkung durch das plebiszitäre Ziel der Bürgerinitiativen- und Ökologiebewegung sollte es daher sein, die plebiszitären Elemente in einigen Länderverfassungen zu stärken bzw. sie in diese einzuführen.

Macht strebt nach noch mehr Macht, Reichtum nach noch mehr Reichtum und Wissen nach noch mehr Wissen. Darum, hüten wir uns vor der Versuchung der Macht! An ihr sind bisher alle Befreiungsbewegungen zugrundegegangen, die humanistisch-liberale, die sozialistischkommunistische und selbst die große Emanzipationsbewegung der Antike, das Christentum. In dem Maße, wie sie reich und mächtig wurden, verrieten sie ihre emanzipatorisehen Ziele. Auch die Ökologiebewegung wird nur solange eine Befreiungsbewegung bleiben, als sie von Menschen getragen wird, die sich leidenschaftlich für ihre Umwelt, Mitwelt und Nachwelt einsetzen, die jedoch bewußt auf den Erwerb und den Genuß der Macht zu verzichten.
Die Drohung einer Parteigründung hat das mitleidig-verächtliche Lächeln, für die "Grünen" auf den Lippen manches "Realpolitikers" erstarren lassen. Wir wären keine Menschen, wenn uns das nicht mit einer gewissen Genugtuung erfüllte, einer Genugtuung, die ihre Ursache in der Verbitterung über die Arroganz eben dieser Mächtigen hat. Es scheint, als verstanden sie nur eine Sprache, die Sprache der Macht und der Gewalt. Müssen wir deshalb in dieser Sprache mit ihnen sprechen? Wer so argumentiert, merkt nicht, daß er denjenigen, von denen er so verächtlich spricht, zum Verwechseln ähnlich sieht.

Wir dürfen uns bei unseren Entscheidungen nicht vom Gefühl des Hasses und der Vergeltung leiten lassen, so begreiflich das auch sein mag. Es würde uns, ohne daß wir es wollen und merken, unweigerlich dahin führen, wo die sitzen, die wir heute mit Recht anklagen. Die Parteigründung wäre ein erster Schritt auf einem Weg, an dessen Ende wir uns nicht wiedererkennen würden.


Anmerkungen:
1 Vgl. dazu die von Rudolf Wildenmann durchgeführte repräsentative Bevölkerungsbefragung in: Capital, Nr. 9 und 10/1977, hier 9, S. 120: "Käme es zu einer sozialen Unrast die im Bundestag vertretenen politischen Parteien wären die ersten, die es zu spüren bekämen. Ihr Prestige ist weiterhin gesunken."
Drei Schübe zeichnen sich deutlich ab, drei Schübe nach unten. Nach der Bundestagswahl von 1969 fing es an, bei der Bundestagswahl von 1972 hielt es an, und bei der Bundestagswahl von 1976 war es nicht abgebremst.
Bilanz: Alle Parteien werden nur noch knapp positiv bewertet, die CSU sogar leicht negativ. Auch die sogenannten Sympathie-Skalometer sind auf mittlere Werte gerutscht.
Konsequenz: Die Bereitschaft, eine Art Anti-Partei oder Ohne-mich-Partei %via die dänische Glistrup-Partei zu wählen, ist bereits groß. Nur knapp die Hälfte der Wähler sagt dazu noch entschieden nein, ein Viertel wurde eine solche Partei wählen, ein Viertel ist indifferent."
2 Siehe den Aktionskatalog des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz e. V. (BBU). Zu beziehen über die Geschäftsstelle des BBU, Schliffkopfweg 31 A, 75 Karlsruhe 21 (DM 3,50), bes. S. 69-80.
3 Abgesehen von der Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher (AUD), die sich als Ökopartei zu profitieren sucht, wird sich in diesem Jahr zum ersten Mal eine Umweltschutzpartei, die Grüne Liste Umweltschutz (GLU), an den niedersächsischen Landtagswahlen am, 2. Juni beteiligen und in sämtlichen Wahlkreisen kandidieren.
4 Bei den Kommunalwahlen von 1975 in Baden-Württemberg kandidierten Umweltschützer in Wyhl und Umgebung. Sie errangen in Weisweil 2 von 10, in Wyhl 4 von 10 und in Endingen 13 von 24 Sitzen. Siehe dazu auch meinen Aufsatz "Was wird aus Wyhl? Die Verhandlungen zwischen der Landesregierung von Baden-Württemberg, der Kernkraftwerk- Süd GmbH (KWS) und den badisch-e1sässischen Bürgerinitiativen." In: gewaltfreie aktion 26/'27, S. 1424, bes. S. 20.
5 Ein solches Angebot wurde den Umweltschützern von der AUD gemacht.
6 So kandidierte beispielsweise der Apotheker, Nahrungsmittelchemiker, Landwirtschaftsmeister und stellvertretende Bürgermeister von Endingen, Dr. Erich Schött, als Repräsentant der Bürgerinitiativen für die F.D.P. Er errang bei den Landtagswahlen von 1976 aufgrund seiner günstigen Plazierung auf der Landesliste ein Mandat. Obwohl Herbert Gruhl (MdB) kein Repräsentant der Bürgerinitiativen, ist, fungiert er bei der CDU doch, ähnlich wie Schött bei der F.D.P., als ökologisches Aushängeschild.
7 Der BBU führte eine derartige Kandidatenbefragung vor der Bundestagswahl 1976 durch, veröffentlichte ihre Ergebnisse (vermutlich wegen zu geringen Rücklaufs') jedoch nicht.
8 Siehe z.B. die "Aktionsgemeinschaft Volksbegehren", die u.a. ein fünfjähriges Moratorium für den Bau von Atomkraftwerken fordert. Vgl. Aktionskatalog des BBU, a.a.O., S.70 f.
9 Bundeswahlgesetz §6,4: Bei der Verteilung der Sitze auf die Landeslisten werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens 5 vom Hundert der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten oder in mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben."
10 Zur Situation in Frankreich Georg Scheuer: "Bürgerinitiativen in Frankreich" in: vorgänge 30, S. 22-23. Zur Situation in der BRD: Der Spiegel 5, 32. Jg., S. 46-50. Zur Frage der Parteigründung siehe auch Hans-Jürgen Benedict: "Die Linke und die Bürgerinitiativen" in: vorgänge 30, S. 65-80, bes. S.78 und Lutz Mez: "Bilanz und Perspektiven der Bürgerinitiativenbewegung" in: kritik 15, S. 122-134, bes. S. 128-130. 11 Siehe dazu meinen Aufsatz: "Wachstum - Freiheit - Gleichheit" in: vorgänge 30, S. 29-36, bes. S. 35.
12 Siehe dazu die erstaunlich aktuellen Ausführungen von Karl Marx im "Bürgerkrieg in Frankreich".

 

 

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