Lieber Klaus-Peter,
besten Dank für die Einladung an der Debatte. Die Beiträge, die Du mir gemailt hast, habe ich mit Interesse nachgelesen bzw. zumindest überflogen. Angesichts der Tatsache, dass Debatten dieser Art, seit man sich Ende der 70er Jahre erste Gedanken um die Gründung der Grünen machte, praktisch ununterbrochen in der Linken geführt werden, glaube ich, dass man nur weiterkommt, wenn man sich ein paar historische Erfahrungen ansieht. Die Frage, ob es sich bei den Ursachen der Veränderung der Grünen
um "Charakterschwäche" oder um eine quasi gesetzmäßige
Entwicklung handelt ist ja eng verbunden mit der Frage, ob die Grünen
sich noch einmal ändern können (mit "charakterstärkeren"
Repräsentanten) bzw. ob man mit einer neuen Partei einen neuen Anlauf
wagen sollte. Wenn ich mir jetzt mal die historischen Erfahrungen mit
idealistischen, weltanschaulich motivierten Parteien anschaue, sehe ich
folgendes: Die sozialistische Bewegung im Parlament begann ja bekanntlich
um die Jahrhundertwende mit den sozialdemokratischen Parteien. Deren Veränderung,
die als "Revisionismus" seinerzeit eine ganz ähnliche Debatte
auslöste wie die "Realpolitisierung" der Grünen, ist
bekannt. Es war für mich tatsächlich eine Art "Aha-Erlebnis"
im Buch von Robert Michels detailliert nachlesen zu können, wie ähnlich
selbst in Details die Entwicklung der Grünen zu Entwicklung der SPD
verlief. Dem Revisionismus der Sozialdemokratie folgte der Versuch, mit
den neuen kommunistischen Parteien den alten revolutionären Impuls
wieder aufzunehmen. Sobald aber diese sich aus ihrer Abhängigkeit
von der UdSSR lösten, die Phase des s.g. "Eurokommunismus"
in den 70ern, wurden auch sie zu sozialdemokratischen Parteien. Bei Gründung
der Grünen hatte man ja durchaus ein Bewusstsein dieser Problematik
und wollte daher den Charakter der Alternativpartei wahren durch das Regelwerk
der Basisdemokratie - ein bislang in der Parteigeschichte in dieser Gründlichkeit
einmaliges Experiment. Das Ergebnis ist bekannt. Es lief so ab, wie Robert
Michels 1921 vorausgesagt hatte: "Prophylaktischer Ich kenne in ganz Europa in der ganzen Geschichte des Parlamentarismus kein Gegenbeispiel. Man kann meines Erachtens sagen, dass dies eine gesichert politikwissenschaftliche Erkenntnis ist. Der konservative Parteienforscher von Beyme stellt daher völlig richtig fest: "Sozialisten, Anarchisten, Christdemokraten, Bauernparteien, Kommunisten, Faschisten, Neopopulisten, ethnische und regionale Gruppen und Linkssozialisten sind im Laufe der letzten hundert Jahre in den meisten westlichen Systemen in die politische Arena getreten. Sie haben nicht selten als Bewegung begonnen, sich schließlich zur 'Partei neuen Typs' deklariert und haben am Schluss als Parteien unter anderen geendet." Eine ganz andere Frage ist, ob man deswegen aus den Grünen austreten
soll. Man kann ja die Faust in der Tasche lassen und versuchen, noch vorhandene
Möglichkeiten zu nutzen. In einem Beitrag schrieb jemand, dass man
ja in der Partei Kontakte zu Abgeordneten hätte und diese dann besser
auf bestimmte Probleme hinweisen könnte. Wenn es kein heikles Thema
ist und für den Abgeordneten nicht viel Arbeit bedeutet, wird er
sich u.U. auch dafür einsetzen. Vernünftige, engagierte Leute
können in allen Parteien etwas bewirken. Ich glaube aber, dass selbst
für Funktionsträger die Wolfgang Filc, der als Lafontaines Experte für Devisenmärkte
ins Finanzministerium wechselte und große Hoffnungen hegte, dort
Politik gestalten zu können, stellte am Ende seiner Tätigkeit
resigniert fest: Vermutlich kann man als Hochschullehrer in der
Sache mehr bewirken, als in einem Verein von Bürokraten...
Die führenden Leute im Finanzministerium seien daran orientiert,
exzellent zu verwalten, kaum daran, etwas konstruktiv zu gestalten oder
gar zu verändern. Das schreibt jemand, der an höchster
Stelle arbeitete und mit dem Wohlwollen des Ministers ausgestattet war
und es gilt m.E. umso mehr, je weiter man sich in der Stufenleiter des
Föderalismus nach unten begibt. Ich müßte länger Vor diesem Hintergrund war ich schon sehr überrascht, in einem Debattenbeitrag
zu lesen, dass eine Stadträtin einer Kleinstadt ihre Tätigkeit
als die eigentliche Politik ansieht, Greenpeace dagegen für einen
unpolitischen Verband hält. Ich denke, es sind zwei verschiedene
Arten von Politik: Arbeit in Parteien und in von Parteien beschickten
staatlichen Gremien nimmt stark Züge von "politischer Verwaltung"
an. Die Arbeit von Greenpeace dagegen versucht Bewusstsein zu schaffen, Natürlich ist das Volksentscheidsrecht - wie alle demokratischen Rechte- zwiespältig. Es kann auch vom politischen Gegner genutzt werden. So wie das Recht Parteien oder Verbände zu gründen auch. Trotzdem wird niemand bestreiten, dass die Einführung dieser Grundrechte auf die Entwicklung der Demokratie erheblichen und positiven Einfluss gehabt hat. Überwiegend positiv sind auch die Erfahrungen, die in der Schweiz mit dem Volksabstimmungsrecht gemacht wurden. Es gibt inzwischen ausgearbeitete Konzepte auch in Deutschland und eine breite Unterstützung in der Bevölkerung. Eine Unterstützung, die dazu geführt hat, dass sich alle Parteien mit Ausnahme der CDU (auch dort gibt es Befürworter) für Volksentscheide aussprechen. Sogar in der rot/grünen Koalitionsvereinbarung heißt es: Wir wollen die demokratischen Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger stärken. Dazu wollen wir auch auf Bundesebene Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid durch Änderung des Grundgesetzes einführen. Papier ist jedoch bekanntlich geduldig. Konkrete Schritte sind nicht zu sehen. M.E. ist die Linke gut beraten, dieses Thema zu einem ihrer zentralen Projekte zu machen. Die Ergänzung der repräsentativen Demokratie durch Elemente direkter Demokratie ist eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche oppositionelle Politik außerhalb von Parteien - aber auch für Politik oppositioneller Parteien außerhalb der Regierung.
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