30.03.1999
Statement von Lars Klein zum Friedensaufruf von Ilka Schröder und Uli Cremer
Liebe Ilka,
ich bin Grünenmitglied und kann Deine Position doch nicht teilen. Nach meiner Ansicht hat die Nato nichts zur Eskalation beigetragen, sondern die Vertreibung und Ermordung der albanischen Mehrheit im Kosovo ("ethnische Säuberung") wurde vom Belgrader Diktator von langer Hand geplant. Das die Nato-Angriffe ihm propagandistisch zupaß kommen, ist richtig. Doch hoffe ich darauf, daß durch die Zerschlagung der s e r b i s c h e n Kriegsmaschinerie ein Einlenken erreicht werden kann.
Dieser Krieg- und da gebe ich dir voll recht- ist eine Katastrophe. Und das auch unabhängig von der Frage, ob deutsche Soldaten mitfliegen oder nicht. Doch weiß ich keine Lösung, wie man der rohen und brutalen Gewalt von Potentaten anders als mit Gewalt begegnen soll. Grüne Appelle in Deutschland werden Milosevic jedenfalls nicht umstimmen. Denn er hat eine Vision eines serbisch "reinen" Staaten. Schon einmal in der Geschichte dieses Jh. hatte ein europäischer Diktator dieselben fürchterlichen Ziele, und auch dieser verstand nur die Sprache der Gewalt. Natürlich sind auch damals viele Unschuldige umgekommen, denn nicht alle Deutschen und auch nicht alle deutschen Soldaten waren Nazis. Doch was wäre die Alternative gewesen??
Das dies nun ein Präzendenzfall wird für die ständige Selbstmandatierung glaube ich nicht. Denn der strategische Nutzen, immer und überall militärisch einzugreifen, ist rational jedenfalls sehr gering. Die Nato wehrte sich auch gegen diesen Krieg, indem immer wieder "letzte" Ultimaten eingeräumt wurden.
Und machen wir uns nichts vor: die UNO ist kein Waisenknabe. Hier ist die Struktur der Überlegenheit der Siegermächte des 2. Weltkrieges zementiert. Mit Veto-REchten läßt sich keine demokratische Organisation leiten. Weiterhin sind die Mehrheit der Mitglieder der UNO eben keine domokratischen Staaten, sondern autokratisch geführt.
Dies bedeutet nicht, daß ich einer ständigen und zukünftigen Selbstmandatierung der NATO das Wort rede. Aber auf die UNO zu schauen und formaljuristische Argumente zu gebrauchen -wie dies von "Radikalpazifisten" häufig getan wird- führt nicht weiter angesichts des Leides von Millionen von Kosovo-Bürgern.
Gestern hat eine "Pazifistin" im Fernsehen vorgeschlagen, daß die NATO kapitulieren soll, da der Kosovo ja nun schon fast "gereinigt" (!!) sei und damit Fakten geschaffen worden seien, die nicht durch noch mehr Gewalt rückgängig zu machen seien. Dies ist in meinen Augen aber blanker Zynismus, da damit den Menschen nicht geholfen, sondern ihr Leid um der hehren Prinzipien willen hingenommen werden.
Ich möchte Schwarz-Schilling zitieren, der in Bosnien viel für den Frieden und für die dortigen Menschen getan hat und der sicher kein "Kriegstreiber" ist: Frieden ist nur unter gerechten Bedingungen menschenwürdig.
Ein Frieden um jeden Preis, mit dem Preis von Vergewaltigung, Schlachtungen und Sadismus, ist kein Frieden, sondern Gleichmut.
Die "Bombenlösung" ist keine Lösung, da gebe ich Dir recht. Die Fehler sind schon vorher gemacht worden. Der Balkan mit seiner gefährlichen ethnischen und religiösen GEmengelage ist nicht hinreichend beachtet worden. Das Kind ist - auch durch Mitschuld von Deutschland, Rußland (das mit seinen Großmachtansprüchen immer eine einvernehmliche diplomatische Lösung erschwert hat) und E.U. (deren Staaten durchweg immer verschiedene r Meinung waren)- in den Brunnen gefallen.
Doch kann man nun all diese VErsäumnisse auf die schlichte Aussage reduzieren: Militärische Gewalt ist immer schlecht??
Zur Bekämpfung von Hitler war sie die einzige (verbliebene) Möglichkeit, und auch damals waren viele andere (diplomatische) Gelegenheiten ungenutzt verstrichen. Bei Milosevic ist es ähnlich, wenn nicht sogar gleich.
Der Balkan ist in Europa, ist ein Teil von Europa. Wenn der Balkan sich destabilisiert, ist die STabilität von ganz Europa gefährdet. Dies sind keine neuen Erkenntnisse. Europa wird viel Geduld, Geld und Kraft in die Befriedung dieser Region stecken müssen. Dafür die politische Mehrheit in den westlichen Demokratien zu erhalten, dafür lohnt es sich jetzt, in der VErgangenheit und in Zukunft zu kämpfen. Dies ist -auch von den Grünen- versäumt worden. ES lohnt sich auch, gegen militärische GEwalt vorzugehen, diese immer wieder zu hinterfragen.
Doch es lohnt sich in meinen Augen nicht, "Kriegstreiber" und "Weltmachtallüren" zu suchen und zu brandmarken, wo meiner Ansicht nach in DIESEM Konflikt keine auszumachen sind. Denn kein Land der Nato sehnt sich nach Meldungen von VErlusten -sei es auf eigener, sei es auf serbischer Zivilbevölkerungsseite.
Ich hoffe, daß dieser Konflikt nicht wieder zu neuen Flügelkämpfen bei den Grünen führt und daß die Diskussionskultur, für die die Grünen einmal hoch gelobt wurden, nicht austrocknet. Es bringt nichts, sich gegenseitig anzugreifen, sondern vielmehr müssen nach Lösungen im Vorfeld gesucht werden. Denn die nächsten Krisenherde kommen bestimmt. Darauf müssen wir die ganzen Energien verwenden, so daß ein solches Szenario wie jetzt überflüssig wird.
Auch denke ich, daß es nichts bringt, sich mit diesem Thema parteiintern zu profilieren. Dafür ist es zu heikel und dafür habe ich eine zu hohe Meinung von den grünen Parlamentariern und Regierungsmitgiedern. Denn ich bin überzeugt, daß sie sich -alle- viele Gedanken gemacht haben. Sowohl jene, die die NATO-Aktion ablehnen als auch jene, die ihr zustimmen.
Alles Gute,
Lars Klein
e-mail: lars.klein@stud.uni-muenchen.de